Friedensarbeit an der Basis
Genfer Friedenswoche: LWB stellt Arbeit mit Gemeinschaften in Äthiopien vor
GENF, Schweiz (LWI) – „Als glaubensgestützte Akteure sind wir bei unseren humanitären Einsätzen und bei der Katastrophenhilfe auf die Zusammenarbeit mit Ältesten und religiösen Führungspersönlichkeiten angewiesen, die uns den direkten Zugang zu den besonders unterstützungsbedürftigen Gemeinschaften ermöglichen“, sagte Sophia Gebreyes, die Ländervertreterin des Lutherischen Weltbundes (LWB) in Äthiopien. Sie war eine der Rednerinnen auf einer Veranstaltung der Genfer Friedenswoche 2020, mit dem Titel „Friedensarbeit erleidet Rückschlag durch COVID-19 und Klimawandel im Globalen Süden – Perspektiven glaubensgestützter Akteure“ (Peacebuilding Disrupted by Covid19 and Climate Change in the Global South – Perspectives from Faith-based Actors).
Die Veranstaltung am 6. November wurde gemeinsam vom LWB und dem Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) organisiert. Die zweite Rednerin auf der Veranstaltung war Beverly Longid, globale Koordinatorin der Bewegung indigener Völker für Selbstbestimmung und Befreiung (Indigenous Peoples Movement for Self Determination and Liberation – IPMSDL). Sie gehört einer indigenen Minderheit auf den Philippinen an und schilderte aus dieser Perspektive die besonderen gegenwärtigen Herausforderungen für den Frieden.
Äthiopien: Klimaprognosen für 2050 sind schon heute Realität
„In Äthiopien arbeiten wir mit Gemeinschaften zusammen, die sich überschneidenden Risiken ausgesetzt sind“, erklärte Gebreyes. Diese Gemeinschaften erleben mehrere Gefährdungen gleichzeitig oder innerhalb kürzester Zeit, „und deshalb sind sie kaum in der Lage, sich wirksam darauf vorzubereiten oder Resilienz zu entwickeln.“ Zurzeit erlebt das Land eine massive Vertreibung der Menschen durch Klimakatastrophen und Konflikte, verschärft durch Überschwemmungen, die Corona-Pandemie (COVID-19) und eine Invasion von Wüstenheuschrecken.
In den vergangenen Jahren wurde Äthiopien von einer besonders extremen Dürre in den Hochlandregionen heimgesucht, ausgelöst 2016 durch einen „Super-El Niño“ und gefolgt 2017 vom Klimaphänomen La Niña mit Überschwemmungen im Tiefland. 2018/2019 stieg die Zahl der Vertriebenen exponentiell an und erreichte weltweit einen historischen Höchststand. 2019/2020, so berichtete Gebreyes weiter, sei das Land von einer Heuschreckenplage heimgesucht worden.
„Der für 2050 prognostizierte Klimawandel ist schon heute Realität“, sagte Gebreyes. „Das verschärft die Auseinandersetzungen um Ressourcen und führt zu Konflikten und Vertreibungen.“
Gebreyes erklärte die wichtigsten Risiken, die sich aufgrund des Klimawandels für die Friedensarbeit und die Konfliktvermeidung ergeben. „Die Unzufriedenheit über die prekäre Nahrungsmittelversorgung und die unsicheren Lebensgrundlagen verschärfen bereits vorhandene Spannungen“, sagte sie. „Das kann die staatliche Autorität untergraben und zu politischer Instabilität führen.“
Migration ist ein weiterer Faktor, der bestehende Spannungen weiter verschärfen kann. Beispiele für solche gefährlichen Entwicklungen sind Viehhirten, die Anbauflächen als Weideland für ihre Tiere beanspruchen, oder Landwirte, die auf Weideflächen Feldfrüchte anbauen. Ein weiteres Problem ist die Landflucht.
Die unsichere Existenzgrundlage vieler Menschen kann auch dazu führen, dass sich immer mehr Menschen bewaffneten nicht-staatlichen Gruppen anschließen und diese sich zu aktiven Kampftruppen und Milizen formieren. „2020 ist es immer öfter zu Zusammenstößen zwischen der äthiopischen Armee und nicht identifizierten bewaffneten Gruppierungen gekommen, und auch Gewalt und soziale Unruhen haben zugenommen."
Ein großer Teil der vom LWB-Länderprogramm in Äthiopien geleisteten Arbeit, so Gebreyes, befasse sich mit diesen Konflikten und den klimabedingten Vertreibungen.
Friedensarbeit durch Gespräche in den Gemeinschaften
„Wir reichen allen Konfliktparteien die Hand ohne Unterschiede und ungeachtet ihrer religiösen Überzeugungen“, sagte Gebreyes. Dies ist eines der wichtigsten Kriterien für die Arbeit einer glaubensgestützten Organisation.
Ein Beispiel für eine friedensfördernde Maßnahme sind die „Gemeinschaftsgespräche“, die vom LWB ins Leben gerufen wurden und an denen sich Rückkehrende aus Somali und die Oromo-Aufnahmegemeinschaften beteiligt haben. „Diese gemeinsamen Treffen haben dazu beigetragen, dass sich beide Parteien besser verstanden haben und ihre Vorurteile überwinden konnten“, sagte Gebreyes.
Friede und sozialer Zusammenhalt besonders innerhalb der Vertriebenen- und Rückkehrergruppen erfordern „Programme, um Handlungsfähigkeit, Empathie und mitfühlende soziale Verantwortung des Individuums zu fördern“, betonte Gebreyes.
„Religiöse Führungspersönlichkeiten und ältere Respektspersonen habe eine wichtige Funktion als Friedensstifter und -stifterinnen“, erklärt Gebreyes. „Sie genießen den Respekt ihrer Gemeinschaften und können sich auf der Bürgerebene für friedensbildende Maßnahmen einsetzen.“
„Ein glaubensinspirierter Handlungsansatz auf Grundlage von Erfahrungen auf Ebene der Basisarbeit bedeutet, dass man das komplexe Geflecht miteinander verbundener Konfliktursachen beachtet“, sagte Sivin Kit, LWB-Programmreferent für öffentliche Theologie und interreligiöse Beziehungen und Moderator der Veranstaltung. „Friedensinitiativen im Zusammenhang mit humanitärer Arbeit und einem auf Menschenrechten begründeten Ansatz müssen nachdrücklicher durchgeführt werden, wenn sie eine Antwort auf klimabedingte Konflikte und Umweltausbeutung sein sollen.“