„Die Kirche ist kein Selbstzweck“

ELKIR-Bischof Arri Kugappi (li.), LWB- Generalsekretär Pfr. Martin Junge (Mi.) und LWB-Europareferentin Pfarrerin Dr. Eva Sibylle Vogel-Mfato (re.) auf dem Friedhof von Keltto, ein geheimer Treffpunkt für Gottesdienste in der Sowjetzeit. Foto: FELM/Pekka Mikkola

LWB-Generalsekretär Junge betont bei Russlandbesuch Missionsauftrag der Kirche

(LWI) – Im Angesicht der rapiden und komplexen Veränderungen des 21. Jahrhunderts dürfe sich die Kirche nicht von der Welt abwenden. Das mahnte der Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes (LWB), Pfr. Martin Junge, anlässlich eines Russlandbesuchs.

In seiner Ansprache am Eröffnungstag der Generalsynode der Evangelisch Lutherischen Kirche in Russland (ELKR) vom 16. bis 19. September in der Nähe von Sankt Petersburg bat er die Delegierten eindringlich, sich nicht nur auf das Überleben der Kirche zu konzentrieren.

„In Jesus Christus wird deutlich, dass Gott sich aufgemacht hat, um dem Menschen dort zu begegnen, wo er sich befindet: in seinen täglichen Lebenszusammenhängen, mit seinen Freuden und Leid, mit seinen Widersprüchen und seiner Angewiesenheit auf Liebe und Vergebung, auf Hoffnung und Frieden“, sagte Junge den im Theologischen Seminar in Nowosaratowka versammelten geistlichen und weltlichen Kirchenmitgliedern.

Die Kirche könne keine andere Bestimmung haben als eine Teilnahme an Gottes liebender und vergebender Zuwendung zur Welt. Die Kirche sei somit kein Selbstzweck, den es zu behaupten und zu sichern gelte, mahnte Junge.

„Wie kommt es, dass sich die Kirche immer wieder von der Welt abwenden möchte? Und wenn Gott diese Welt so liebt, woher dann diese oftmals so tiefe Verachtung und Abneigung, die aus kirchlichen Voten und Haltungen spricht?“

Eine Kirche, die sich als Teil der Missio Dei verstehe, könne sich den Komplexitäten der Welt nicht entziehen, sondern müsse ihnen als Ausdruck von Gottes barmherziger, vergebender Liebe standhalten, so Junge.

Der LWB-Generalsekretär erläuterte, dass es bei der in Jesus Christus offenbarten Zuwendung Gottes um den ganzen Menschen geht, ganz gleich ob er unter der Entfremdung mit sich selbst leidet, weil Sünde ihn entzweit, ob er an den Rand gedrängt sei wegen seiner Herkunft, seiner Lebensführung, seines Geschlechts, oder weil er unter Krankheit und Hunger leide. „Es geht Gott um ein Leben in Fülle, um umfassende Versöhnung, um Gerechtigkeit und um Frieden“, betonte Junge.

„Nicht jede Kirche kann sich gewaltige diakonische Institutionen und Projekte leisten, so wie auch nicht jede Kirche auf die vielfältigen, zum Teil höchst komplexen sozialen Probleme eine Antwort wird bieten können. Und doch sollten die Kirchen nicht unterschätzen, wie viel sie tun können, wenn es darum geht, in der Liebe zum Nächsten von Gottes unermesslicher Liebe zu sprechen“, führte Junge aus.

Versöhnung und 500 Jahre Reformation

Der LWB-Generalsekretär traf sich auch mit den Führungspersonen der Evangelisch-lutherischen Kirche Ingermanlands in Russland (ELKIR) in Sankt Petersburg, nahm an Andachten in der Marien-Kathedrale teil und besuchte den Friedhof in Keltto, heimlicher Treffpunkt von Christen während der Sowjetära.

Hauptthema bei seinen Gesprächen mit ELKIR-Bischof Arri Kugappi, den Leitenden der Evangelisch Lutherischen Kirche in Russland (ELKR), Erzbischof Dietrich Brauer und Bischof Otto Schaude, und dem Gouverneur von Sankt Petersburg Georgij Poltawtschenko war das 500-jährige Reformationsjubiläum 2017.

Junge betonte das Engagement des LWB für Versöhnung unter den Völkern und den Kirchen und unterstrich, dass es bei den Jubiläumsfeierlichkeiten nicht um „die vor 500 Jahren diskutierten Divergenzen“ geht, sondern darum, was Reformation heute bedeutet. Die lutherischen Kirchen wollen Brücken bauen statt zu Stolpersteinen zu werden.

Das neue Leben der Kirche

Wie Bischof Brauer erläuterte, gehören zu den Vorbereitungen der ELKR auf 2017 die Renovierung des Kreuzes auf der Petri-Kirche als Symbol für die Wiedergeburt der Kirche nach Jahren der Unterdrückung, der Bau einer neuen Orgel in der Kirche und die Veröffentlichung eines Buches über eine lutherische Pastorentochter. Er dankte auch dem Gouverneur für seine Unterstützung bei der Gestaltung des Platzes, auf dem die Marienkirche einst stand, im Andenken an die Opfer und Überlebenden der Belagerung Leningrads während des Zweiten Weltkriegs.

„Durch diese pädagogischen Elemente möchten wir das Reformationsjubiläum zu einer internen Feier machen, bei der wir uns auf den Kontext unserer Kirche besinnen“, erklärte der Erzbischof. Er ergänzte, dass die Lutheranerinnen und Lutheraner auch die wachsenden Beziehungen mit der Römisch-katholischen Kirche weiter festigen wollten.

Bischof Kugappi sprach von den Renovierungsplänen für die St.-Annen-Kirche, die als Teil der laufenden Unterstützung für soziale Projekte von der Stadt mitgetragen werden könnten. „Durch unseren Einsatz für notleidende Menschen, insbesondere unsere Bauvorhaben für zwei Altersheime, haben wir uns besser kennengelernt“, erklärte er.

Eckpfeiler menschlicher Werte

Gouverneur Poltawtschenko erläuterte, die Gründung von Sankt Petersburg sei eng verbunden mit der Ansiedelung verschiedener Konfessionen, weshalb die Stadt gegenwärtig über 400 Gemeinden unterstütze. Dass viele „Menschen lutherischen Glaubens hier in der Wissenschaft oder in öffentlichen Verantwortungspositionen gearbeitet haben, ist für unsere Stadt wichtig, und die lutherischen Gemeinden sind für ihre Tätigkeiten im humanitären und Bildungsbereich bekannt“, erklärte er.

Auf die Frage nach der Zusammenarbeit der Stadt mit der lutherischen Kirche für gemeinsame Feierlichkeiten zum Reformationsjubiläum mit anderen Kirchen bestätigte der Gouverneur seine Unterstützung und ergänzte, „die Kirchen heutzutage sollten zu den Eckpfeilern für menschliche Werte werden, zur Erbauung der Menschen vor dem inneren Ringen“. Er betonte, dass auch die Erhaltung anderer Kirchengebäude in Zukunft unterstützt wird.