Malaysia: Wir müssen Gottes Stimme in der Stille gewahr werden

Steven Lawrence, Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Malaysia

Interview mit Steven Lawrence, Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Malaysia

(LWI) – Der malaysische Bischof Steven Lawrence hat sein Amt mitten in der COVID-19-Pandemie angetreten. Im folgenden Interview spricht er über den Dienst in einem multireligiösen und multikulturellen Kontext und darüber, was es für ihn bedeutet, zum Lutherischen Weltbund (LWB) zu gehören. Auch hat er an der alljährlich vom LWB organisierten Klausurtagung für neugewählte Kirchenleitende („Retreat of Newly Elected Leaders“, RoNEL) teilgenommen und erzählt von seinen Eindrücken dort.

Sagen Sie doch zunächst ein paar Worte zu Ihrer Person.

Ich bin in einer mehrheitlich muslimischen Gesellschaft in Penang an der Nordwestküste Malaysias in einer christlichen Familie aufgewachsen. Unsere zwischenmenschlichen Beziehungen sind uns dort sehr wichtig. Wir respektieren den Glauben und die Traditionen der jeweils anderen, und Teil dieser Verbundenheit ist es auch, uns gegenseitig zum Essen einzuladen und zu besuchen.

Mir persönlich ist die Kirche schon von der Sonntagsschule an wichtig gewesen. Ende der 1990er Jahre übernahm ich die Funktion eines Jugendleiters und war aktives Mitglied der [internationalen konfessionsübergreifenden christlichen Jugendorganisation] „Boys‘ Brigade“. Das war eine tolle Zeit, aber als Teenager auch nicht immer einfach, weil man so viele Veränderungen durchlebt, und es kann mitunter auch belastend sein, Verantwortung für andere zu tragen. Auch als ich an der weiterführenden Schule Saint Xavier war, habe ich immer diesen sanften, aber beständigen Drang verspürt, eine Führungsrolle zu übernehmen. Die Leitung meiner Kirche hat mich damals sehr in diesem Wunsch unterstützt und mit der Zeit ist mir klar geworden, dass der Herr mich berief, der Kirche hauptberuflich zu dienen.

Wie haben Sie sich auf den hauptberuflichen Dienst vorbereitet?

Mit 22 bin ich an das Malaysia Theological Seminary, eine konfessionsübergreifende protestantische Ausbildungsinstitution in Seremban, gegangen. 2005 habe ich mein Studium mit einem Bachelor in Theologie abgeschlossen. Während meiner Studienzeit habe ich an zwei kirchlichen Programmen mitgewirkt und im Rahmen meiner praktischen Ausbildung etwa ein Jahr für den verstorbenen Bischof Dr. Julius D. Paul gearbeitet. Als Ordinations-Anwärter wurde ich dann in die lutherische Gemeinde der Guten Hoffnung in Petaling Jaya, meine erste eigene Gemeinde, entsandt und am 31. Oktober 2006 ordiniert.

Wie waren die ersten Jahre als Pfarrer?

Nur etwa neun Prozent der malaysischen Bevölkerung sind christlichen Glaubens; die Mehrheit – mehr als 60 Prozent – sind muslimischen Glaubens. Darüber hinaus gibt es buddhistische und hinduistische Gläubige und Anhängerinnen und Anhänger traditioneller chinesischer Religionen. Bei meiner ersten Entsendung 2003 nach Seremban im Bundesstaat Negeri Sembilan war ich noch Vikar. Das war aufregend und spannend, weil ich für zwei kirchliche Programme in der Gemeinde zuständig war, die sich damals noch im Aufbau befand. Wir haben uns in erster Linie auf den kirchlichen Dienst für und mit Kindern konzentriert, also die Sonntagsschule und Unterricht. Anfangs kamen sonntags nur etwa zehn Leute zum Gottesdienst; als ich 2005 wegging waren es 40 bis 50. Danach wuchs das lutherische Hilfsprogramm im Verwaltungsbezirk Rasah und wurde zur lutherischen Gemeinde Seremban, eine von heute 26 Gemeinden der ELKM. In Charis ist die lutherische Kirche immer noch mit einem Programm aktiv.

Durch diese Arbeit ist mit klar geworden, wie wichtig es ist, das Evangelium zu verkündigen, und dass es ein Rettungsanker für Menschen sein kann. Die meiste Zeit haben wir – zusammen mit anderen kirchlichen Mitarbeitenden – für und mit Menschen in benachteiligten Gemeinwesen gearbeitet; mit jenen, die von der Regierung als B40-Haushalte eingestuft werden, also Familie, die von weniger als 2.500 malaysischen Ringgit (MYR), das entspricht 537 Euro, im Monat leben müssen. Mir war es sehr wichtig, in einem Kontext zu arbeiten, in dem wir das Wort Gottes nicht nur verkündigen, sondern es im Alltag lebendig werden lassen, indem wir schauen, wir die Kirche auf die praktischen und tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen eingehen kann.

Wie haben sich diese Erfahrungen auf Ihre Arbeit in anderen Gemeinden ausgewirkt?

Diese Arbeit haben nicht nur die kirchlichen Hilfsprogramme beeinflusst, sondern auch schon meine ersten Jahre als Theologiestudent, in denen ich mit mir selbst darum rang, was es für mich bedeuten sollte, der Kirche zu dienen. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Bischof Paul, in dem ich ihn fragte, warum es in der Kirche so viele Probleme gibt. Er schaute mich an und sagte: „Weil wir, die Menschen, die Kirche sind und es da immer Probleme geben wird. Deshalb hat Gott uns als Führungspersonen die Aufgabe anvertraut, das Evangelium zu verkündigen und Fürsorge für die Kirchen zu tragen.“

Seine Antwort hat mich sehr bewegt. Mir ist klar geworden, dass die Führungspersonen in der Kirche diese Funktion nicht innehaben, weil sie so rechtschaffen sind oder weil die Kirche Probleme zu bewältigen hat. Sondern dass Gott diesen Führungspersonen in seiner Gnade die Hirtenfunktion anvertraut hat, damit sie das Evangelium von Jesus Christus verkündigen und somit Sorge für das Volk Gottes tragen. Bischof Pauls Verständnis von Führungsverantwortung hat mich beeindruckt und inspiriert; ich hatte die Führungsaufgaben in der Kirche bis dahin auf sehr negative Art und Weise betrachtet, für mich ging es immer nur um das Lösen von Problemen. Aber nach und nach verstand ich, dass sie eine Berufung und eine Selbstverpflichtung zum Dienst sind.

Von 2006 bis 2014 war ich Pfarrer in verschiedenen Gemeinden und von 2014 bis 2017 dann LWB-Regionalreferent für Asien. 2018 bin ich in den Gemeindedienst zurückgekehrt, bis ich im November 2019 zum Bischof der ELKM gewählt und im Juli 2020 zum Bischof geweiht wurde.

Sie haben das Bischofsamt mitten in der COVID-19-Pandemie übernommen. Wie hat sich das auf die Kirche ausgewirkt?

Die Mitglieder unserer Kirche sind es gewohnt, sonntags zum Gottesdienst in die Kirche zu gehen. Das schafft einen Ausgleich zwischen Alltag und diesem besonderen Tag in der Woche, der für das Beten, den Gottesdienst und die Gemeinschaft mit unseren Schwestern und Brüder in Christus reserviert ist. Die Beschränkungen aufgrund der COVID-19-Pandemie haben uns all das genommen und viele Gemeindemitglieder fanden das sehr schwer, weil ihnen dieser Teil ihres Lebens nun fehlte. Es brauchte seine Zeit, bis man sich an die Online-Formate, die wir auch für virtuelle Besuche nutzten, gewöhnt hatte, aber immerhin konnten wir so einen neuen Raum für das Miteinander schaffen, auch wenn es nicht von Angesicht zu Angesicht möglich war. Und als die Regierung die Beschränkungen dann nach und nach aufhob und sich das Land allgemein wieder öffnete, kamen insbesondere bei den besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen neue Ängste auf. Auf dem Höhepunkt der COVID-19-Pandemie mussten wir immer wieder entscheiden, wer persönlich in die Kirche zum Gottesdienst kommen durfte und wer nicht, zum Beispiel mit Blick auf Kinder und Seniorinnen und Senioren mit Vorerkrankungen. Es ist ja unbedingt erforderlich, dass sich die Menschen in der Kirche sicher fühlen. Im Moment können alle Altersgruppen persönlich zum Gottesdienst kommen.

Hat die Pandemie das Verständnis der Kirche von ihrem Dienst verändert?

Während der Lockdowns war es schwierig, den Kontakt zu allen Gemeinden aufrechtzuerhalten. Zudem hatten viele Gemeindemitglieder ihre Jobs verloren und es war schwierig, allen zu helfen, aber wir haben uns bestmöglich gegenseitig unterstützt. Wir haben auch eine neue Initiative ins Leben gerufen, die wir den „pastoralen Fürsorgedienst“ nennen. Die Gemeinden mobilisieren dabei vor Ort Unterstützung und verteilen Lebensmittel und andere Hilfsgüter an bedürftige Familien und Gemeinwesen. Leider spüren wir die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie immer noch im ganzen Land. Aber eine der Lektionen aus der Krise ist, wie wichtig es ist, die Menschen zu informieren. Einfache tägliche Updates sorgen dafür, dass die Menschen besser Bescheid wissen, was passiert und wie sie im Notfall helfen können. Ich hoffe, wir können das fortführen.

Sie waren einer der Teilnehmenden an der diesjährigen Klausurtagung für neugewählte Kirchenleitende von LWB-Mitgliedskirchen. Was ist Ihnen von dieser Tagung besonders in Erinnerung geblieben?

Es war mein erstes internationales Treffen als Bischof der ELKM und war daher sehr wichtig für mich. Ich hatte mich sehr darauf gefreut, meine Schwestern und Brüder in leitenden Funktionen in LWB-Mitgliedskirchen aus anderen Teilen der Welt kennenzulernen und mich mit ihnen über unseren Dienst in der jeweiligen Heimat und der lutherischen Kirchengemeinschaft auszutauschen. Das Wort Gottes offenbart immerzu neue Lektionen und so war es auch in unseren Reflexionen zu 1.Könige 19, wo es um Elias Auseinandersetzung mit seinen Führungskompetenzen geht. Aber leider verpassen viele Kirchenleitende mit ihren vollen Terminkalendern Chancen, das Wort Gottes in der Stille zu hören. Daher war die Klausurtagung wie viele andere LWB-Plattformen für Kirchenleitende ein sicherer Ort, um uns daran zu erinnern, dass wir Gott in der Stille begegnen müssen, dass wir Kontakte brauchen, dass wir gemeinsam beten und als Glieder des einen Leibes Christi einander unterstützen müssen.

Welche Bedeutung hat es für Sie und für Ihre Kirche, zur LWB-Gemeinschaft zu gehören?

Für mich bedeutet die Mitgliedschaft der ELKM im LWB eine globale Partnerschaft mit lokaler Agenda. Es geht darum, Einzelpersonen zu finden und ihre Kapazitäten für den theologischen und diakonischen Dienst weiterzuentwickeln. Das sorgt für eine Zukunftsfähigkeit der ELKM und Kontinuität im Dienst an ihren Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern gleichermaßen – auf lokaler und globaler Ebene, innerhalb der LWB-Gemeinschaft von Kirchen und vor allem in Asien und mit anderen ökumenischen Partnern.

Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.

LWB/P. Mumia. Deutsche Übersetzung: Andrea Hellfritz, Redaktion: LWB/A. Weyermüller