Venezuela: Kirche priorisiert bei Wiederherstellung von Existenzgrundlagen die Bedürfnisse von Frauen
Vom LWB unterstützte Projekte schaffen Resilienz
CARABOBO, Venezuela /GENF (LWI) – Die Tatsache, dass Frauen aus einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen oftmals mit der schwierigen Entscheidung konfrontiert sind, ob sie ihre eigenen Grundbedürfnisse decken oder ihre Familien mit Nahrungsmitteln und anderen Dingen des täglichen Bedarfs versorgen, bleibt hinter den sichtbaren Auswirkungen einer komplexen humanitären Krise zumeist im Verborgenen. Im Norden Venezuelas unterstützt die örtliche lutherische Kirche Frauen, indem sie ihnen Zugang zu sicheren und bezahlbaren Artikeln für die Menstruationshygiene verschafft und sie parallel zurüstet, alternative Einkommensquellen zu erschließen, und mit ihnen über eine frühzeitige Prävention geschlechtsspezifischer Gewalt spricht.
In den Stadtteilen La Isabelica und Ricardo Urriera im Stadtbezirk Miguel Peña von Valencia im Norden Venezuelas führt die Evangelisch-Lutherische Kirche in Venezuela (IELV) Workshops durch und verteilt Menstruationstassen an Frauen, deren finanzielle Möglichkeiten nicht nur durch die politische und wirtschaftliche Krise im Land, sondern nun auch zusätzlich noch durch die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie äußerst begrenzt sind. Ziel des Projektes sei es, „sicherzustellen, dass Frauen eine kostengünstige Möglichkeit für den Umgang mit ihrer Periode haben, ihren Tätigkeit ohne Unbehagen nachgehen können und ihr subjektives Gefühl, in Würde leben zu können, wiederherzustellen“, erklärt Judith Bracho Villegas, die Projektkoordinatorin.
„Wenn das Familieneinkommen begrenzt ist, ist die Monatshygiene nicht so wichtig, wie dafür zu sorgen, dass die Familie etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf hat. Die Bereitstellung von Menstruationstassen, einem wiederverwendbaren Hygieneartikel, ist für diese Frauen eine große Hilfe. Ihnen wird dadurch Freiheit und Würde zurückgegeben“, erläutert Bracho.
COVID-19-Soforthilfe-Fonds
Der Lutherische Weltbund (LWB) hat das auf sechs Monate angelegte und von der IELV eingereichte Projekt mit Mitteln aus seinen COVID-19-Soforthilfe-Fonds unterstützt. Die Mittel aus diesem Soforthilfe-Fonds helfen den Mitgliedskirchen der weltweiten Kirchengemeinschaft, die durch die globale Pandemie hervorgerufenen dringendsten Grundbedürfnisse der Menschen in ihren Gemeinden und ihrem lokalen Umfeld kurzfristig zu decken und langfristigere Wiederaufbauprojekte dort zu realisieren. In Venezuela hat auch das Länderprogramm des LWB-Weltdienstes die Kirche in einigen Implementierungsphasen des Projekts begleitet.
Bracho erklärt, dass viele Frauen in einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen alte Kleidungsstücke zerrissen und während ihrer Monatsblutung als Bindenersatz genutzt hätten, weil sie sich Binden oder Tampons einfach nicht leisten konnten. „Das hat natürlich Auswirkungen auf ihr Selbstvertrauen und ihr Selbstwertgefühl und hindert sie zudem daran, ganz normalen Alltagsaktivitäten außerhalb der eigenen vier Wände nachzugehen. Besonders schlimm war das für alle, die früher einer geregelten Beschäftigung nachgegangen sind oder in der Aus- oder Weiterbildung waren.“
Bis heute haben mehr als 120 Frauen von dem Projekt der IELV profitiert. Wie man die Menstruationstassen benutzt, wird in Workshops erklärt, in dem es auch ganz allgemein um Damenhygiene, um wirtschaftliche Aktivitäten zur Generierung von kleinem Einkommen und um die psychosoziale Unterstützung der Frauen geht. Ausgehend von diesen Treffen werden weitere Themen vorgeschlagen, die für die Menschen vor Ort von Interesse sein könnten; dabei wird zunehmend deutlich, dass zum Beispiel die Prävention geschlechtsspezifischer Gewalt ein wichtiges Thema ist, für das die Kirche bereits jetzt auch Unterstützung in WhatsApp-Gruppen anbietet.
Startkapital
Die Frauen erhalten darüber hinaus geringfügige finanzielle Hilfen, mit denen sie Geschäfte und Firmen gründen können, um diese von zu Hause betreiben. Yuseidy Bolivar zum Beispiel hat mit ihrem Startkapital von 80 US-Dollar ein Friseur- und Nagelstudio eröffnet, in dem sie in Teilzeit etwa 15 Kundinnen pro Monat bedient. Dank der Projekt-Chatgruppe bei WhatsApp hat sie eine Plattform, über die sie bei mehr 120 Kontakten Werbung für ihre Dienste machen kann, die ihr dann wiederum helfen können, ihr Geschäft auszubauen. „Zunächst habe ich die Vision, mehr Material kaufen zu können, um dann mehr arbeiten zu können“, sagte sie.
Das vom LWB unterstützte Projekt sei ein gutes Beispiel dafür, wie solches Startkapital einer Kirche helfen kann, die bereits umfangreiche Erfahrung mit der Ausbildung zur Selbständigkeit als Instrument zum Wiederaufbau von Existenzgrundlagen hat, berichtet Bracho. „Wir mussten wieder feststellen, dass die Frauen es nicht nur schwer haben, weil ihnen Qualifikationen und Fertigkeiten fehlen, die sich in ein erfolgreiches Geschäftsmodell übersetzen lassen, sondern dass es ohne wenigstens minimale Ressourcen ganz einfach unmöglich ist, eine selbständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Die Frauen, die von uns ein Startkapital erhalten haben, konnten kleine Geschäfte und Unternehmen gründen und tragen mit einem regelmäßigen Einkommen nun zum Familieneinkommen bei.“
Die Koordinatorin des IELV-Projekts sagt, sie hoffe, dass einige der im Rahmen des Projekts gewonnen Erkenntnisse und Lektionen der Kirche helfen können, ihre strategischen Ansätze und Konzepte noch zu verbessern und Grundsätze und bewährte Praktiken für zukünftige Projekte zu formulieren.
„Der menschliche Körper ist heilig. Die Monatsblutung ist Teil des Lebens eines jeden weiblichen Teenagers und einer jeden Frau. Sie sollte und darf nicht als peinlich oder als Grund für Stigmatisierung gesehen werden, sondern muss als Teil eines gesunden Lebens verstanden werden. Den Frauen hierfür die grundlegenden Ressourcen zu geben, gibt ihnen die Möglichkeit, ihren alltäglichen Aktivitäten voller Selbstvertrauen nachzugehen“, fügt Pfarrerin Dr. Marcia Blasi, LWB-Programmreferentin für Gendergerechtigkeit und Frauenförderung, hinzu.
Von LWB/P. Mumia