USA: Stimme der indigenen Völker fördert Bewahrung der Schöpfung

Pfarrerin Joann Conroy von der ELKA. Foto: ELKA

Interview mit Pfarrerin Joann Conroy, ELKA

ST. PAUL, USA/GENF (LWI) – Als Pfarrerin Joann Conroy von Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika (ELKA), die dem Stamm der Oglala Sioux angehört, 13 Jahre alt war, gab ihre Großmutter ihr den Sioux-Namen Winyan Wakan, der in der Sprache der Sioux so viel bedeutet wie heilige Frau. Erst viele Jahre später hat Conroy sich ihrer Berufung zum Verkündigungsdienst verschrieben.

Conroy wurde in dem Indianerreservat Pine Ridge im US-Bundesstaat South Dakota geboren und wuchs dort auf, als die Indianerfamilien noch von den Früchten der Erde dort leben konnten. Die lutherische Pfarrerin spricht im folgenden Interview über ihre Kindheit, die geprägt war von den Glaubenstraditionen der Episkopalen Kirche, über die Traditionen der amerikanischen Urbevölkerung und darüber, dass die Kirche von ihrem Volk etwas über nachhaltige und ökologische Verhaltensweise lernen könnte. Conroy erzählt, dass ihr Vertrauen in Jesus Christus auch in den herzlosen Internaten nicht zerstört werden konnte, die von einigen christlichen Organisationen mit dem Ziel betrieben wurden, die kulturelle Prägung bei den Kindern indigener Völker auszuradieren.

Conroy ist Präsidentin des Verbandes von lutherischen Angehörigen amerikanischer Indianderstämme und der Urbevölkerung Alaskas innerhalb der ELKA, der American Indian and Alaska Native Lutheran Association, und Seelsorgerin der Good Samaritan Society beim Gesundheitsdienst Sanford Health in Minnesota.

Sie haben erzählt, dass Ihr Volk sich immer vom Geist leiten lässt. Was bedeutet das für Sie persönlich?

Meine Familie war sehr aktiv in der Episkopalen Kirche engagiert. Die Diözese South Dakota dieser Kirche blickt auf eine lange gemeinsame Geschichte mit dem indigenen Volk zurück, dem auch ich angehöre, und hat uns immer respektiert und gewürdigt. Mir selbst wurde zum Beispiel auch die spirituelle Kultur der Sioux nahegebracht. In den 50er und 60er Jahren, als die amerikanischen Gesetze es der indigenen Bevölkerung verboten, ihre kulturelle Spiritualität zu praktizieren, haben viele von uns das im Privaten zu Hause gemacht. Gottesdienste fanden bei uns in der Sprache der Sioux und auf Englisch statt. Alles was ich zum Thema Gottesdienst gelernt habe, ist in einer Welt mit diesen beiden Sprachen verwurzelt. Die Menschen des indigenen Volkes, dem auch ich angehöre, sind mit beiden Sprachen in der christlichen Kirche aufgewachsen.

Wie wirkt sich das darauf aus, wie Sie Ihren Dienst heute gestalten?

Als ich vor über 20 Jahren ordiniert wurde, habe ich unsere Sprache, unsere Lieder, unsere Geschichten, unsere Tänze, unsere Trommeln mit in die lutherische Kirche gebracht. Ich habe Rituale mitgebracht, die für uns beim Beten einfach dazugehören, zum Beispiel das Verreiben oder Verbrennen von Süßgräsern, Salbei oder Zedernholz im Gottesdienst. Ich habe die Menschen daran erinnert, dass Wasser heilig ist. In christlichen Kirchen wird Wasser zwar oft verwendet, aber es geht bis zur Taufe nie darum, dass Wasser heilig ist. Mir ist es immer gelungen, in meinen Dienst zu integrieren, wer ich als Angehörige der Sioux mit all meinen christlichen und indigenen Überzeugungen und meinem christlichen und indigenen Glauben bin. Aber das können leider nicht alle von uns. Es gibt viele Angehörige von indigenen Völkern, die in christlichen Kirchen aufgewachsen sind, aber ihre indigene Spiritualität dort nicht einbringen oder integrieren; parallel dazu gibt es viele, die nur ihre indigene Spiritualität praktizieren. Und dann gibt es Menschen wie mich, die beides miteinander verbinden. All diese Bräuche und Gewohnheiten sind ein Geschenk von Gott, das uns gegeben wurde, um Gott zu erkennen.

In ihrer Kindheit haben Sie von den Früchten der Erde, von der Jagd und vom Fischen gelebt, sie haben ihr Leben in der Natur verbracht – ist das heute auch noch so?

Da ich in St. Paul, Minnesota, lebe, ist das ziemlich schwierig. Ich komme nur selten aus der Stadt raus. Aber im Sommer nehme ich mir immer einen Monat frei und kehre in dieser Zeit nach South Dakota in die Wildnis und den Wald zurück. Dieser eine Monat, in dem ich wirklich völlig abtauche, ist mir sehr wichtig. Diese Auszeit macht mich als Mensch wieder ganz. Ich brauche die Verbindung zu dem Ort, an dem ich geboren bin, und den Menschen, von denen ich abstamme.

Wie ermutigen Sie andere, ebenso mit dem Ort, an dem sie geboren sind, und den Menschen, von denen sie abstammen, verbunden zu bleiben?

Ich frage sie nach ihrer Lebensgeschichte. Wenn man einen indigenen Menschen fragt, wo er oder sie herkommt, beginnen wir normalerweise mit „Also mein Großvater war...“, denn das beschreibt unsere Herkunft. Wenn man sich die Lebensgeschichte eines Menschen anhört, kehren die Menschen in ihrem Erzählen dorthin zurück, wo sie herkommen. Manchmal müssen wir es unserem Geist richtiggehend erlauben, sich an diesen Ort zu erinnern.

Indigene Menschen verlieren oder vergessen die Heiligkeit dieses Ortes oder der Umwelt dort nie. Es ist Teil dessen, was wir sind, weil es in uns lebt und wir es atmen; es ist ein Teil unseres alltäglichen Seins.

Der Lutherische Weltbund (LWB) engagiert sich für Klimagerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung. Wie können sich Kirchen da Ihrer Meinung nach einbringen?

Ich sehe, dass die Kirche wirklich um eine Lösung dieser Probleme bemüht ist, indem sie sie immer wieder thematisiert und den Menschen immer wieder in Erinnerung ruft. Weil im LWB so viele verschiedene Kulturen und Strukturen vertreten sind, können wir alle voneinander viel über die Bewahrung der Schöpfung lernen. Die Bezeichnung „indigen“ beschreibt eigentlich nicht nur die Ureinwohnerinnen und Ureinwohner eines Landes oder einer Region, sondern alle, die in ihrem jeweiligen Land und Klima eingeboren und heimisch sind, die wissen, wie man am besten im Einklang mit der Erde lebt und sich um die Bewahrung dieser kümmert.

Wenn die Kirche sich also für diese Dinge einsetzen will, ist es wichtig, dass sie all diesen Menschen zuhört und nicht nur eine Strategie „des guten Willens“ formuliert, ohne darauf zu hören, was all diese Menschen beitragen können. Es bringt nichts, eine Strategie und Grundsätze von den Kirchen zu haben, wenn den Stimmen der indigenen Völker in aller Welt beim Formulieren dieser Strategien und Grundsätze kein Gehör geschenkt wird.

US-Präsident Biden hat die Kongressabgeordnete Deb Haaland, eine amerikanische Ureinwohnerin vom Volk der Laguna, für den Posten der Innenministerin nominiert. Sie wäre damit für die Leitung der Regierungsbehörde zuständig, die das öffentliche Land in den USA verwaltet. Was bedeutet diese Ernennung für die amerikanische Urbevölkerung?

Die Stammesregierungen und die Stammesvölker freuen sich aus ganz vielfältigen Gründen sehr über diese Ernennung, es ist eine historische Entscheidung!

Ich persönlich freue mich am meisten darüber, dass wir jetzt eine Person in diesem Amt haben, die mit der Schöpfung im Einklang lebt, die die Schöpfung versteht, eine Person, die nicht erst lernen muss, die Probleme im Zusammenhang mit der Schöpfung zu verstehen oder wie wir sie bewahren können; das alles ist nichts neues für sie.

Wenn sie dieses Amt jetzt übernimmt und sich weiterhin für konkrete Umweltschutzmaßnahmen einsetzt, wird ihre Arbeit auch weltweit auf Gegenliebe stoßen, weil andere indigene Völker ihr nicht erst lange erklären müssen, warum die Schöpfung so wichtig ist. Die Stimmen von indigenen Völkern werden Gehör finden; ihre Ernennung macht Hoffnung.

Sie haben in Ihrer Kindheit in South Dakota, USA, selbst erlebt, wie furchtbar es in den Internaten zuging, die christliche Organisationen betrieben haben. Wie können Sie das mit ihrem christlichen Glauben zusammenbringen?

Ich kann das, weil ich weiß, dass nicht Gott dafür verantwortlich ist; was dort mit uns gemacht wurde, ging von Menschen aus, die den Name Jesu Christi missbraucht haben. Ich kann das zusammenbringen, weil ich weiß, dass dort nur Menschen am Werk waren. Vor einigen Wochen wollte ich mit meinem Sohn zusammen eigentlich eine Sendung im kanadischen Fernsehen über die Geschichte von Internaten für die Kinder indigener Völker anschauen, aber ich konnte mir das einfach nicht angucken. Was in den Internaten geschehen ist, hatte mit Gott nichts zu tun. Es ist aber sicherlich einer der Gründe, warum viele indigene Menschen dem Christentum auch heute nicht trauen – und dazu haben sie allen Grund! –, aber sie können Jesus vertrauen. Deshalb beginne ich immer mit Genesis 1, wenn ich mit anderen indigenen Menschen spreche, denn was wir ganz sicher wissen ist, dass wir von Gott geschaffen wurden.

Leider bestehen diese Widersprüche überall auf der Welt noch immer. Die Tatsache, dass ich diese Art Internat selbst erlebt und durchgemacht habe, ist auch der Grund, warum ich immer ganz vorne mit dabei bin, wenn irgendetwas ungerechtes passiert. Ich kann die Menschen hinter mir zwar nicht beschützen, aber ich kann ihrer Stimme Gehör verschaffen.

Was bedeutet es für Ihre Kirche, Ihre Arbeit, Ihr Volk Teil der weltweiten Gemeinschaft von Kirchen im LWB zu sein?

Teil dieser Gemeinschaft von Kirchen zu sein bedeutet, die Kulturen der Menschen, ihre Sprachen, ihre Lieder und ihren Tanz zu feiern, denn aus der Kultur der Menschen entspringt das Bedürfnis, die Schöpfung zu bewahren.

 

Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.