UN-Menschenrechtstag

Dr. H. und sein Nachbar. Beide Männer haben mit ihren Familien Zuflucht in Kurdistan gefunden, wo eine LWB-Partnerorganisation eine mobile Klinik betreibt. Foto: LWB/ S. Cox

Thema: Religions- und Glaubensfreiheit im Irak

(LWI) – Anlässlich des UN Menschrechtstags am 10. Dezember betont der LWB das Recht auf offene und freie Religionsausübung. Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit ist ebenso ein Grundrecht wie das Recht auf die Erfüllung der körperlichen Grundbedürfnisse des Menschen.

Und doch werden viele Mitglieder der christlichen und jesidischen Glaubensgemeinschaften und auch sunnitische Moslems in den Regionen, die der Islamische Staat kontrolliert, den internationalen Menschenrechtstag am 10. Dezember in Angst um ihr Leben verbringen.

Pater Emmanuel Youkhana, Direktor der LWB-Partnerorganisation CAPNI im Nordirak, hat die jahrelange Verfolgung seiner assyrischen christlichen Glaubensbrüder erlebt. Viele von ihnen wollen auswandern. „In der gesamten Geschichte dieser Region hat die nicht-muslimische Bevölkerung gelitten“, sagt er. „Nach wie vor kann sie nicht darauf vertrauen, als geachteter Partner anerkannt zu werden”.

Eine Geschichte der Verfolgung

Es ist nicht das erste Mal, dass Christen und Christinnen aus Mosul fliehen mussten“, erzählt Pater Emmanuel. „Aber diesmal wurden sie von ihrer Nachbarschaft verraten. Damit ist die Zeit des friedlichen Zusammenlebens vorbei.“ Er erklärt, dass die assyrische Bevölkerung zwar hilflos, aber nicht ohne Hoffnung ist. „Diese Hoffnung muss aber gestärkt werden, Gefühle allein reichen nicht“.

Pater Emmanuel glaubt immer noch an ein Land, in dem Religions- und Glaubensfreiheit die Norm sind.

„Ich habe den Traum, dass die Ninive-Ebene in Zukunft einmal zu einem Ort wird, an dem Menschen friedlich zusammen leben. Solange jedoch die Menschen dort das Gefühl haben, dass sie nicht die gleichen Rechte wie alle anderen BürgerInnen in diesem Land geniessen, wird das nicht geschehen.“ Pater Emmanuel ist der Überzeugung, dass nur Geduld und eine Schutzgarantie für alle zu dem erforderlichen Vertrauen führen werden, das wir für eine Zukunft brauchen, in der alle BürgerInnen ungeachtet ihrer Religion sicher sind.

Als „Menschen des Buches“ (im Islam die Bezeichnung für nicht-muslimische Gläubige, die sich ebenfalls auf eine Offenbarungsschrift berufen), sind die christlichen Jesiden eigentlich Schutzbefohlene des Islam. Falsche Informationen über ihren Glauben haben jedoch dazu geführt, dass der Islamische Staat mit beispielloser Härte gegen sie vorgeht. Die Volksgruppe ist derzeit Opfer von willkürlichen Hinrichtungen, Entführungen und Vergewaltigungen.

Auch sunnitischen Moslems wird mit Misstrauen und Angst begegnet. Dr. H. hat im Krankenhaus von Tikrit bis zuletzt die Stellung gehalten, während ISIS bereits die Stadt terrorisierte und sich Gefechte mit der irakischen Armee lieferte. Sein Engagement überstieg seitlangem seine Pflicht. Als Facharzt für Innere Medizin versorgte er eine Vielzahl von Schwerverletzen und führte Operationen durch, während Luftangriffe und explodierende Autobomben seine Stadt im Schutt und Asche legten. Als seine Notaufnahme bombardiert wurde und dem Krankenhaus die Arzneimittel ausgingen, hörte er schliesslich auf den Rat seines Nachbarn, eines früheren ranghohen Militärs, und verließ die Stadt, um seine Familie zu schützen.

Aggression auch gegen Sunnitische Moslems

„Ich war für die irakische Armee ein Feindbild, weil ich Sunnit bin. Sie betrachten uns als Gegner des Islamischen Staates. Erst als mich mein Nachbar anrief und mir sagte, dass wir gehen sollten, haben wir die Stadt verlassen. Aber das fiel mir schwer, da ich den Menschen immer noch helfen wollte“, sagt er.

Auf seine Fahrt stadtauswärts wurde er an drei ISIS-Kontrollposten angehalten. „Sie haben mich gefragt ‚Warum wollen Sie das Krankenhaus verlassen?`“ Zum Glück fanden sich weder sein Name noch das Fahrzeugkennzeichen in der Datenbank der Milizen an den Kontrollposten.

Ironischerweise wurde ihm wenig später an den Kontrollposten der kurdischen Region als Moslem fast die Einreise verweigert. Derselbe Glaube, der zunächst zum Flüchtling gemacht hatte, führte nun dazu, dass er sich nicht in Sicherheit bringen konnte. Er musste einen Freund anrufen, der für ihn bürgen konnte, sonst hätte man ihn wieder zurückgeschickt.

Inzwischen lebt er mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern in einem bescheidenen Haus in dem kleinen christlichen Dorf in Kurdistan. Dort steht die älteste noch existierende Kirche, die nicht von Saddam Hussein-Regime zerstört wurde. Dr. H. und sein Nachbar haben hier an diesem Ort so etwas wie Frieden gefunden.

„Wir haben uns dieses Leben nicht ausgesucht, aber was sollen wir tun? Wenigstens gibt es hier keine Trennlinien. Meine Nachbarn sind eine christliche Familie aus Mosul. Wir leben sehr harmonisch zusammen, die nachbarschaftlichen Beziehungen sind wirklich gut. Wir behandeln alle Menschen so, wie wir selbst behandelt werden wollen“, sagt der Arzt.

Auf die Frage: Was wünscht du dir am meisten? Haben diejenigen, die vor dem Terror geflohen sind, alle die gleiche Antwort: „Das Recht, in meinem Land mit der Religion meiner Vorfahren in Frieden zu leben und gemeinsam mit meiner Glaubensgemeinschaft zu beten, wo und wie es mir beliebt. Oder anders gesagt – meine Menschenrechte.“

Erklärungen des LWB-Rates

Auf seiner Tagung 2014 hat der LWB-Rat die öffentliche Erklärung „Fremde willkommen heissen“ verabschiedet, die Mitgefühl und Verständnis für Flüchtlinge und MigrantInnen fordert. „Es gehört zu unserer Pflicht, den Bedürftigen unabhängig von ihrer Religion, ihres Geschlechts oder ihrer Nationalität mit Liebe zu begegnen“, heisst es in der Erklärung.

Die LWB-Abteilung für Weltdienst hilft den Menschen, die durch den ISIS-Terror aus Dohuk und der Ninive-Ebene vertrieben wurden. Der LWB sorgt für Unterkünfte, Wasser und sanitäre Einrichtungen und stellt ebenfalls Hilfsgüter wie Decken, Matratzen und Kochgeschirr zur Verfügung. Der LWB ist ebenfalls daran beteiligt, Schulen wieder für den Unterricht herzurichten, in denen Flüchtlinge während des Sommers untergebracht waren.

In Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Folteropfer Jiyan in Kirkuk leistet der LWB psychologische Hilfe. Ein Schwerpunkt besteht zurzeit darin, die Menschen auf den Winter vorzubereiten und mit Winterkleidung und Heizgeräten zu versorgen.