Uganda: Eine neue Familie für Kriegswaisen

Nyaring, 13, kam als Flüchtling aus dem südsudanesischen Bor nach Uganda. Der LWB hat ihr eine Hütte gebaut und unterstützt sie mit Geld und Schulmaterial. Foto: LWB/ M. Renaux

„Vertrauen, dass jemand für sie sorgt“

Adjumani (Uganda)/Genf (LWI) – In der Primarschule Ayilo 1 laufen die Prüfungen, und Nyarings (Name geändert) Lächeln lässt ahnen, dass Mathe und Sozialkunde ihr nicht schwergefallen sind. „Sie haben uns nach den verschiedenen Regionen Ugandas gefragt“, erinnert sich die 13-Jährige und wirft verstohlene Blicke auf ihre Freundinnen, die kichernd einige Meter entfernt stehen.

Sieht man Nyaring lächeln, kann man sich nicht vorstellen, was für eine drastische Entwurzelung das junge Mädchen bereits erfahren hat. Sie ist ein Flüchtling aus Bor in Jonglei, dem am schwersten von dem seit einem Jahr im Südsudan tobenden Konflikt betroffenen Bundesstaat. „Wir haben geschlafen, als das Schiessen anfing“, erinnert sie sich. „Mein Vater hat uns gesagt, wir sollen weglaufen. Wir sahen Leute mit Gewehren, andere rannten davon. Ein Mann mit einem Motorboot hat uns geholfen und uns über den Fluss gebracht.“

Kinder sind besonders gefährdet

Nyaring verlor an diesem Tag ihren Vater. Sie und ihre drei Geschwister waren nun Waisen. „Wir sind gelaufen. Wir haben im Busch geschlafen“, erinnert sie sich an die folgenden Tage. Sie legte einen weiten Weg zurück, bevor sie im Flüchtlingslager Adjumani ankam. Dort lebt sie heute mit zwei jüngeren Geschwistern bei einer Tante.

Kinder wie Nyaring gibt es in bewaffneten Konflikten leider viele. Sie gelten als unbegleitete Minderjährige, Kinder, die entweder auf der Flucht von ihren Familien getrennt wurden oder bereits ohne ihre Eltern fliehen mussten. In dieser Position sind sie besonders gefährdet, Opfer von Ausbeutung oder Vernachlässigung zu werden. In den ugandischen Flüchtlingslagern Adjumani und Rwamwanja kümmert sich der Lutherische Weltbund (LWB) darum, dass diese Kinder versorgt werden, bringt sie in Pflegefamilien unter und kontrolliert, ob es ihnen in der neuen Familie gut geht.

Nyaring wurden eine Unterkunft und Geld für Schulmaterialen zur Verfügung gestellt. Sie wird von LWB-Mitarbeitern aus Uganda und aus der Flüchtlingsgemeinschaft begleitet. Diese besuchen sie regelmässig und sprechen mit ihr und ihren Geschwistern, um sicherzustellen, dass man sich um sie kümmert und sie gut behandelt. Wo sich keine Pflegefamilie findet, bleibt als Alternative das Betreuungszentrum des LWB für unbegleitete und von ihren Familien getrennte Kinder. Dort wird unter anderem darauf geachtet, dass die Kinder weiterhin die Schule besuchen. Andere Organisationen wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, suchen unterdessen nach den Angehörigen der Kinder.

„Meistens ist sie ein wirklich glückliches Kind“, sagt Santa Lamunu über Nyaring. Lamunu ist beim LWB zuständig für die Begleitung von Schutzbedürftigen in Adjumani. „Wenn die Kinder hier ankommen, sind sie sehr schüchtern und traumatisiert. Es dauert seine Zeit, bis sie sich öffnen.“ Nyaring fehlen ihr Zuhause, die Hütte aus Gras und die Tiere. Die Familie hatte Rinder und 13 Ziegen, für die das Mädchen verantwortlich war. Auch sie wurden der Familie in dem Konflikt geraubt. „Mit Ziegen kann ich gut umgehen, aber hier gibt es keine“, meint Nyaring.

Die Sicherheit, dass jemand sich kümmert

Nyaring hatte das Glück, auf der Flucht ihre Tante zu treffen. Sie hatte also bereits eine Pflegefamilie, die dann vom LWB nur noch überprüft und offiziell registriert wurde. „Aufgrund des andauernden Konflikts ist es sehr schwierig, die Kinder mit ihren Familien zusammenzuführen“, erläutert Lamunu.

Zweieinhalb Stunden von Nyarings Zuhause entfernt versucht Colleen Betty Ariye das Unmögliche. Sie ist 66 und Mutter von sieben Pflegekindern. Vier davon sind ihre Enkelkinder, eines ein Urenkelkind. Sie weiss nicht, wo ihre Tochter, die Mutter ihrer Schützlinge, ist. Zuletzt hat sie gehört, sie sei in Bor getötet worden. Der Vater der Kinder war Fahrer bei der Armee und wurde ebenfalls Opfer des Konflikts.

Während die Kinder in der Schule sind oder am Vorschulprogramm teilnehmen, putzt die Pfarrerswitwe, kocht, sammelt Feuerholz und kehrt den nahegelegenen Markt, um Geld zu verdienen. Am Wochenende helfen ihr die älteren Kinder. „Sie haben eine sehr starke Bindung entwickelt“, stellt Lamunu fest. Angesichts ihres Alters sorgt sich Colleen um die Zukunft der Kinder, die zum Teil noch sehr klein sind: „Ich habe die Unterstützung des LWB und kann nur darauf vertrauen, dass man für sie sorgt.“

Vor der Hütte der Grossfamilie liegen Flipflops, eine zweite Hütte auf dem Stück Land, das ihr zugewiesen wurde, ist noch nicht fertiggestellt. „Manchmal wache ich auf und weiss nicht, was ich tun soll“, erzählt Colleen. „Es ist sehr schwer.“ Der LWB unterstützt sie bei der Versorgung der Kinder, hat ihr die Unterkunft und Bargeld zur Verfügung gestellt und sie wird regelmässig von LWB-Sozialarbeitenden besucht. „Die älteren Kinder wissen, dass ihre Mutter tot ist. Die jüngeren glauben, ich sei ihre Mutter“, erzählt Colleen.

Der LWB engagiert sich dafür, dass die Schwächsten in den Gemeinschaften, entsprechend ihren psychischen, körperlichen und sozialen Bedürfnissen, materielle Hilfe, Unterstützung und professionelle Betreuung erhalten, und sorgt für ihre volle aktive Einbindung in die Gesellschaft.