Polen: Unterstützung geflüchteter Frauen

Anna Kucman vom Kommunalen Zentrum für die Unterstützung von Familien berichtet auf einem Workshop über Gewalt an Frauen und informiert darüber, welche Hilfsangebote es für Frauen gibt. Der Workshop wurde vom LWB-Gemeinschaftszentrum in Danzig, Polen im Rahmen der „16 Aktionstage gegen Gewalt an Frauen“ organisiert. Foto: LWB/A. Brzozowski

LWB-Gemeinschaftszentren erkennen und verhindern geschlechtsspezifische Gewalt

(LWI) – „In einem Krieg ist es meistens so, dass wir nur auf die Menschen stolz sind, die kämpfen. Das sind diejenigen, die an der Front stehen, Leben retten und als Freiwillige dienen. Aber wir vergessen oft die Frauen, die den Mut aufbringen, ihre Heimat zu verlassen und mit ihren Kindern an einen sichereren Ort zu ziehen“, sagt Maria Kurashinka, Produzentin und Fotografin. Mit ihrer Mitarbeiterin Polina Solyanko, Projektmanagerin und Texterin, hat sie das Fotoprojekt „Ya Taka Smilyva“ (Ukrainisch: „Ich bin so mutig“) ins Leben gerufen, um die Stärke und den Mut ukrainischer Frauen zu feiern. Die beeindruckenden Porträts dieser Frauen werden zurzeit im Lutherischen Gemeinschaftszentrum in Danzig, Polen gezeigt.

Diese Ausstellung ist eine von zahlreichen Veranstaltungen und Aktivitäten, die die sechs LWB-Gemeinschaftszentren in Polen für die jährlich stattfindenden „16 Aktionstage gegen geschlechtsspezifische Gewalt“ vom 25. November bis 10. Dezember organisiert haben.

Risiken auf der Reise

In den meisten Fluchtszenarien sind es in erster Linie Frauen und Kinder, die zu den Vertriebenen gehören. Dies gilt umso mehr für die Situation der Flüchtenden infolge des Krieges in der Ukraine. Das Kriegsrecht verbietet es Männern im wehrfähigen Alter, das Land zu verlassen. Aus diesem Grund übernehmen jetzt immer mehr Frauen den Part des alleinerziehenden Elternteils und Haushaltsvorstands.

„Frauen, die migrieren, sind anfälliger für wirtschaftliche und emotionale Ausbeutung, wenn sie unterwegs in ein fremdes Land sind und sich dort behaupten müssen“, erklärt Viktoriia Svidovska, die für den LWB als psychosoziale Betreuerin in Polen tätig ist.  „Die schwierige Lage, das Leben in einem fremden Land bewältigen zu müssen und oft die einzige Bezugsperson für Kinder und alte Eltern zu sein vor dem Hintergrund finanzieller, durch den Krieg bedingter Schwierigkeiten bedeutet für sie, einem besonders hohen Risiko ausgesetzt zu sein, ausgebeutet zu werden oder in toxischen Beziehungen zu landen.“

In einem Bericht vom Dezember bezeichnet das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) „sexuelle Ausbeutung, Zwangsarbeit, illegale Adoption, Leihmutterschaft, Zwangsbettelei und Zwangskriminalität“ als häufigste Risiken für Frauen, die aus der Ukraine fliehen. „Es besteht besonders Anlass zur Sorge hinsichtlich der Risiken im Umfeld sexueller Ausbeutung und sexuellen Missbrauchs im Internet, da viele Geflüchtete aus der Ukraine die sozialen Medien nutzen, um Unterstützung zu finden, und Frauen- und Mädchenhändler finden hier ihre Opfer auch für fragwürdige Dienstleistungen im Internet“, heißt es in dem Bericht.

Frauen, die die Ukraine erst zu einem späteren Zeitpunkt verlassen haben, sind vielleicht auch schon während des Konflikts Opfer von Gewalt geworden. Ein Bericht des SEREDA-Forschungsprojekts der Universität Birmingham berichtet über zahlreiche Zwischenfälle mit Streitkräften der Russischen Föderation, die Vergewaltigung als Kriegswaffe eingesetzt haben. Ebenfalls sollen Frauen an Grenzübergängen zu sexuellen Gefälligkeiten aufgefordert worden sein.

Aufklärung und weitergehende Betreuung

Diese traumatischen Erfahrungen, oftmals im Zusammenhang mit Fällen häuslicher Gewalt, gehörten zu der schweren mentalen Last, so Svidovska, die die Frauen mitbrächten. Mit einem Team spezialisierter Psychologinnen und Psychologen unterstützt der LWB Polen Frauen, die diese Gewalterfahrungen gemacht haben. Bei schweren Fällen besteht die Möglichkeit, die Betroffenen weiterzuverweisen. LWB Polen arbeitet zu diesem Zweck partnerschaftlich mit zuständigen Behörden und Organisationen zusammen. In Danzig zum Beispiel überweist der LWB Polen traumatisierte Überlebende an das Kommunale Zentrum für die Unterstützung von Familien, das Frauen in Hochrisikosituationen Schutz bietet. Das Zentrum arbeitet ebenfalls mit der Polizei, dem Büro des Staatsanwaltes und dem Familiengericht zusammen, wenn Kinder beteiligt sind.

Der LWB Polen hat mehrere Workshops in seinen Gemeinschaftszentren veranstaltet und leistet dort Aufklärungsarbeit zum Thema Gewalt an Frauen. In Danzig zum Beispiel arbeitet der LWB Polen partnerschaftlich mit dem Kommunalen Zentrum für die Unterstützung von Familien und der Organisation TAK zusammen. Drei Psychologinnen, zwei aus der Ukraine und eine aus Polen, haben auf einem Workshop über die unterschiedlichen Formen der Gewalt an Frauen und Mädchen sowie über Hilfsangebote informiert. Diese Workshops stehen allen Personen offen und fördern die Integration.

Für Viktoriia Svidovska steht fest, dass die Weitergabe von Informationen der erste Schritt ist, um Frauen in Not zu unterstützen. Der LWB führt zu diesem Zweck Workshops, Gruppendiskussionen und kreative Initiativen durch. „Es ist wichtig, Aufklärungsarbeit zu leisten und Frauen über alle bestehenden Formen von Gewalt zu informieren, dazu gehören auch wirtschaftliche, psychologische und sexualisierte Gewalt. Das ist ein wichtiger Schritt, um zu erkennen, ob sie selbst Gewalt ausgesetzt sind und etwas dagegen unternehmen wollen.“

Stärke feiern

Alle LWB-Gemeinschaftszentren bieten kreative Möglichkeiten und Gelegenheiten für Frauen, sich zu treffen und miteinander zu vernetzen. In Danzig haben die Frauen zum Beispiel die Möglichkeiten, Yogakurse zu belegen oder kreative Blumenarrangements herzustellen, um Abstand zu gewinnen und sich zu entspannen. „Wenn man sich diese Blumen anschaut, ist es unmöglich, sich nicht gut zu fühlen. Du bist stolz darauf, dass du etwas so Schönes anfertigen kannst“, sagt Tetiana Savytska, eine 65 Jahre alte geflüchtete Frau aus der Ukraine, die jetzt mit ihrer Enkelin in Danzig lebt. Andere berichten, das diese Aktivitäten eine Gelegenheit geboten hätten, aus dem Alltagstrott auszubrechen und sich besser zu fühlen.

Diese Art von Bestätigung ist immens wichtig, um in einer verletzlichen Lebenslage neues Selbstvertrauen aufzubauen. Viele Frauen unterschätzen den von ihnen geleisteten Beitrag, wenn sie ihre Familien in Sicherheit bringen, und auch die mentale Belastung, die täglich auf ihren Schultern ruht. Die Fotografin Kurashkina sagt: „Die meisten denken, sie seien aus ihrem Land weggelaufen. Mit diesem Projekt möchte ich allen ukrainischen Frauen zeigen, dass sie viel Mut bewiesen und etwas sehr Tapferes getan haben.“

Der LWB unterstützt die Menschen und Kirchen in der Ukraine durch humanitäre Programme in Polen und der Ukraine und durch die diakonische Arbeit seiner Mitgliedskirchen in Mittel- und Osteuropa. Unsere Arbeit wird durch Spenden von LWB-Mitgliedern und anderen Partnerorganisationen ermöglicht.

LWB/C. Kästner-Meyer, L. Gillabert. Deutsche Übersetzung: Detlef Höffken, Redaktion: LWB/A. Weyermüller