Neue Perspektiven durch interreligiöse Entwicklungsarbeit

LWB-Mitarbeitende und Mitglieder der Evangelisch-Lutherischen Kirche Nepals warten am Flughafen Biratnagar auf die Ankunft von LWB-Generalsekretär Martin Junge. Foto: LWB/Albin Hillert

LWB-Generalsekretär besucht Nepal

Kathmandu, Nepal/Genf (LWI) – „Ich bin nach Nepal gekommen und hatte dabei besonders eine Geschichte im Sinn“, berichtet der Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes (LWB), Pfarrer Dr. h.c. Dr. h.c. Martin Junge nach seiner Ankunft in Kathmandu. „Als das Erdbeben Nepal im Jahre 2015 verwüstete, waren Sie alle in Not. Ein Erdbeben wählt seine Opfer nicht aus, alle sind betroffen. Ich habe gehört, dass viele von Ihnen zum LWB-Büro gekommen sind und gefragt haben, ob Sie helfen können, und dabei waren Sie selbst Opfer dieses Erdbebens. Das ist ein starkes Beispiel für unser Zeugnis, das wir abgeben. Wir sind hier, um etwas für andere zu tun, nicht für uns.“

Junge wurde vom Präsidenten der Evangelisch-Lutherischen Kirche Nepals, Pfarrer Joseph Soren, und Mitarbeitenden des LWB-Länderprogramms begrüßt. Er besucht Nepal vom 12. bis zum 19. September, um an den Feierlichkeiten zum 75-jährigen Bestehen der Evangelisch-Lutherischen Kirche Nepals (NELC), einer LWB-Mitgliedskirche, teilzunehmen. Außerdem besucht er von der Kirche geleitete Entwicklungsprojekte.

Auf seiner Besuchsliste steht auch das LWB-Länderprogramm, das mehr als 100 Personen beschäftigt und – neben anderen Projekten – im Land humanitäre Arbeit leistet, Flüchtlinge unterstützt und Nothilfe für die Opfer von Erdbeben und Überschwemmungen bereitstellt.

Das Team ist divers aufgestellt und besteht aus einer Reihe unterschiedlicher ethnischer Gruppen in Nepal mit unterschiedlichen Glaubenstraditionen, die alle gemeinsam dem Aufruf zum Dienst folgen.

Hilfe nach dem Erdbeben öffnet die Türen für interreligiöse Arbeit

Obwohl der LWB seit mehr als drei Jahrzehnten in Nepal tätig ist, hat das Erdbeben 2015 einen ganz neuen Weg für die Nothilfe- und Entwicklungsarbeit der Organisation gewiesen.

Auf der Grundlage der Absichtserklärung von LWB und World Islamic Relief (IRW) auf globaler Ebene haben LWB Nepal und IRW Nepal im Rahmen des Projekts „Nepal Earthquake Relief Recovery and Reconstruction“ ihre Ressourcen gebündelt, um nach dem Erdbeben 2015 Hilfestellung für mehr als 34.000 betroffene Haushalte zu leisten.

Mehr als drei Jahre lang haben LWB und IRW im Distrikt Rasuwa gemeinsam für Nahrungsmittel, Notunterkünfte, Existenzsicherung, psychosoziale Unterstützung und bessere Maßnahmen zur Krisenbewältigung und Vorbereitung auf Katastrophen gesorgt.

Das Projekt war eine der Grundlagen für die jüngst von LWB und IRW veröffentlichte Handreichung: A Faith-Sensitive Approach in Humanitarian Response: Guidance on Mental Health and Psychosocial Programming.

Das interreligiöse Projekt öffnet nicht nur Augen, sondern auch Türen

„Die interreligiöse Ausrichtung unserer Erdbebenhilfe war völlig neu und einmalig“, berichtete Talha Jamal, Nepal-Ländervertreter für Islamic Relief Worldwide während eines Workshops über „Interreligiöse Entwicklungsarbeit“ in Kathmandu am 13. September.

„Dieses Projekt hat uns nicht nur die Augen geöffnet, sondern auch neue Türen. Die interreligiöse Arbeit hat uns dabei geholfen, Vorbehalte in der Gemeinschaft gegenüber einer aus dem Glauben handelnden humanitären Hilfe abzubauen, denn viele Menschen sind der Meinung, dass ein religiöser Hintergrund eine unvoreingenommene Hilfe ausschließe oder sogar mit Bekehrungsversuchen verbunden sei“, fügte Jamal hinzu. 

Gemeinsam organisiert vom LWB, Islamic Relief Worldwide Nepal und Micah Nepal, nahmen an dem Workshop zwei Dutzend religiöse Führungspersönlichkeiten, Entwicklungsagenturen und Gelehrte aus verschiedenen Glaubensrichtungen teil um Möglichkeiten zu finden, wie interreligiöse Konzepte bei der Nothilfe- und Entwicklungsarbeit in Zukunft zum Tragen kommen könnten.  

Bei den Sofortaktionen nach dem Erdbeben, so Jamal, habe man feststellen können, dass diese interreligiöse Hilfe in besonderer Weise geeignet war, Vertrauen in den betroffenen Gemeinschaften herzustellen. „Das war für das Projekt von größter Bedeutung und hat für die richtige Mischung aus Schnelligkeit und Qualität unseres Eingreifens gesorgt.“

Daran erinnern, worum es der Religion geht

„Wir scheinen in einer Zeit zu leben, in der der Grundsatz, dass Menschen in Not Menschen sind, denen geholfen werden muss, nicht mehr zu gelten scheint“, gibt LWB-Generalsekretär Junge zu bedenken.

„Und wir erleben, dass immer mehr Menschen und auch UN-Organisationen sich jetzt an religiöse Organisationen wenden und auf uns zählen, wenn es um die Aufrechterhaltung grundlegender Werte geht, wie sie in den menschenrechtlichen Grundprinzipien selbst festgelegt wurden. Gleichzeitig stellen wir in der Entwicklungsarbeit fest, dass ein großes Interesse an den Möglichkeiten besteht, die in glaubensgestützten Organisationen vorhanden sind.“

„Als Glaubensgemeinschaften sind wir oft schon vor Ort, bevor die Katastrophe eintritt. Wir sind auch dort, wenn die danach entstehende Krisensituation bewältigt werden muss, und wir bleiben auch, wenn die Krise vorbei ist. Glaubensgemeinschaften sind deshalb oft eine vertrauenswürdige Anlaufstelle, wenn es um humanitäre Hilfen geht“, sagte Junge.

„Im LWB sprechen wir über Flüchtlinge oft als Menschen, die unterwegs viel verlieren, aber niemals ihre Menschenrechte. Genauso könnten wir sagen, dass Menschen in einem Katastrophenfall viel verlieren, aber niemals ihren Glauben. Aus diesem Grund ist ein glaubenssensibles Vorgehen für die Nothilfe so wichtig.“

Joseph Soren erinnert daran, „dass es nach wie vor viele Missverständnisse und viel Diskriminierung zwischen den Religionsgruppen in Nepal gibt. Aber in diesem Workshop arbeiten wir alle gemeinsam, denn wir leben in demselben Land und haben dieselbe Kultur.

Ich bin euphorisch. All diese religiösen Führungspersonen und ihre Organisationen, ihr Engagement. Das ist ein Tag, an dem wir Hand in Hand vorangehen, gemeinsam arbeiten für den Frieden und die humanitäre Arbeit in Nepal“, sagte Soren.

„Diese Geschichten sind es, die wir brauchen. Als Menschen im Glauben müssen wir den Anspruch auf eine „robuste Moderation“ erheben und damit bekräftigen, worum es beim Glauben eigentlich geht.