Myanmar: Bildung für Kinder mit besonderen Bedürfnissen

Showkat und ihre Schwester, mit der sie die meiste Zeit verbringt. Foto: S. Thandar

LWB-Projekt ermöglicht Rohingya-Kindern mit Behinderungen den Schulbesuch

SITTWE, Myanmar/GENF (LWI) – Ein Schulbesuch ist für die rund 30.000 binnenvertriebenen Rohingya-Kinder in Myanmars Rakhine-Staat schwierig. Das gilt erst recht, wenn das Kind mit einer Behinderung lebt: Die Lehrkräfte haben keine Sonderschulausbildung, und bei überfüllten Klassen ist es schwierig, auf die besonderen Bedürfnisse dieser Kinder einzugehen. Zwei neue Projekte des Lutherischen Weltbundes (LWB), die er gemeinsam mit Humanity and Inclusion, Plan International, Save the Children und Muslim Aid UK durchführt, wollen diese speziellen Bedürfnisse von Kindern in den Lagern ermitteln und ihnen zum ersten Mal eine Chance auf Bildung geben.

Kampf ums Überleben

Die fünfzehn Jahre alte Showkat* hat noch nie eine Schule besucht. Das Mädchen kann nicht sprechen und hat Probleme beim Gehen und mit der Motorik ihrer Hände. „Wir haben es einmal im Kindergarten versucht, aber die Betreuungspersonen konnten sich nicht richtig um sie kümmern, da sie so viele andere Kinder beaufsichtigen mussten“, sagt ihre Mutter, Arefa.

Showkat und Arefa sind nur zwei von 144.000 Rohingya im zentralen Rakhine-Staat, die aufgrund der gewalttätigen Unruhen ihre Heimat verloren haben. Seit 2013 leben Showkat, ihre Eltern und ihre sieben Geschwister im Lager Ah Nauk Ywe, einer auf unbestimmte Zeit errichteten Siedlung für Binnenvertriebene. Die Familie teilt sich dort zwei Zimmer.

Die Lager für Binnenvertriebene im Rakhine-Staat sind für alle Kinder ein grosses Problem: Überfüllte Häuser, offene Feuer und unzureichende sanitäre Einrichtungen führen zu zahlreichen gefährlichen Situationen. Die 30.000 schulpflichtigen Kinder haben meistens keine Chance auf einen formellen Schulbesuch ausserhalb der Lager. Sie besuchen vielmehr provisorische Lernzentren (TCL), die von Nichtregierungsorganisationen wie dem LWB unterstützt werden und in denen ehrenamtliche Lehrkräfte ohne formelle Lehrerausbildung unterrichten.

Keine formelle Bildung

Für Kinder mit besonderen Bedürfnissen sind die Aussichten noch schlechter. Die Familie wird mit der Betreuung ihres Kindes so gut wie allein gelassen. Für Showkat sind Mutter und Schwester die wichtigsten Bezugspersonen. Sie bemerkte, dass andere Kinder zur Schule gehen, und verlangte wiederholt, ebenfalls die Schule besuchen zu dürfen. Arefa macht sich Sorgen darüber, wie das Mädchen ohne die Unterstützung ihrer Familie in alltäglichen Situationen zurechtkommen wird. „Sie möchte in die Schule gehen, aber ich weiss nicht, was sie für ihren Schulbesuch braucht.“

Yunus*, der Schulleiter von fünf der provisorischen Lernzentren im Binnenvertriebenenlager Ah Nauk Ywe, kennt das Schicksal Showkats und anderer Schüler und Schülerinnen wie sie. „Wir haben etwa vierzehn Kinder mit ähnlichen Bedürfnissen“, sagt er.

Der Schulleiter würde gerne eine eigene Klasse für sie einrichten, weiss aber nicht, wo er anfangen soll. „Wir werden qualifizierte Lehrkräfte brauchen“, sagt er. „Es wäre grossartig, wenn wir ein geeignetes Klassenzimmer hätten und wir den Kindern dort auch körperlich und psychologisch helfen könnten.“

Hochwertige Bildung für alle

Ein von der Australian Humanitarian Partnership (AHP) finanziertes Projekt wird genau diese Forderungen erfüllen. Es wird Lehrkräfte und Eltern dabei unterstützen, Kinder mit besonderen Bedürfnissen zu erkennen, und wird eine genaue Bestandsaufnahme der Herausforderungen durchführen, die die Kinder beim Besuch einer Schule bewältigen müssen.  Danach wird genau geplant, wie die Kinder diese Hindernisse überwinden können.

„Dazu können bauliche Verbesserungen in den Lernzentren gehören, die Bereitstellung von Hilfsmitteln und auch die Ausbildung von Lehrkräften, damit sie Kinder mit besonderen Bedürfnissen erkennen und sie unterstützen können, wenn sie bereits in ihrer Klasse sind“, sagt Phyu Zin Thet Naing, LWB-Bildungsbeauftragte in Rakhine.

Das Projekt zeichnet sich auch durch ein beschleunigtes Lernprogramm für ältere Schüler und Schülerinnen wie Showkat aus, um im Schnelldurchgang und auf informelle Weise versäumtes Grund- und Mittelschulwissen nachholen. Das Programm ermöglicht es älteren Schülern und Schülerinnen, schnellere Fortschritte zu machen und den Anschluss an ihre regulären Klassen zu finden.

Showkat und ihre Freundinnen und Freunde müssen allerdings noch auf ihren ersten Schultag warten: Wegen der COVID-19-Pandemie sind alle Schulen im Rakhine-Staat geschlossen. Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, arbeitet der LWB an der Änderung von Lernmaterialien für den Unterricht zu Hause, die vom Bildungsministerium von Myanmar erstellt wurden. Der LWB gestaltet sie inklusiver, damit auch Kinder mit Behinderungen mit ihnen arbeiten können.

Für Showkat und ihre Familie bewirken diese Projekte sehr viel. „Die neuen Projekte sorgen dafür, dass Kinder aus Konfliktzonen im zentralen Rakhine-Staat eine hochwertige, inklusive, sichere und geschützte Bildung bekommen, die von den Gemeinschaften und den Regierungen unterstützt wird“, sagt Jessica Gregson, LWB-Bildungskoordinatorin in Rakhine.

„Wir hoffen, dass die Entwicklung von Lehrmaterialien für den Unterricht zu Hause in Zeiten der COVID-19-Pandemie für Kinder, die nicht zur Schule gehen können, und auch für Kinder mit Behinderungen die Möglichkeit eröffnen, zum ersten Mal Unterricht zu erhalten und auf diese Weise die Voraussetzungen erwerben, in absehbarer Zeit an der formellen Schulbildung teilhaben zu können“, fügt Gregson hinzu.

*Name geändert

Das AHP-Projekt begann im Juni 2020 und hat eine Laufzeit von 30 Monaten. Der LWB führt das Projekt gemeinsam mit Save the Children und Plan International aus. Diese drei Organisationen sind für die Bildungsangebote in den Lagern für Binnenvertriebene im zentralen Rakhine-Staat mit Unterstützung von Humanity and Inclusion (HI) und Muslim Aid UK zuständig.