Mit Liebe gefertigte Handarbeiten für bedürftige Menschen

Die älteren Frauen, die sich im Busiswe Luncheon Club, Südafrika, treffen, freuen sich über die Quilts, die sie aus Kanada erhalten haben. Der Treffpunkt bietet ihnen die Gelegenheit, sich täglich zu treffen, um zu singen, gemeinsam zu essen und sich gegenseitig zu unterstützen, während ihre Familien arbeiten und in der Schule sind. Foto: CLWR

LWB-Partnerorganisation Canadian Lutheran World Relief passt Hilfsprogramm „We Care“ an

WINNIPEG, Kanada/GENF (LWI) – Ermächtigung zu mehr Selbstbestimmung statt Almosen: Canadian Lutheran World Relief (CLWR), eine Partnerorganisation des Lutherischen Weltbundes (LWB), hat sein Freiwilligen-Projekt „We Care“ (auf Deutsch etwa: ihr seid uns wichtig, wir helfen) an die veränderten Gegebenheiten in der heutigen Welt angepasst. Statt Sachspenden bekommen bedürftige Gemeinwesen jetzt finanzielle Unterstützung. Die zunehmende Sorge über den Klimawandel und seine wirtschaftlichen Auswirkungen auf die lokalen Märkte sowie logistische Überlegungen haben zu dieser Entscheidung geführt.

CLWR mit seinem „We Care“-Programm ist der für das diakonische Engagement zuständige Zweig der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Kanada (ELKIK) und der Lutherischen Kirche – Kanada. Im Rahmen dieses Programms haben kanadische Lutheranerinnen und Lutheranern bisher Hilfsgüter, Nahrungsmittel und sogar Medikamente für bedürftige Menschen in aller Welt gespendet. Auch verschiedene Programme des LWB-Weltdienstes und verschiedene LWB-Mitgliedskirchen haben in der Vergangenheit immer wieder Hilfsgüter von „We Care“ erhalten.

Maria Immonen, die Direktorin des LWB-Weltdienstes, begrüßte die Entscheidung aus Kanada. „Geflüchtete und Binnenvertriebene haben so vieles verloren – nicht nur ihr Hab und Gut, sondern auch die Würde, ihr Leben selbst in die Hand nehmen zu können“, sagt sie. „Materielle Hilfe, so nötig und hilfreich sie in Extremsituationen ist, schränkt das Recht der Personen, selbst Entscheidungen zu treffen, weiter ein und kann damit zu größerer Passivität und Hoffnungslosigkeit führen.“

„Unsere Länderprogramme haben mich gebeten, den vielen einzelnen Personen, die daran beteiligt waren, die Hilfsgüter herzustellen, zu verpacken, zu planen oder auf irgendeine andere Art und Weise involviert waren, von Herzen und persönlich zu danken. Ihr Engagement und ihre Wertschätzung für die Arbeit, die wir gemeinsam leisten, und für die Menschen, die diese Hilfsgüter erhalten, ist kostbarer als wir in Worte fassen können“, so Immonen.

Wärme und handwerkliches Geschick schenken 

Im Zentrum des „We Care“-Programms stand immer ein traditionelles kanadisches Kunsthandwerk: von Hand genähte Steppdecken, so genannte Quilts, die die Mitglieder lutherischer Gemeinden im ganzen Land in stundenlanger Handarbeit gefertigt haben. Insbesondere in Deutschland wurden nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs dringend warme Decken gebraucht. Also haben sich die Menschen in Kanada damals zusammengesetzt und genäht. Die gleichen Schiffe, die Flüchtlinge aus Europa zur Übersiedlung nach Kanada brachten, haben diese Decken und weitere Hilfsgüter dann mit zurück in die kriegsgebeutelten Länder genommen. „All diese Dinge wurden dringend benötigt und konnten in dem vom Krieg völlig zerstörten Land damals nicht hergestellt werden“, sagt Pfarrerin Dr. Karin Achtelstetter, Exekutivdirektorin von CLWR.  

Im Laufe der Zeit enthielten die Hilfslieferungen auch Kleidung, Schulmaterialien, Nahrungsmittel und Hygieneartikel. Und als es dann in Deutschland keinen Bedarf mehr gab, wurden die Adressaten der Hilfslieferungen geändert: „We Care“ hat Quilts und andere Hilfsgüter wie Spielsachen, Medikamente und Laptops an die Länderprogramme des LWB-Weltdienstes in Angola, Äthiopien, El Salvador, Indien, Jordanien und Jerusalem, Kamerun, Kenia, Liberia, Mauretanien, Nicaragua, Uganda, Ungarn und noch einige weitere geschickt.

„Unsere Länderprogramme und Nothilfeeinsätze haben sich immer über diese Hilfslieferungen gefreut“, erklärt Immonen. „Die Quilts waren immer ein besonderes Geschenk. Durch sie entstand eine neue Art des Kontakts zwischen Menschen.“

Aber auch all jene, die etwas gaben, profitierten von dem Programm. Die Gruppen, in denen gequiltet wurde, boten den Menschen in Kanada die Gelegenheit, zusammenzukommen und sich über die Lebenssituation von jenen Menschen auszutauschen, für die die Quilts bestimmt waren. Achtelstetter erinnert sich an die so genannten „bailing days“, bei denen die Freiwilligen zusammenkamen, um die Hilfsgüter zu verpacken. „Auf der einen Seite des Quilts stand dann ein Schulkind und auf der anderen eine Rentnerin. Dadurch wurde das Gefühl von Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit gestärkt“, erzählt sie.

Veränderungen im humanitären Hilfssektor

Die langen Wege, über die die Hilfsgüter bis zu ihrem Ziel transportiert werden müssen, das zunehmende Bewusstsein für Klimafragen und wirtschaftliche Aspekte haben jedoch dazu beigetragen, dass die Menschen sich fragen, ob das Modell ihrer Hilfe nachhaltig ist. „Die Menschen in unseren Gemeinden fragen: Schicken wir wirklich Dinge, die die Menschen brauchen? Untergraben wir nicht vielleicht die Märkte vor Ort? Könnten die hohen Transportkosten nicht anderweitig viel besser investiert werden? Ist diese Art der Hilfsleistungen gut für die Umwelt?“, erklärt Achtelstetter.

Gleichzeitig setzt sich im humanitären Hilfssektor immer mehr ein Ansatz durch, der sich auf die Achtung der Menschenrechte stützt. Statt Sachspenden verteilen humanitäre Hilfsorganisationen zunehmend Bargeld oder Guthabenkarten, um den Menschen, die schon viel verloren haben, wenigstens die Möglichkeit zu geben, selbst zu entscheiden, was sie kaufen, und ihnen damit ein Stück Selbstbestimmung zurückzugeben. „Sachspenden um die Welt zu schicken, ist aus heutiger Sicht ein überholtes Modell der Almosengabe“, so Achtelstetter.

Die COVID-19-Pandemie habe die Diskussionen darum forciert und vorangetrieben, weil viele Mitglieder der Quilt-Gruppen zu den Risikogruppen zählen und deshalb nicht mehr zusammenkommen können. In einem einstimmigen Beschluss habe der CLWR-Vorstand daher beschlossen, die bisherige Praxis aufzugeben und durch einen nachhaltigeren und auf der Achtung der Menschenrechte beruhenden Ansatz abzulösen. „Das bedeutet aber nicht das Ende von ‚We Care‘, sondern nur das Ende der Lieferungen von Sachspenden“, betont Achtelstetter.

Kontakt mit den Ortsgemeinden

Die Entscheidung sei in den lutherischen Gemeinden und bei den Geistlichen in Kanada auf breites Verständnis gestoßen und habe große Unterstützung erhalten, berichtet Achtelstetter. Aber es wurde auch die Sorge geäußert, dass ein Stück Gemeinschaft und die gemeinsam verfolgten Ziele verloren gehen würden, die das Programm für die Ortsgemeinden in Kanada mit sich gebracht habe.

„Es geht hier um sehr viel mehr als allein um die Hilfsgüter“, sagt Achtelstetter. „Es dauert sehr lange, einen Quilt herzustellen. Aber auf der anderen Seite bekommst man etwas Handgemachtes, etwas, in das viel Liebe und Sorgfalt gesteckt wurde – ein Quilt ist mehr als einfach nur eine Decke. Wie kann man diese Liebe auf andere Art und Weise auch in Zukunft einfangen?“

Die Vorbereitungen der letzten Lieferung und die vielen Quilts, die noch in den Lagern liegen, haben vielleicht schon eine neue Möglichkeit aufgezeigt, wie das alte Modell dennoch fortgesetzt werden könnte: Die Seemannsmission hat Bedarf an den warmen Steppdecken angemeldet. Andere Quilts wurden an bedürftige Menschen in nahegelegenen Gemeinden in Kanada selbst verteilt. Und in einigen Gruppen überlegen die Menschen, ihr handwerkliches Engagement fortzuführen und die Quilts zu verkaufen, um Spendengelder für Projekte im Ausland zu sammeln. 

„Das wäre ein ähnliches Modell, wie das der Canadian Foodgrains Bank“,  so Achtelstetter. „Anstatt Getreide in die Welt zu verschicken, haben die beteiligten Farmerinnen und Farmer ein Stück ihres Landes für ein bestimmtes Projekt reserviert und spenden dann das Geld, das sie durch die Ernte von diesem Stück Land erwirtschaftet haben.“ Weil viele Kanadierinnen und Kanadier schon lange Patenschaften für geflüchtete Familien übernommen hätten oder das „We Care“-Programm seit Jahrzehnten unterstützten, wüssten die Menschen gut über die Lebenssituation von Geflüchteten und über die von Konflikten oder Naturkatastrophen heimgesuchten Regionen Bescheid, so Achtelstetter.

„In diesen handgefertigten Quilts steckt so viel Liebe. Wir hoffen, dass das Konzept, unseren Nächsten zu helfen, auch wenn sie in weiter Ferne sind, durch diese Art der Hilfe fortgeführt wird, denn es bringt Menschen zusammen und zeigt, dass wir alle Menschen sind“, sagt Immonen.

Auch die globalen Gegebenheiten unserer Zeit finden Eingang in die Quilt-Gruppen. In einer Gemeinde im Westen von Toronto zum Beispiel ist auch eine Gruppe Frauen aus dem Südsudan Teil der lokalen Quilt-Gruppe. „Aus ihrer Heimat haben sie ganz ähnliche Traditionen mitgebracht, aber sie haben andere Techniken für das Quilten“, erzählt Achtelstetter. Für die neuste Generation Quilts werden nun diese beiden Traditionen zusammengeführt.