„In meinem Herzen besitze ich dieses Land“

Don Francisco Siguic kämpft um seine Landrechte in Guatemala. Foto: LWF/C. Kästner

LWB unterstützt Maya-Gemeinschaften in Guatemala

POPTUN, Guatemala/GENF, 29. Juli 2016 (LWI) – Wenn jemand etwas über die Bürokratie in Guatemala erzählen kann, dann ist es Francisco Siguic (65). Seit mehr als 40 Jahren versucht er, einen Landtitel zu bekommen.

Siguic, auch genannt Don Francisco, ist Landwirt. Wie viele aus der indigenen Maya-Bevölkerung in Guatemala hat auch Don Francisco seit seinem 16. Lebensjahr auf  Kaffeeplantagen gearbeitet, die im Besitz europäischer Großgrundbesitzer waren. „Man musste 40 Quadratmeter am Tag für 50 Cents abernten", erzählt er. „Wenn man die Parzelle nicht schaffte, gab es kein Geld.“ Es war ein hartes Leben. Nach 15 Tagen Arbeit ohne einen einzigen freien Tag gab es eine Ruheperiode von ebenfalls 15 Tagen. Wenn er in dieser freien Zeit eine andere Tätigkeit oder eine selbständige Arbeit ausgeübt hätte, wäre das ein Kündigungsgrund gewesen, und die Behörden hätten ihn sogar dafür ins Gefängnis werfen können. Die Entscheidung, ob er seine Arbeit gut gemacht hatte, hing allein vom guten Willen seines Vorarbeiters ab.

Die Verheißung auf eine Heimat

„Mir wurde klar, dass dies harte Zwangsarbeit war, die Hand in Hand mit viel Lied und Ausbeutung ging", erinnert er sich. Deshalb fasste Francisco Siguic den Entschluss, dass seine Familie einmal ein anderes Leben haben sollte. Als er 1975 heiratete, zogen er und seine Frau nach Petén.

Petén, das nördlichste Depertamento Guatemalas, besteht aus tropischem Regenwald und gilt als Ursprungsland der Maya. Jeder Quadratmeter landwirtschaftlicher Nutzfläche musste die indigenen Bevölkerung, die dort hingezogen war, dem Wald abringen.  Für die Maya war Petén die Verheißung auf ihr eigenes Land, ein Ort, an dem sie leben und arbeiten und ihre Kultur bewahren konnten. Don Francisco war eine Woche lang zu Fuß unterwegs. Als er in Agua Negra ankam, stellte er bei der Gemeinde einen Antrag und bekam ein Stück Land für den Eigenbedarf zugeteilt. Was er allerdings nicht bekam, war ein Rechtsanspruch auf das Land.

„Das Land gehört nach dem Gesetz der Regierung Guatemalas, und das ist im Endeffekt das Militär“, erklärt Michael French, der LWB-Programmreferent für Lateinamerika.  „Der indigenen Bevölkerung wurde irgendwann ein Nutzungsrecht für 20 Jahre zuerkannt. Diese Frist ist inzwischen abgelaufen und wurde nicht erneuert. Wenn dieses Land jetzt anderen Interessenten zugesprochen wird, werden die bisherigen Landwirte vertrieben und verlieren ihre Existenzgrundlage.“

Odyssee durch die Institutionen

1976 beantragte Don Francisco zum ersten Mal einen Landtitel. Er nahm einen tagelangen Fußmarsch auf sich, um bei der Landzuteilungsbehörde vorzusprechen. Als er dort angekommen war, überreichte man ihm einen Stapel Papiere.  „Sie sagten mir, dass ich alle erforderlichen Unterlagen besorgen und dann erneut bei der Behörde vorbeikommen sollte“, erinnert er sich. „Das hat viel Zeit in Anspruch genommen, denn es gab keine öffentlichen Verkehrsmittel.“ Als er seine Unterlagen vollständig beisammen hatte, machte er sich erneut auf den Weg nach San Juan. Dort wurde ihm mitgeteilt, dass das Büro nach Santa Helena verlegt worden sei. 

Don Francisco brauchte für den Weg nach Santa Helena eine Woche, als Proviant hatte er einen Vorrat an Tortillas und eine Wasserflasche, die er unterwegs an Wasserläufen immer wieder nachfüllte. In Santa Helena wurden seine Unterlagen angenommen. „Wir werden weitermachen, wenn die gesamte Gemeinschaft ihre Ansprüche eingereicht hat“, wurde ihm gesagt. „Wir melden uns bei Ihnen, wenn es so weit ist.“

Don Francisco vertraute dieser Zusage, aber die Behörde meldete sich nie. Als er sich 1995 nach dem Status seines Landtitels erkundigte, verlangte man von ihm, die Unterlagen erneut zu besorgen, da die von ihm damals eingereichten Papiere nicht mehr gültig seien. Dies wiederholte sich im Jahr 2004. Im Jahre 2006 wandte er sich an den Fondo de Tierras, eine Instanz zur Lösung von Landkonflikten. Dorthin fuhr er zum ersten Mal mit dem Bus. Man sagte ihm, dass er die Originale aus dem Jahr 1976 vorlegen müsse.  „Als ich schließlich alles hatte, was sie verlangten, erklärten sie mir, die Vorschriften hätten sich erneut geändert. Ich habe das Gefühl, dass ich mindestens 80 Mal dort im Büro war“, berichtet er.

„Kenntnis des Landes“

2007 begann der Verband Pop Noj damit, die Gemeinschaft von Agua Negra zu unterstützen. „Pop Noj“  ist ein Begriff der indigenen Sprache Kekchi und bedeutet „Kenntnis des Landes“. Der Verband ist ein örtlicher operationeller Partner des LWB und veranstaltete in Agua Negra zunächst Workshops über Landrecht. Danach besorgte sich der Verband einen Gemeinschaftstitel und sorgte so dafür, dass die Landwirte in Agua Negra nicht mehr vertrieben werden konnten. Der zweite Schritt war die Beantragung der individuellen Landtitel als die wesentlich anspruchsvollere Aufgabe.

„Wir sind eine angestammte Gemeinschaft“, erklärt Jaime Caal Tux, der örtliche Sprecher von Pop Noj. „Wir erkennen nur unseren eigenen gewählten Rat an, nicht irgendeinen Kommunalrat oder Bürgermeister. Wir wissen deshalb selbst sehr gut, wie wir Mutter Erde behandeln müssen, aber wenig über Gesetze und Behörden. Gemeinsam mit Pop Noj und dem LWB haben wir federführend für die Gemeinschaft jetzt die erforderlichen Unterlagen besorgt, um einen Gemeinschaftstitel zu erhalten.“

Die Mühlen der Regierungsverwaltung mahlen immer noch so langsam, wie Don Fernando es selbst erlebt hat. Tux geht davon aus, dass es etwa vier Jahre dauern wird, bis der Titel zuerkannt wird. Aufgrund der Gemeinschaftsinitiative stehen die Chancen auf Erfolg jedoch gut. Pop Noj war bereits in drei  weiteren Gemeinschaften erfolgreich und hat für diese Dörfer Gemeinschaftstitel durchgesetzt. „Diese drei Titel sind für uns ermutigend“, sagt Tux. „Sie sind ein gutes Beispiel für andere in der gleichen Situation und zeigen, dass Erfolge möglich sind.“ Unsere Kinder lernen auf diese Weise, dass ihnen niemand das Land der Familie wegnehmen kann.

Identität bewahren

Die Welt, in  der Don Fernando aufgewachsen ist, hat sich geändert. Während er als junger Mann die Kaffeeplantage verlassen hat, suchen heute viele junge Menschen Arbeit auf den kommerziellen Palmölplantagen, die überall in Petén entstehen und die ursprüngliche Lebensart der Maya bedrohen. Der Kampf der Maya um ihr Land ist ebenfalls zu einem Kampf um den Erhalt des tropischen Regenwaldes, ihrer traditionellen Lebensweise und ihrer Identität geworden.

„In meinem Herzen besitze ich dieses Land, es ist das einzige, was ich meinen Kindern hinterlassen kann“, sagt Don Francisco. Seine Familie besteht jetzt aus zwei Töchtern und vier Söhnen mit ihren Kindern. „Meine Söhne wollen hier den Boden bestellen, darum kämpfe ich weiter. Ich weiß, was Ausbeutung bedeutet. Ich möchte, dass meine Kinder ihr eigenes Land besitzen.“