„Man kann nicht Christ sein, ohne sich für die Einheit der Kirche einzusetzen“
Monsignore Matthias Türk: Rückschau auf 20 Jahre lutherisch-katholischen Dialog
Vatikan/Genf (LWI) – Ein wichtiger Akteur des lutherisch-katholischen Dialogs der vergangenen zwei Jahrzehnte verlässt den Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen und kehrt in seine deutsche Heimat zurück.
Monsignore Dr. Matthias Türk hat als vertrauter, geachteter Partner des Lutherischen Weltbundes (LWB) das Büro der Kirchengemeinschaft in Genf häufig besucht. Er hat an sämtlichen Tagungen des LWB-Rates seit 1999 teilgenommen und wird von seinen lutherischen Kolleginnen und Kollegen daher gern als „dienstältestes Ratsmitglied“ bezeichnet.
Türk, Jahrgang 1962, wurde 1989 von Kardinal Joseph Ratzinger zum Priester geweiht. Seit Januar 1999 ist er im Päpstlichen Einheitsrat tätig und dort für die lutherisch-katholischen Beziehungen zuständig. Sein Dienstantritt fiel in eine historische Phase der Beziehungen beider Konfessionen, die seit dem 16. Jahrhundert geprägt waren von Krieg, Verfolgung, gegenseitiger Exkommunikation und Entfremdung.
Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre
Noch im selben Jahr unterzeichneten am 31. Oktober, der in lutherischen Kontexten weltweit als Reformationstag gefeiert wird, der Präsident des Einheitsrates, Edward Kardinal Cassidy, und der Präsident des LWB, Landesbischof Dr. h.c. Dr. h.c. Christian Krause, gemeinsam mit LWB-Generalsekretär Pfr. Dr. Ishmael Noko sowie den sieben Vizepräsidentinnen und -präsidenten des LWB die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Zur feierlichen Unterzeichnung war man nach Augsburg gereist, in die Stadt, die in den Konflikten des 16. Jahrhunderts eine zentrale Rolle gespielt hatte.
Türk erinnert sich, dass es zu dieser Einigung durchaus zahlreiche kritische Stimmen gegeben habe. Für ihn jedenfalls sei die Unterzeichnung aber ein „sehr bewegender, verheißungsvoller Start“ in seinen neuen Aufgabenbereich gewesen und habe „eine wunderbare Chance“ geboten, direkt am Anfang seiner Arbeit die „ökumenische Welt als Ganze“ kennenzulernen.
In der Vorbereitungsphase habe es viele positive Momente, aber „auch Irritationen“ vonseiten der Kritikerinnen und Kritiker der Erklärung gegeben. Seinerseits nahm Türk jedoch gleich zu Beginn die „vielen Implikationen und so positiven Wirkungen auf allen möglichen Ebenen des kirchlichen Lebens“ wahr.
Er verweist auf das Beispiel der katholischen Pfarrgemeinden in Italien, wo die Gläubigen wenig über die lutherische Kirche wussten. Die über die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre veröffentlichten Nachrichten weckten ihr Interesse und ihre Offenheit. Türk erinnert sich, dass in der Folge örtliche ökumenische Gruppen vor Ort entstanden, in denen es nicht immer ausschließlich um theologische Fragen ging, vielmehr sei damals „auf einer sehr praktischen Ebene ein Interesse erwacht, das bis heute anhält.“
Türk betont, die „große Erfolgsgeschichte“ setze sich fort, denn inzwischen hätten weitere ökumenische Partner – die methodistische, reformierte und anglikanische Weltgemeinschaft – die Erklärung bestätigt.
Zu der Frage, wie diese Erfolge einem größeren Publikum bekannt gemacht werden können, unterstreicht er, dass es beim breiten Engagement für die Ökumene, genau wie bei der Evangeliumsverkündigung selbst, auf der Gemeinde-, Diözesan- wie auch Kirchenleitungsebene „so sehr auf die einzelne Person“ ankomme und verweist auf die weitreichende Wirkung von Papst Franziskus, „der, auf dem Erbe seiner Vorgänger aufbauend, die Ökumene bewusst zu einem sehr wichtigen Element seiner Lehre und Verkündigung auf der Weltebene gemacht hat.“
Vertiefung der Beziehungen auf mehreren Ebenen
So habe etwa das gemeinsame katholisch-lutherische Reformationsgedenken, das vom Papst und führenden LWB-Vertretern 2016 in Lund (Schweden) auf Weltebene begangen wurde, vielfältige Auswirkungen an der Basis gezeitigt, „dass zum Beispiel die katholische Pfarrei Lund die Möglichkeit erhielt, erstmals seit der Reformation im lutherischen Dom die Messe zu feiern“. Es gebe zahlreiche weitere Beispiele, wo die Normalisierung der lutherisch-katholischen Beziehungen auf vielen Ebenen zu einer Vertiefung des Miteinanders geführt habe.
Im Blick auf die Zukunft des lutherisch-katholisch-lutherischen Dialogs sieht Türk das sakramentale Wesen der Kirche weiterhin als zentralen Punkt der theologischen Gespräche. Unser Kirchenverständnis, das Wesen der Eucharistie und das Thema des kirchlichen Amtes seien die Fragen, die geklärt werden müssen, „damit wir zu der eucharistischen Gemeinschaft gelangen, die so sehr ersehnt wird.“
Auf die Frage, was er jenen sagen möchte, die die Ökumene nicht für eine zentrales Anliegen der kirchlichen Arbeit halten, wird der scheidende Vatikanvertreter energisch: „Man kann nicht Christ sein, ohne sich nach Kräften für die Einheit der Kirche einzusetzen“, denn sonst nehme man das Gebet Jesu beim lLetzten Abendmahl in Jerusalem – „dass sie eins sindeien, wie wir eins sind“ (Joh 17,22) – nicht ernst. Auch auf der menschlichen Ebene sei zu bedenken, dass die verschiedenen Konfessionen, wenn sie einig seien, jenen, die nach „dem Weg, der Wahrheit und dem Leben“ suchten, ein sehr viel glaubhafteres Zeugnis geben könnten.
Gemeinsamer Gottesdienst und gemeinsame Gespräche
Als bereichernde Momente der vergangenen 20 Jahre nennt Türk die regelmäßigen gemeinsamen Gottesdienste und Gespräche „mit unseren lutherischen … anderen Mitchristen und Mitchristinnen“. Aus diesem Miteinander entstehe „eine starke Gemeinschaft, das Gefühl der Zusammengehörigkeit [und] das Empfinden für die uns bereits geschenkte Einheit.“ EDies sei der befriedigendste Aspekt seiner Arbeit, eine Herausforderung sei es hingegen, andere davon zu überzeugen, wie dringlich es ist, „gemeinsam Schritte zu tun“ auf die volle, sichtbare Einheit der Kirche hin.
Zu den aktuellen hitzigen Debatten über die Möglichkeit der Abendmahlsgemeinschaft, d eucharistischer GemeinschaftGastfreundschaft, die derzeit unter den deutschen katholischen Bischöfen geführt werden, erläutert Türk, in Deutschland, dem Ursprungsland der Reformation, seien diese Fragen akuter als in mehrheitlich katholischen oder lutherischen Ländern. Die Bischöfe engagierten sich auf „positive und intensive Weise“ für die christliche Einheit und befassten sich mit Fragestellungen, die bereits in dem Schlüsseldokument „Lehrverurteilungen – kirchentrennend?“ (1986) formuliert wurden. Das Kirchenrecht und das Ökumenische Direktorium der katholischen Kirche machten beide deutlich, dass in besonderen Situationen nichtkatholische Christinnen und Christen bei einer katholischen Messe die Eucharistie empfangen dürfen, und es sei entscheidend, dass dies jetzt mit dem Ziel eines vertieften Verständnisses diskutiert werde.
Monsignore Türk kehrt in Kürze als persönlicher Referent von Bischof Dr. Franz Jung in sein Heimatbistum Würzburg zurück. Ein paar Tipps möchte er seinem Nachfolger noch mitgeben: „Miteinander lernen […] und beten, denn das Gebet ist eine Grundlage der christlichen Einheit.“ Vor allem aber sei es entscheidend, „Freundschaften zu schließen und gemeinsam voranzugehen“, dabei sowohl den theologischen Dialog als auch das pastorale Engagement zu vertiefen, die beitragen die zur vollen, sichtbaren Einheit der Kirche fördern.