LWB und andere Organisationen mahnen zu Wiederaufbau in Gaza

Dina Khoury, Mitglied eines der medizinischen Teams, und andere Mitglieder der Gruppe diskutieren ihre Erfahrungen mit Mitarbeitern des Auguste Victoria-Krankenhauses. Foto: LWB Jerusalem

Neuer Bericht warnt: Weltweite Zusagen werden nicht eingehalten

(LWI) – Die Völkergemeinschaft muss dringend ihren Umgang mit dem Gazastreifen überdenken und die Zusagen für den Wiederaufbau einhalten. Das fordern der Lutherische Weltbund (LWB) und 45 weitere Hilfsorganisationen in einem heute vorgelegten Bericht, der die fehlenden Fortschritte seit dem Konflikt im vergangenen Jahr aufzeigt.

„Sechs Monate, nachdem internationale Geber 3,5 Milliarden US-Dollar als Hilfe für Gaza zugesagt haben, geht es vielen Menschen dort schlechter und nicht eine der 19.000 zerstörten Wohneinheiten ist wiederaufgebaut. 100.000 Menschen sind weiterhin obdachlos und leben in provisorischen Lagern oder Schulen,“ so der Bericht.

Der Bericht unter dem Titel „Charting a New Course. Overcoming the stalemate in Gaza“ warnt, dass weitere Konflikte – und mit ihnen der Kreislauf von Zerstörungen und geberfinanziertem Wiederaufbau – unvermeidlich sind, sofern die globalen politischen EntscheidungsträgerInnen nicht umdenken und die dem Konflikt zugrundeliegenden Ursachen angehen. Der Bericht fordert die Geberländer auf, auf einem dauerhaften Waffenstillstand, der Rechenschaftspflicht aller Parteien für fortgesetzte Verletzungen des Völkerrechts sowie einem Ende der israelischen Blockade zu bestehen, die 1,8 Millionen PalästinenserInnen im Gazastreifen einschliesst und sie dauerhaft vom Westjordanland trennt. Anstatt die Blockade infrage zu stellen, fänden sich die meisten Geberländer damit ab, sich in ihrer Arbeit mit ihr arrangieren zu müssen, so der Bericht weiter.

Im August 2014 hatte das vom LWB betriebene Augusta-Victoria-Krankenhaus medizinische Teams aus jeweils sechs Krankenschwestern und Sanitätern in den Gazastreifen geschickt, um sich die Verwundeten des Konflikts zu versorgen. Die Teams umfassten Spezialisten in Notfallmedizin, Intensivpflege, Chirurgie, Innerer Medizin und Pediatrie sowie Spezialpflege. Die Teamslieferten auch dringend benötigtes Verbandsmaterial, medizinische Vorräte und Medikamente in den Gazastreifen. Wegen der unsicheren Lage waren zuvor in Gaza fünf Krankenhäuser und 34 Ambulanzen geschlossen worden. Zusätzlich dazu hatte das Augusta-Victoria-Krankenhaus die Evakuierung Verwundeter unterstützt und sie im Krankenhaus aufgenommen. Zwölf Operationsbetten und vier Intensivpflegeplätze wurden für Verletzte aus dem Gazastreifen reserviert.

Winnie Byanyima, Geschäftsführerin von Oxfam, erklärt dazu: „Die verheissungsvollen Reden bei der Geberkonferenz haben sich als leere Worte erwiesen. Es ist wenig Wiederaufbau erkennbar, es gibt kein dauerhaftes Waffenstillstandsabkommen und keinen Plan für ein Ende der Blockade. Die Völkergemeinschaft stützt den Status quo, von dem sie selbst gesagt hat, dass er sich ändern muss, und läuft so mit offenen Augen in den nächsten vermeidbaren Konflikt.

William Bell, Christian Aid, ergänzt: „Wir müssen sicherstellen, dass dieser jüngste Konflikt, der die schwersten Zerstörungen verursacht hat, der letzte war. Fortgesetzte Verstösse müssen geahndet werden. Indem sie eine Kultur der Straflosigkeit befördert, verpflichtet sich die Völkergemeinschaft darauf, auf unbestimmte Zeit weiter Schadensbegrenzung zu betreiben.

Nur 26,8 Prozent der von den Gebern vor sechs Monaten zugesagten Mittel sind bisher freigegeben worden. Auch die bereits finanzierten Wiederaufbauprojekte sind vielfach noch nicht angelaufen, da angesichts der Blockade unerlässliches Material nur beschränkt verfügbar ist. Den meisten der 81 beschädigten Gesundheitszentren und Krankenhäuser fehlt weiterhin das Geld für den Wiederaufbau. Bei den wenigen, wo die Finanzierung gesichert ist, mangelt es am nötigen Material, um mit den Arbeiten zu beginnen.

Tony Laurance, Hauptgeschäftsführer von MAP UK, stellt fest: „Die Welt verschliesst gegenüber der Bevölkerung im Gazastreifen, die nie zuvor so dringend Hilfe gebraucht hat, ihre Augen und Ohren. Ein Wiederaufbau ist unmöglich ohne Mittel, aber Geld alleine wird nicht ausreichen. Solange die Blockade besteht, bauen wir lediglich ein Leben in Elend, Armut und Verzweiflung wieder auf.

Seit Inkrafttreten des vorläufigen Waffenstillstands hat sich die Gewalt gegen Zivilpersonen fortgesetzt, mit über 400 Fällen, in denen von israelischer Seite nach Gaza gefeuert wurde, und vier von Gaza nach Israel abgeschossenen Raketen. Der Bericht fordert alle Parteien auf, die Verhandlungen über einen langfristigen Waffenstillstand umgehend wieder aufzunehmen. Er fordert von Israel ein Ende seiner Blockade und des Grundsatzes einer Trennung des Gazastreifens vom Westjordanland, von den politischen AkteurInnen auf palästinensischer Seite eine Versöhnung und ein vorrangiges Engagement für den Wiederaufbau. Weiterhin fordert er Ägypten auf, seine Grenze zu öffnen, um humanitäre Hilfe zu ermöglichen.

In jüngster Zeit haben die Geber einen leicht verstärkten Fluss von Baumaterialien erreicht, der aber nicht genügt, um den Bedarf zu decken, und nur äusserst wenig bewirkt, solange die Blockade weiter besteht. Der Bericht formuliert konkrete Empfehlungen an die Völkergemeinschaft, wie der Kreislauf von Konflikt und Zerstörung zu durchbrechen ist. Er listet Möglichkeiten auf, wie

  • der Wiederaufbau zu beschleunigen ist durch die Einhaltung von Zusagen und ein Bestehen auf der Einfuhr unentbehrlicher Materialien auf der Grundlage des Völkerrechts.
  • sicherzustellen ist, dass alle Parteien für Verletzungen des Völkerrechts zur Rechenschaft gezogen werden, einschliesslich der Prüfung der im Waffenhandelsvertrag eingegangenen Verpflichtungen im Blick auf Waffen, die bekanntermassen willkürlich gegen Zivilpersonen eingesetzt werden, und der Einforderung von Entschädigungsleistungen für zerstörte Hilfsprojekte.
  • die Blockade zu beenden und die darniederliegende Wirtschaft des Gazastreifens wiederherzustellen ist. Die Blockade hat Gaza in die Abhängigkeit von der Hilfe von aussen geführt. 80 Prozent der Bevölkerung erhalten internationale Hilfsleistungen, 63 Prozent der jungen Generation sind arbeitslos. Die Exporte aus dem Gazastreifen liegen bei weniger als 2 Prozent im Vergleich zur Situation vor der Blockade, der Personen- und Güterverkehr zwischen Gaza und dem Westjordanland ist praktisch zum Erliegen gekommen.
  • die Entwicklung einer vereinigten palästinensischen Regierung zu unterstützen ist. Zeitweilig wurde der Wiederaufbau von palästinensischer Seite nur schwach und unkoordiniert geführt, weiter kompliziert wird die Lage durch israelische Reiseeinschränkungen für VertreterInnen der Regierung. Die anhaltende Trennung des Gazastreifens vom Westjordanland hat den bereits zuvor problematischen Riss zwischen Fatah und Hamas zementiert, mit immensen negativen Folgen für die Bereitstellung von Hilfe und öffentlichen Leistungen in Gaza.

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