Kolumbien: Heilung der Wunden, die die Landminen geschlagen haben

Bei einem Workshop im März 2011 lernen die Menschen in Caracoles (Provinz Arauca), wie sie gegen Minenunfälle vorbeugen können. © LWB/AWD-Kolumbien/M. Sjögren

LWB unterstützt Opfer bei der Einforderung ihrer Rechte

(LWI) – Kevin wurde in seinem kurzen Leben zweimal vom Blitz getroffen.

Bei dem 25-jährigen Kolumbianer, der in der Provinz Arauca lebt, geht es jedoch nicht um das Naturphänomen Blitze. Vielmehr wurde er zweimal Opfer einer in seiner südamerikanischen Heimat allzu verbreiteten, tödlichen Gefahr – Landminen.

Im Alter von drei Jahren spielte Kevin unbeschwert im Freien, als eine Landmine explodierte und sein Bein verletzte. Bis heute hinkt er. Mit 17 griff er nach etwas, das ihn neugierig gemacht hatte. Es war eine Landmine, die ihm bei der Explosion beide Arme abriss.

Nach 50 Jahren Kampf zwischen den Guerillas der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) und der Regierung ist Kolumbien das weltweit am zweitstärksten verminte Land. Seit 1990 wurden etwa 11.000 Menschen durch Landminen verletzt oder getötet. Dazu kommt wahrscheinlich eine Dunkelziffer, denn Familien scheuen sich, die Behörden zu informieren, weil sie fürchten, als TerroristInnen verdächtigt zu werden.

Unter den Opfern sind über 1.000 Kinder, da Guerillas und Militär ungepflasterte Strassen, Flusstäler und Fussballfelder vermint haben. Fast alle Minenunfälle passieren auf dem Land und die meisten Überlebenden tragen dauerhafte Schäden davon.

Die Opfer der Landminenexplosionen in Kolumbien und ihre Familien sind vielfach Binnenflüchtlinge. Meist fehlen in diesen Familien die Männer, also die Hauptverdiener. Die Frauen müssen den Unterhalt ihrer Familien bestreiten, oft ergänzt durch finanzielle Zulagen und kostenlose medizinische Leistungen.

Viele der männlichen Landminenopfer haben psychische Probleme, sie sind frustriert, ihnen fehlt es aufgrund ihrer Verletzungen am Selbstbewusstsein und dem Antrieb, ihr Leben zu verändern. Der Staat sorgt nicht für die Hilfe und Unterstützung, wie sie sie brauchen.

Fähigkeiten, die die Lebensqualität verbessern

Die Hilfsorganisation TAME und Mitarbeitende des Lutherischen Weltbundes (LWB) haben unlängst Arauca besucht. Die Region ist die am zweitschwersten verminte Kolumbiens. Auf der Fahrt in die Provinzhauptstadt Arauca wurde ihr Fahrzeug mehrfach von schwer bewaffneten SoldatInnen angehalten. Auf der Strasse liefen Schulkinder unter den Blicken von mit Maschinengewehren Bewaffneten. Das Bild ist in Kolumbien nicht selten.

Die Organisation, die Überlebende von Landminenunfällen unterstützt, ist in einer Schule untergebracht. Vielen Betroffenen fehlen Gliedmassen, manche haben auch innere Verletzungen. Ein Mädchen, dem beide Arme fehlen, ist schwanger. Die Betroffenen erzählen von ihren fruchtlosen Bemühungen, der staatlichen Bürokratie Unterstützung abzuringen.

Aber offensichtlich gibt es Hoffnung für diejenigen, die von der Organisation, die vom LWB unterstützt wird, Hilfe erhalten. Ihnen werden Fähigkeiten vermittelt und sie lernen, wie sie die ihnen zustehenden Rechte einfordern und ihre Lebensqualität verbessern können.

Das Projekt hat einen neuen Verband der Minenopfer initiiert - ASODIGPAZ (Asociación de Sobrevivientes de Minas Antipersona Luchando por la Dignidad y la Paz). Ihm gehören etwa 100 Mitglieder an.

Die Opfer und ihre Familien erlernen Fertigkeiten, mit denen sie ihr Einkommen verbessern und sich selbständig machen können, z. B. mit einer Kleinviehzucht. Darüber hinaus will das Projekt durch Aufklärung und Information der Öffentlichkeit weitere Minenunfälle verhindern.

Nötig ist das Projekt, weil Minenopfer im Kampf um ihre Rechte häufig alleingelassen sind. Sie werden bisweilen als Guerillas abgestempelt, von den Hilfsorganisationen heisst es, sie unterstützten Guerillas, folglich verweigern die Behörden ihre Hilfe.

Für ASODIGPAZ hat die Bildungsarbeit Priorität, zum Jahresbeginn 2016 ist eine Reihe kleiner Projekte geplant. Weiterhin stellt die Organisation Prothesen zur Verfügung, um Menschen, die Gliedmassen verloren haben, das Leben ein wenig leichter zu machen.

Minenräumung – eine Friedensgeste

Unterdessen laufen die Verhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und den FARC-Guerillas in Havanna (Kuba). Als Friedensgeste haben sich die Konfliktparteien darauf geeinigt, die Minenräumung anzugehen. Eine der ersten Provinzen ist Arauca, Kevins Heimat.

Die Aufgabe ist extrem schwierig, da die Landminen seit fast 50 Jahren im Boden liegen. Das Terrain ist sehr unwegsam und man weiss nicht, wo genau sich Landminen finden. Durch häufige Überschwemmungen in dem Gebiet wurden manche fortgespült und anderswo abgelagert.

Kevin seinerseits hat über ASODIGPAZ eine Hakenprothese erhalten, er träumt aber weiterhin davon, eines Tages eine richtige Prothese zu haben.

Im Herbst wird er auf Einladung der Kirche nach Finnland reisen. Mit den Menschen dort will er darüber nachdenken, wie das durch Minenunfälle verursachte Leid gelindert werden kann. Sie haben unzählige Menschen verletzt und ihr Leben verändert.

Mit Kevins Hilfe soll es darum gehen, wie das Leben dieser Menschen aufs Neue verändert werden kann – zum Besseren.

Dieser Artikel erschien erstmalig in der Zeitschrift der Finnischen Evangelisch-Lutherischen Mission (FELM).