Gottesdienst und die Erneuerung der Kirche im deutschen Kontext

Sebastian Bugs ist seit 2013 Vorsitzender vom Jugendausschuss des DNK/LWB. Foto: privat

In Interview: Sebastian Bugs, Vorsitzender des DNK/LWB Jungendausschusses

NÜRTINGEN, Deutschland/GENF (LWI) – „Was muss sich in der Kirche verändern? Und was darf sich nicht verändern?“: diese Fragen beschäftigen Sebastian Bugs nicht erst seit Antritt seiner ersten Pfarrstelle im September 2020. Der 31jährige engagiert sich seit 2013 im Jugendausschuss vom Deutschen Nationalkomitee des Lutherischen Weltbundes (DNK/LWB). Seit der LWB-Vollversammlung in Namibia im Jahr 2017, an der er als Jugenddelegierter der Evangelischen Landeskirche in Württemberg teilnahm, ist er Vorsitzender des Ausschusses.

Im Interview spricht er über das Projekt „Erneuerung und Gottesdienst“, das der Jugendausschuss des DNK/LWB kürzlich abgeschlossen und in einem Video dokumentiert hat, sowie über die Wünsche und Beiträge junger Menschen in der Kirche und der Gesellschaft.

Woher kam der Impuls für den Jugendausschuss des DNK/LWB, sich ausführlich mit dem Thema „Erneuerung und Gottesdienst“ zu befassen?

Die Punkte der Jugendbotschaft zur LWB-Vollversammlung in Namibia sind sehr weit und abstrakt formuliert, weil sie auf der ganzen Welt in den jeweiligen lokalen Kontext übersetzt werden müssen. Wir haben uns gefragt: Wie kann Erneuerung (oder Wiederbelebung) – Englisch „revival of churches“ – bei uns in Deutschland konkret werden? Dass der Gottesdienst unter diesem Aspekt das spannendste Thema ist, um die Jugendbotschaft in unseren Kirchen konkret werden zu lassen, fand im Jugendausschuss eine breite Mehrheit.

Wie sind Sie an dieses Projekt herangegangen und welche Quellen haben Sie einbezogen?

Wir hatten zwei wichtige Ansatzpunkte, die wir miteinander ins Gespräch bringen wollten: Einerseits die subjektive Perspektive: Unsere persönlichen Erfahrungen. In welcher Gottesdienstkultur fühlen wir uns zuhause? Welche Gottesdienste erleben wir persönlich als besonders positiv oder negativ und warum?
Andererseits die objektive Perspektive: Allgemeine Untersuchungen und wissenschaftliche Studien. Welche fundierten soziologischen Zahlen gibt es zu diesem Thema? Wer besucht Gottesdienste und warum? Wo gibt es Zulauf und wovon entfernen sich Menschen immer mehr?

Das war eine tolle Herangehensweise, in der sich jedes einzelne Mitglied des Jugendausschusses auf verschiedenste Art und Weise einbringen konnte.

Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen, besonders bezogen auf das Miteinander der Generationen?

Zunächst näherten wir uns der Problemstellung: Wir verstehen den Gottesdienst als zentralen Begegnungsort der Gemeinde. Aber wie kann dieser Anspruch aufrechterhalten werden, wenn nach Erkenntnissen einer breit angelegten Mitgliedschaftsuntersuchung weniger als 5 Prozent der Gemeindemitglieder noch Gottesdienste besuchen?  Die Fragen, die uns seitdem begleiten, sind: Liegt die Zukunft in Zielgruppengottesdiensten? Ist es die richtige Lösung, uns für das Feiern von Gottesdiensten aufzuteilen, nach Alter, Musikgeschmack, Familiensituation oder Milieu? Und wo liegt das gemeinsame Zentrum, wenn eine solche Aufteilung gemacht wird? Wo begegnen sich Menschen, die vor allem ihr Glaube verbindet? Auf Gemeindefesten oder Kirchentagen?
Das wird eine der vielen Aufgaben sein, die unsere Kirchen zu lösen haben: Auf diese Fragen eine Antwort zu finden.

Das Miteinander der Generationen ist dabei sicher entscheidend, aber der zugrundeliegende Konflikt besteht nicht nur zwischen Jung und Alt. Vieles deutet darauf hin, dass die Grenzen häufig an ganz anderen Stellen verlaufen: Die musikalische Gestaltung eines Gottesdienstes kann seine Besucher über alle Altersgrenzen hinweg verbinden oder entzweien.

Eine große Studie zur Konfirmandenarbeit, ließ uns besonders aufhorchen. Sie brachte zum Vorschein, dass viele Konfirmand*innen Gottesdienste am Ende ihrer Konfirmationszeit schlechter bewerten als zu Beginn. Diese wachsende Abneigung gegenüber Gottesdiensten stand auch in Verbindung damit, wie streng der verpflichtende Gottesdienstbesuch geregelt war. Je größer der Zwang zum Gottesdienst, desto negativer wurde dieser empfunden. Dagegen konnten „Möglichkeit zur Mitgestaltung“ und das „Erleben jugendgerechter Gottesdienste“ als zwei Faktoren ausgemacht werden, die zu einer Verbesserung des Gottesdienstempfindens führten.

Wie helfen Ihnen diese Ergebnisse nun weiter?

Mein Fazit daraus ist: Eine Pädagogik, die darauf abzielt, junge Menschen an eine bestehende Gottesdienstkultur zu „gewöhnen“ (also, sie so lange zum Besuch zu drängen, bis ihnen der Gottesdienst zu gefallen beginnt) ist erwiesenermaßen sinnlos und war es mutmaßlich schon immer.

Um junge Menschen für Gottesdienste zu begeistern, braucht es eine Pädagogik, die ihnen vermittelt, wie sie Gottesdienste selbst gestalten können. Es braucht vor allem Freiraum für die eigene Spiritualität, aber auch die Befähigung diese Freiräume zu nutzen. Dazu müssen Hintergründe und Bedeutung unserer liturgischen Elemente erläutert werden: Das Votum, die Gebete, die Predigt, der Segen. Mit diesem Wissen können junge Menschen dann darüber nachdenken, wie eine Besinnung auf den Gottesdienst, ein Reden mit Gott, die Verkündigung der frohen Botschaft oder das Vergewissern von Gottes Begleitung für sie am besten zur Sprache gebracht und ausgedrückt werden kann.

Das Prinzip, das sich hier in einer Pädagogik für die Konfirmandenarbeit zeigt, kann generell auf das Miteinander der Generationen übertragen werden, auch im Lutherischen Weltbund; und nicht nur in Bezug auf Gottesdienste: Es kann nicht auf Dauer funktionieren, den Nachwuchs in ein bestehendes, unveränderliches System zu pressen. Allzu oft stoßen junge Menschen in der Kirche und auch sonst auf eine „Die wissen eben noch nicht, wie es läuft“-Einstellung. Für viele ältere Funktionäre in der Kirche scheint es eine unverzichtbare Bestätigung ihrer eigenen Arbeit zu sein, dass ihre jüngeren Nachfolger*innen alles weiterhin genauso handhaben. Aber die Welt ändert sich zu schnell und Menschen sind zu unterschiedlich, als dass das funktionieren könnte.
Gott sei Dank finden sich an unzähligen Stellen in unseren Kirchen auch andere Beispiele: Traditionen werden nicht als starre Formen weitergegeben, sondern verknüpft mit ihrer Bedeutung und ihren Werten. Wer etwas auf diese Art weitergibt, überträgt es der jungen Generation, Dinge beizubehalten oder zu ändern. Das ist für die vermittelnde Generation oft nicht leicht, aber ich meine, das ist die einzige Möglichkeit, wie wir als lutherische Kirchen unsere Werte und unseren Glauben weitervermitteln können.

Welche Impulse sind durch die Corona-Pandemie in Ihr Projekt eingeflossen?

Natürlich ging es in den ersten Monaten der Pandemie vor allem um digitale Gottesdienstformate. Solche digitalen Gottesdienste und Andachten sind gut während eines Lockdowns, denn sie sind besser, als gar nicht Gottesdienst zu feiern! Wer aber die Wahl hat, zwischen einem physischen und einem digitalen Gottesdienst, wird sich vermutlich lieber für die leibhaftige Gemeinschaft entscheiden.

Digitale Formate werden Präsenzgottesdienste niemals ersetzen können (und das möchte auch niemand). Trotzdem hat die Corona-Pandemie uns einen wichtigen Impuls gegeben: Wir haben gesehen, wie viel Veränderung in kurzer Zeit möglich ist. Plötzlich wurde an vielen Stellen nicht mehr gefragt, ob etwas geändert werden muss, es wurde nur noch gefragt, wie wir uns an diese neuen Umstände anpassen können. Das wünschen wir uns als Jugendausschuss auch in der Zukunft von unseren Kirchen: Dass weniger über das „ob“ diskutiert wird als viel mehr über das „wie“.

Der Jugendausschuss hat dieses Projekt abgeschlossen. Wie soll es jetzt weitergehen?

Als junge Menschen in der Kirche ist es unsere Aufgabe, immer und überall das Thema „Veränderung“ ins Gespräch zu bringen: Ecclesia semper reformanda. Dafür gibt es im LWB eine Jugendquote und dieser Aufgabe wollen wir in allen Arbeitsbereichen der Kirche nachkommen.

Damit es zu guten Veränderungen kommt, müssen immer zwei Fragen ins Gespräch eingebracht werden: Was muss sich verändern? Was darf sich nicht verändern?

Als Kirche ist es unser Auftrag, das Evangelium in die Welt zu bringen. Diese Welt ändert sich rasend schnell, die frohe Botschaft bleibt aber immer dieselbe. Wir müssen Christus treu bleiben, unseren Werten und unserer Identität. Gleichzeitig müssen wir nah an den Menschen sein, ihre Lebenswelt verstehen und teilen. Diesen Spagat schaffen wir nur, wenn Jung und Alt immer weiter über diese Fragen sprechen: Was muss sich verändern? Was darf sich nicht verändern?

Was Gottesdienste angeht, hat sich schon viel geändert. Eine bunte Gottesdienstlandschaft hat sich längst etabliert. Diese Veränderung wird weitergehen. Damit es eine gute Veränderung wird, müssen wir viel darüber sprechen.

Haben Sie einen Impuls für die jungen Menschen in anderen LWB-Mitgliedskirchen?

Wir haben auch innerhalb unseres Jugendausschusses festgestellt, dass wir uns in ganz unterschiedlichen Gottesdiensten zuhause fühlen. Trotzdem war es nie ein Problem, gemeinsam Andachten zu feiern und Gottesdienste zu besuchen. Die Gemeinschaft ist dann eben doch oft wichtiger, als dass jedes Lied den eigenen Geschmack trifft.

Wenn wir miteinander Kirche gestalten wollen, dann müssen wir uns immer wieder neu auf unsere Gemeinsamkeiten fokussieren: Unseren gemeinsamen Glauben an Jesus Christus. Veränderung fällt leichter, wenn jeder vor Augen hat, was sich niemals verändern wird: Christus als der Grund der Kirche.

Wir dürfen nicht vergessen, dass wir bei den großen wichtigen Dingen einer Meinung sind. Dann fällt es uns leichter, bei all den Diskussionen über die Details das Wesentliche nicht aus den Augen zu verlieren: Dass wir Christus verkündigen.

Von LWB/A.Weyermüller

 

Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.