Gesetze und Haltung müssen sich gleichermassen ändern

Bei einem Seminar in Beit Jala wurde die arabische Fassung des „Grundsatzpapiers: Gendergerechtigkeit im LWB“ vorgestellt. Foto: LWB/S. Gallay

„Grundsatzpapier: Gendergerechtigkeit im LWB“ auf Arabisch

Bethlehem/Genf, 24. Mai 2016 (LWI) – Ungleiche Entlohnung, Arbeitslosigkeit, Frühehen und Gewalt gegen Frauen bleiben im Westjordanland und im Gazastreifen die schwerwiegendsten Probleme für Frauen, trotz verstärkter Anstrengungen, das Geschlechtergefälle zur verringern, hat die palästinensische Juristin Scarlett Bishara berichtet.

„Es ist notwendig, nicht nur die Gesetze, sondern auch die kulturell verankerte patriarchalische Haltung gegenüber Frauen zu ändern“, betonte die Richterin am Kirchengericht der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land (ELKJHL) im Rahmen eines Seminars mit 45 Teilnehmenden, das der Lutherische Weltbund (LWB) vor kurzem in Beit Jala bei Bethlehem veranstaltet hat.

Gastgeberin der Veranstaltung, in deren Rahmen die arabische Fassung des „Grundsatzpapiers: Gendergerechtigkeit im LWB“ vorgestellt wurde, war die ELKJHL. In dem Papier werden theologische Prozesse und Handlungsweisen aufgezeigt, die gerechte Beziehungen zwischen Männern und Frauen fördern und den Beitrag von Frauen zu Kirche wie Gesellschaft stärken.

Pfarrerin Dr. Elaine Neuenfeldt, Referentin des LWB-Programms Frauen in Kirche und Gesellschaft, dankte der ELKJHL für die Übersetzung des Grundsatzpapiers ins Arabische und dafür, dass sie das Dokument „in Ihrer alltäglichen Sprache für die Auslegung theologischer Perspektiven“ zugänglich gemacht habe. Das Konzept Gerechtigkeit impliziere, dass „unterschiedliche Menschen unterschiedliche Zugangsinstrumente, nicht einfach gleiche Instrumente, brauchen. Dies gilt für Frauen in vielen Kulturen.“

 

„Es ist notwendig, nicht nur die Gesetze, sondern auch die kulturell verankerte patriarchalische Haltung gegenüber Frauen zu ändern.“ – Scarlett Bishara, palästinensische Juristin

 

Einsichten aus dem Grundsatzpapier waren in die Überarbeitung der Grundordnung des ELKJHL-Kirchengerichts im Februar 2015 eingeflossen, die nun bei Familiensachen, einschliesslich Erbsachen, Männer und Frauen gleichstellt. „Die ELKJHL ist die erste und einzige Kirche im Nahen Osten, die solche Grundsätze anwendet“, erläuterte Pfarrer Sani Ibrahim Azar von der Jerusalemer Erlösergemeinde. Die Synode habe vor 12 Jahren der Frauenordination zugestimmt, aber es müssten noch viele Schritte „getan werden, um der Gerechtigkeit für Frauen in der Kirche den Weg zu ebnen.“

Eintreten für Frauenrechte

Suheir Farraj, muslimische Menschenrechts- und Genderaktivistin, sprach über das Engagement von im religiösen Bereich angesiedelten Organisationen für Frauenrechte, wie sie in internationalen Verträgen wie etwa dem Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) niedergelegt sind. Farraj ermutigte die Kirche, mit „klarer Stimme“ zu sprechen, was Probleme wie häusliche Gewalt oder die Verheiratung von Minderjährigen angehe, damit innerhalb der Bevölkerung offene Diskussionen möglich werden.

„Ich bin stolz darauf, dass die lutherische Kirchengemeinschaft eine prophetische Rolle wahrnimmt und vorangeht auf dem Weg zur Würde für alle, trotz des Widerstands traditionellerer und konservativerer Stimmen in Gesellschaft und Staat“, betonte sie.

Pfarrer Munther Isaac, Dozent am Bethlehem Bible College, beschrieb Gendergerechtigkeit als wesentlichen Wert lutherischen Glaubens und lutherischer Lehre: „Die Sünde hat die Beziehung zwischen Mann und Frau zerstört und wir arbeiten immer noch daran, Ausgewogenheit und Respekt wiederherzustellen. Wir sind alle gleichermassen schuldig vor Gott, für den Gerechtigkeit Gleichheit, Transparenz und Rechenschaft erfordert.“

Bewusstseinsbildung

Das Seminar sprach eine Reihe Empfehlungen aus. So sei eine weitere Bewusstseinsbildung über die Rechte von Frauen und Mädchen, die Situation in religionsübergreifenden Ehen und Familien und über Strategien notwendig, wie Männer in die Debatte über Gendergerechtigkeit eingebunden werden können. Weiterhin wurde die Kirche aufgefordert, mehr Frauen zum Theologiestudium zu ermutigen und auf das ordinierte Amt vorzubereiten. Die ELKJHL betreibt verschiedene Bildungseinrichtungen und -programme, daher sollten Konzepte entwickelt werden, wie die Bewusstseinsbildung über Gendergerechtigkeit in Lehrpläne von Schulen und anderen Bildungsprogrammen integriert werden könne.

Im Namen des Frauenkomitees der ELKJHL erklärte die Mitorganisatorin des Seminars, Suad Younan, sie sei überzeugt, dass die Kirche im Blick auf Menschen-, Familien- und Frauenrechte den richtigen Weg beschreite, und rief die Kirche auf, ihre prophetische Stimme und wirksamen Instrumente einzusetzen, „um das kirchliche und soziopolitische Inventar zu hinterfragen“. Es sei wichtig, gemeinsam mit der Frauenkoalition in Palästina „die UN-Resolution 1325 [über Frauen, Frieden und Sicherheit] zu fördern und zu stärken und in Sachen CEDAW aktiver zu sein mit dem Ziel, Unrecht in der palästinensischen Gesellschaft zu beobachten und zur Kenntnis zu bringen.“

„Dieses Seminar war ein grosser Erfolg, denn es hat die lutherischen Kirchengemeinden […] zu einem wichtigen Dialog, zur Weiterbildung und zum Austausch über Gendergerechtigkeit im Heiligen Land zusammengeführt“, erklärte Dr. Munib A. Younan, Bischof der ELKJHL und Präsident des LWB.

Der ELKJHL gehören etwa 3.000 Gläubige in sieben Gemeinden in Jerusalem, Ramallah, der Region Bethlehem, in Amman und an der jordanischen Taufstelle an.