Europäische Frauentagung: Unrecht, Diskriminierung und Gewalt überwinden

Kirchenleiterinnen aus Ost-, Mittel- und Westeuropa nahmen im Rahmen einer Regionaltagung zum Thema „Glaube, Gendergerechtigkeit und Menschenrechte von Frauen“ an einem Gottesdienst in der Warschauer Sankt-Trinitatis-Kirche teil. Foto: LWB/Agnieszka Godfrejów-Tarnagórska.

Erfahrungsaustausch und Arbeit an Strukturen

Warschau, Polen/Genf (LWI) – Frauen, die in den west-, mittel- und osteuropäischen Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes (LWB) Leitungsverantwortung tragen, haben diese Woche bei einer Tagung in Warschau (Polen) das Thema „Glaube, Gendergerechtigkeit und Menschenrechte von Frauen“ diskutiert.

Die dreitägige Begegnung diente dazu, die Vernetzung von Frauen aus verschiedenen Kontexten in ganz Europa zu stärken, sie zu bevollmächtigen und mit den nötigen Werkzeugen und Materialien auszustatten, um Unrecht in ihrer jeweiligen Kirche und Gesellschaft zu hinterfragen, und durch die Auseinandersetzung mit biblischen Texten ihr Verständnis von der gleichen Würde von Frauen zu vertiefen.

Die Teilnehmerinnen aus 15 Ländern diskutierten Möglichkeiten, wie das „Grundsatzpapier: Gendergerechtigkeit im LWB“ auf ihren jeweiligen konkreten kirchlichen Kontext angewendet werden kann. Sie lernten zudem internationale Rechtsinstrumente wie das Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau sowie das von allen EU-Mitgliedsstaaten unterzeichnete Übereinkommen von Istanbul kennen, mit deren Hilfe Opfer von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt geschützt werden können.

Erarbeitung praktischer Materialien und Instrumente

Eine Reihe Delegierte aus Westeuropa berichteten, dass ihre Kirchen seit vielen Jahren an der Bereitstellung von Materialien und Instrumenten arbeiten, die die Beteiligung von Frauen an der Leitungsverantwortung sowie die Überwindung sexueller Gewalt vorantreiben sollen. Gleichzeitig stellten sie aber fest, Frauen müssten nach wie vor darum ringen, in ihren Kirchen vollumfänglich an Entscheidungsprozessen beteiligt und als Leitungsverantwortliche anerkannt zu werden. Sichtbare Symptome hierfür seien die Unterschiede zwischen Männern und Frauen bei Einkommen, Sozialleistungen und unbezahlter Arbeit.

Teilnehmerinnen aus manchen Kirchen Mittel- und Osteuropas wiederum, in denen Frauen bisher nicht ordiniert oder in der Gemeindeleitung eingesetzt werden, beschrieben ihrerseits das Ringen um paritätische Vertretung und um den Schutz von Frauen vor Gewalt im häuslichen wie im öffentlichen Umfeld. Die Delegierten waren sich einig, dass Partnerschaften mit unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren aufgebaut und gepflegt und in ihren Kirchen Verhaltenskodizes sowie sonstige Mechanismen entwickelt werden müssen, die Würde und Rechte von Frauen schützen. Dabei sollte auf den Möglichkeiten zur Vernetzung aufgebaut werden, die die Tagung in Warschau biete.

Erfahrung von Gewalt und Missbrauch

Die Auseinandersetzung mit biblischen Texten bot den teilnehmenden Laiinnen und Ordinierten Gelegenheit, sich über persönliche Erfahrungen von sexuellem Missbrauch und Diskriminierung wie auch von struktureller und institutioneller Gewalt in ihren Kirchen auszutauschen. Im Rahmen eines Gottesdienstes in der Warschauer Sankt-Trinitatis-Kirche, der lutherischen Hauptkirche der Stadt, wurden schriftliche Zeugnisse von vergewaltigten und misshandelten Frauen verlesen und es wurde um Heilung für die Überlebenden sowie um ein größeres Bewusstsein für die Notwendigkeit gebetet, die Kultur des Schweigens zu überwinden, die jene schützt, die solche Gewalttaten begehen.

Zum Abschluss der Tagung formulierten die Teilnehmerinnen am 13. November eine gemeinsame Prioritätenliste für die Frauen in den drei LWB-Regionen, die kurz- und längerfristig angelegte Maßnahmen zur Überwindung von Unrecht und zur Unterstützung von Kolleginnen in kirchlichen Ämtern aufzeigt. Die Delegierten der ost- und mitteleuropäischen Kirchen betonten, wesentlich könne die Arbeit für mehr Gendergerechtigkeit unterstützt werden durch die Übersetzung der vorhandenen Materialien in die Ortssprachen und die Entwicklung eines neuen Verständnisses einschlägiger biblischer Texte.

Die westeuropäischen Teilnehmerinnen hoben ihrerseits hervor, es sei wichtig, die männlichen Kollegen in ihre Arbeit einzubeziehen und auf allen Ebenen kirchlichen Lebens die gleichberechtigte Teilhabe an der Leitungsverantwortung zu normalisieren. Es sei wichtig, jüngeren Frauen Mentorinnen zur Seite zu stellen, die Ergebnisse der Genderarbeit zu überprüfen und Schwesterkirchen, die über weniger Mittel verfügen, zu unterstützen.

Pfarrerin Dr. Judith VanOsdol, Programmreferentin für Gendergerechtigkeit und Frauenförderung beim LWB, rief die Teilnehmerinnen auf, kreative Möglichkeiten für das Miteinanderteilen von Ressourcen zu entwickeln und über die Frauennetzwerke hinaus Einfluss zu nehmen auf die Entscheidungsfindung in allen Bereiche kirchlichen Lebens. „Wir sind gemeinsam zu diesem unerlässlichen Dienst berufen“, betonte VanOsdol. Der LWB habe „sich darauf verpflichtet, euch bei dieser Aufgabe zu unterstützen und für sie zuzurüsten.“

Die Organisatorinnen der Tagung in Warschau gaben überdies einen Ausblick auf die nächste LWB-Vollversammlung, die im Juni 2023 in der polnischen Stadt Krakau stattfinden wird. 2023 sei es dann auch zehn Jahre her, seit der LWB-Rat das „Grundsatzpapier: Gendergerechtigkeit im LWB“ angenommen habe. Sie ermutigten die Delegierten, sich an weltweiten Kampagnen wie „Donnerstags in Schwarz“ und „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“ zu beteiligen.