Eng mit den Menschen und der Gesellschaft verbunden

Wiium Arnadottir ist Pfarrerin der Evangelisch-Lutherischen Kirche Islands (ELKI). Foto: LWB/Albin Hillert

Interview mit Wiium Arnadottir, Pfarrerin in Island

Vopnafjörõur, Island/Genf (LWI) – Mit nur 29 Jahren gehört Thuridur Björg Wiium Arnadottir zu den jüngsten Pfarrerinnen und Pfarrern der Evangelisch-Lutherischen Kirche Islands (ELKI). Ihre Gemeinde liegt in einem äußert ländlichen und isolierten Teil der entlegenen Region Islands. Sie lebt in dem kleinen Dorf Vopnafjörður, das auf einer felsigen Halbinsel an der äußersten Nordostküste des Landes liegt – etwa acht Stunden Autofahrt von der Hauptstadt Reykjavik entfernt.

Sie ist überzeugt, dass die Kirche in ihrem Land in eine rosige Zukunft blickt. Sie kümmere sich auch weiterhin um Menschen jeglicher Herkunft und verankere immer noch die religiösen Traditionen in der nationalen Identität des Landes. Sie hat mit den Lutherischen Welt-Informationen über ihren eigenen Glaubensweg gesprochen und darüber, was es für junge Menschen in Island heute bedeutet, lutherisch zu sein.

Bitte werfen Sie ein kurzes Schlaglicht auf das aktuelle kirchliche Leben in Ihrer Gemeinde.

Ich lebe in einem sehr kleinen Ort mit nur rund 700 Einwohnerinnen und Einwohnern, von denen etwa 500 Mitglieder in unserer Kirche sind. Ganz ähnlich sieht die Situation auch im Rest des Landes aus. Wir feiern jeden zweiten Sonntag Gottesdienst, an dem etwa 50 Menschen regelmäßig teilnehmen. Im Mittelpunkt der Arbeit meiner Gemeinde steht die Jugendarbeit, und etwa 95 Prozent aller Schülerinnen und Schüler kommen in die Kirche, um mitzumachen. Die Kinder sind sehr ehrlich: einige sagen ganz direkt, dass sie nicht an Gott glauben würden, aber trotzdem gerne in die Kirche kommen. Und bei uns sind alle willkommen!

Was bedeutet es für die Isländerinnen und Isländer heutzutage lutherisch zu sein?

Das ist eine gute Frage und ich bin nicht sicher, ob die Menschen wirklich wissen, was das bedeutet. Sie sind einfach schon seit Jahrhunderten lutherisch. Ich versuche daher, ihnen zu vermitteln, was es für uns heute bedeutet. Für uns Isländerinnen und Isländer ist es einfach Teil unserer Identität und ich glaube, die Menschen fühlen sich in der Kirche zuhause.
Ich erinnere mich noch genau an einen gewissen Tag: Ich war im Büro und hatte ein bisschen Hunger. Also bin ich in die Küche gegangen, um mir einen kleinen Snack zu holen, aber der Kühlschrank war leer. Einen Moment lang wollte ich mich über die Kinder ärgern, aber dann dachte ich, dass es doch gut sei, wenn sie sich hier zuhause fühlen und wissen, dass die Kirche immer für sie da ist, ganz egal, was sie brauchen oder welche Sorgen sie haben.

Erzählen Sie uns über Ihren persönlichen Weg bis zu Ihrer Ordination – wollten Sie schon immer Pfarrerin werden?

Überhaupt nicht, nein. Als Kind und Jugendliche bin ich an Weihnachten und zu Ostern in die Kirche gegangen, aber für Kinder gab es insgesamt wenig Angebote in der Kirche. Und ich stamme nicht aus einer besonders gläubigen Familie. Ich wollte schon immer etwas mit Menschen machen, also habe ich Sozialarbeit studiert. Aber irgendwie fehlte mir da etwas und so bin ich dann bei der Theologie gelandet. Ich hatte überhaupt nicht vor, Pfarrerin zu werden, aber ich habe die Kirche während meines Studiums kennengelernt und habe festgestellt, dass sie nicht nur sehr wichtig ist, sondern auch viel Spaß machen kann, und dass sie so viele Aspekte unseres Lebens berührt. Meine Familie ist sehr musikalisch, ich spiele Querflöte und habe Gesangsunterricht genommen; außerdem schreibe und lese ich gerne. Und so kam eins zum anderen. Im November 2017 wurde ich in Vopnafjörður ordiniert.

Sie sind die einzige Pfarrerin vor Ort und betreuen drei kleine Gemeinden – ist das nicht manchmal beängstigend und eine zuweilen einsame Aufgabe für jemanden in Ihrem Alter?

Das kann es sein, ja, weil es ein sehr abgelegener Ort auf einer sehr abgelegenen Halbinsel ist. Der nächste Ort ist ein paar Stunden Autofahrt entfernt. Mir helfen da die sozialen Medien, weil ich ja nicht oft wegkann. Ich bin immer bei der Arbeit und habe nur ein Wochenende im Monat frei. Mitglied im Rat des Lutherischen Weltbundes (LWB) zu sein hilft mir da sehr, weil ich so mit der Welt in Kontakt bin.

Wie tanken Sie Kraft, um mit den Schwierigkeiten umzugehen, mit denen Sie konfrontiert sind?

Ich würde sagen, in erster Linie durch meine Kolleginnen und Kollegen und durch beten. Meine Familie lebt hier und jeder kennt einfach jeden – aber das hat natürlich Vor- und Nachteile. Nach der Schule gehen fast alle jungen Menschen aus meinem Heimatort fort, um zu studieren. Es gibt hier also so gut wie keine 16- bis 20-Jährigen.

Ist es dann nicht schwer, die Beziehungen der jungen Menschen zur Kirche zu aufrecht zu erhalten?

Die meisten Kinder werden getauft und lassen sich auch konfirmieren. Und das bleibt ihnen erhalten; wenn sie dann eine schwierige Zeit durchmachen, kann es ihnen helfen. Einige sind aber auch engagierter. In meiner Gemeinde gibt es zum Beispiel eine 16-Jährige, die inzwischen den Beobachterstatus in unserer Synode hat. Die jüngeren Kinder sind sehr aktiv und lieben die Kirche. Einmal im Jahr veranstalten wir eine Woche der Freundschaft, in der sie versuchen, möglichst viel Gutes für ihre Nachbarn zu tun, in den Geschäften vor Ort zu helfen oder sie bieten Umarmungen an und hängen überall im Ort lebensfrohe und inspirierende Botschaften auf.

Die isländische Gesellschaft verändert sich rasch – an die Stelle der traditionellen Lebensweise in ihrem abgelegenen Teil des Landes tritt ein eher säkulares urbanes Lebensmodell. Was sind in diesem größeren Zusammenhang die Herausforderungen für die Kirche?

Es hat sich alles sehr verändert, und auch die Art und Weise, wie Menschen über Religion sprechen, verändert sich. Die humanistisch eingestellten Gesellschaftsgruppen wachsen, aber das ändert nichts daran, dass die von uns angebotenen Dienstleistungen weiterhin gebraucht werden – fast alle Hochzeiten und Beerdigungen zum Beispiel werden immer noch in der Kirche durchgeführt. Die ELKI ist eine Volkskirche, das heißt, dass immer noch rund 70 Prozent der Bevölkerung der Kirche angehören. Aber natürlich gehen auch bei uns wie fast überall in der Region Nordische Länder die Mitgliederzahlen zurück. Wir wollen dennoch weiterhin für alle da sein und wir fragen nie danach, ob jemand in der Kirche ist oder nicht. Die Kirche fühlt sich eng mit den Menschen und der Gesellschaft verbunden, daher denke ich, dass auch die Zukunft verheißungsvoll ist.

Gibt es viele Menschen, die anderen Kirchen oder Glaubensgemeinschaften angehören?

Es gibt in meinem Heimatort eine katholische und eine Pfingstkirche, mit denen wir uns regelmäßig einmal in der Woche treffen und zu denen wir gute Beziehungen pflegen. Wir haben in Island einen Pfarrer für Immigration; er arbeitet mit Asylsuchenden, die hierherkommen, und er ist für diese Menschen wirklich eine große Hilfe. Ich würde sagen, die Kirche nimmt alle mit offenen Armen auf, und die christlichen Traditionen sind immer noch ein wichtiger Bestandteil unserer Kultur. Wenn in meinem Heimatort jemand stirbt zum Beispiel, setzen wir die Flagge vor der Kirche auf Halbmast und das machen dann auch viele andere. Gleichzeitig hat die Regierung aber jüngst die Regelungen für die christlichen Feiertage geändert – jetzt darf man auch an religiösen Feiertagen Bingo spielen, das war bisher verboten.

Ist der Klimawandel für Sie ein wichtiges Thema?

Ja, das Thema hat bei uns hohe Priorität, daher versuchen wir Möglichkeiten und Wege zu finden, unser Engagement in diesem Bereich ganz praktisch zum Ausdruck zu bringen. Unsere Bischöfin fährt ein E-Auto und wir recyceln viel, aber auch in unseren Predigten sprechen wir darüber, wie wichtig es ist, dass die Schöpfung für Geld nicht zu haben ist. Es ist nicht schwer darüber zu sprechen, weil wir uns der Veränderungen sehr bewusst sind – unsere Gletscher schmelzen vor unseren Augen und es wird immer wärmer.

Sie haben im Juni an der LWB-Ratstagung teilgenommen – was nehmen Sie von dieser Tagung mit nach Hause?

Wir können von anderen Kirchen sehr viel lernen, insbesondere von den Kirchen im globalen Süden, wo die Mitgliederzahlen wachsen, während sie bei uns immer weiter zurückgehen. Es ist besonders wichtig für uns, die wir so abgeschieden leben, mit der Welt in Verbindung zu stehen. Daran teilzuhaben, was zum Beispiel der LWB-Weltdienst tut, ist für uns eine gute Möglichkeit, anderen zu helfen und zu dienen.

 

Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.