Eine Frage der Würde

Ein Paar nach dem Einkauf auf dem Markt. Foto: LWB/ C. Caraux-Pellet

Zentralafrikanische Republik: Innovatives Gutschein-System statt Hilfsgüterverteilung

BANGUI, Zentralafrikanische Republik/ GENF (LWI) – „Es ist genau wie ein Markt. Wir können selbst auswählen, was wir brauchen!“, Charlotte (Name geändert) ist begeistert. Sie ist eine der 565 Besucherinnen und Besucher des Hilfsgütermarkts in Nola in der Präfektur Sangha Mbaéré (Zentralafrikanische Republik). 15 örtliche Händlerinnen und Händler haben ihre Stände aufgestellt, und diejenigen, die Hilfsgüter empfangen, sind eifrig dabei, Produkte auszuwählen und darüber zu verhandeln, wie sie das auf einem normalen Markt getan hätten. Der einzige Unterschied besteht darin, dass sie statt mit Bargeld mit Gutscheinen bezahlten, und dass der „Markt“ auf einem Fußballfeld aufgebaut ist.

Die Zentralafrikanische Republik ist Schauplatz einer der vergessenen Krisen der Welt. Als eines der ärmsten Länder der Welt hat sie in den vergangenen 30 Jahren unter ständig wiederkehrenden politischen Unruhen und Gewalt gelitten. Die Kämpfe zwischen den ethnischen Gruppen wirken sich vor allem auf die Zivilbevölkerung aus: Nach Aussage der Vereinten Nationen benötigen 2,3 Millionen Menschen, also die Hälfte der Bevölkerung des Landes, humanitäre Hilfe.

„Vor der Krise besaßen die Menschen beinahe nichts, und jetzt haben sie gar nichts mehr”, sagt  Clémence Caraux-Pelletan, Teamleiterin des Lutherischen Weltbunds (LWB) in der Zentralafrikanischen Republik. „Das Wenige, das sie hatten, ist zerstört worden, und die Menschen haben nicht die Mittel, selbst die grundlegendsten Güter zu erwerben, ihre Häuser zu reparieren oder wenigstens Essen oder Saatgut aufzutreiben.“

Gemeinsam mit anderen humanitären Organisationen sucht der LWB nach Möglichkeiten, den Menschen zu helfen und sie gleichzeitig mental aufzubauen. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei gefährdeten Gruppen geschenkt, beispielsweise Personen, die mit Behinderungen leben, älteren Menschen, Haushalten, an deren Spitze Frauen oder Kinder stehen, und unverheirateten Frauen, die für viele Familienmitglieder sorgen.

Als Einzelpersonen gehört und gesehen

Seit 2014 ist der LWB mehr und mehr davon abgekommen, gebrauchsfertige Hilfsgüterpakete zu verteilen, und dazu übergegangen, die Hilfsgüterempfangenden an der Entscheidung darüber zu beteiligen, welche Art von Unterstützung sie bekommen. Das Gutschein-System ist einfach – die ausgewählten Empfängerinnen und Empfänger erhalten ein Heft mit Gutscheinen, deren Wert sich insgesamt auf das Äquivalent von USD 30 beläuft. Mit diesem Heft können sie auf dem Gutschein-Markt nach den Gütern suchen, die sie benötigen, und dafür mit Gutscheinen statt mit Bargeld bezahlen.

„Was die Leute hier erwerben, unterscheidet sich nicht sehr vom Inhalt der üblichen Hilfsgüterpakete“, sagt LWB-Teamleiterin Caraux-Pelletan. „Eimer, Schüsseln, Töpfe, Matten, Seife und Decken sind, was sie von hier mit nach Hause nehmen.“ Es sei ihnen jedoch möglich, die Art und die Qualität der Produkte zu wählen, die sie benötigen. Daher müssten sie nicht wie früher nach der Verteilung von Paketen, Güter verkaufen, weil sie etwas erhalten hätten, das sie nicht benötigten, merkt die Teamleiterin an.

„Am Wichtigsten aber ist, dass beim Gutschein-System die Empfangenden gehört werden und als Einzelpersonen mit spezifischen Wünschen und Bedürfnissen gesehen werden. Durch dieses System werden sie mental aufgebaut; sie fühlen sich ernstgenommen und beteiligen sich aktiv an Entscheidungen, die sie selbst betreffen.“

Die örtliche Wirtschaft beleben

Der LWB organisiert seine Märkte unter Beteiligung örtlicher Händlerinnen und Händler, um deren Geschäfte zu stärken und aktiv zum Wiederaufbau der örtlichen Wirtschaft beizutragen, die an den meisten Orten stark unter der Krise gelitten hat. Die Händlerinnen und Händler können die Gutscheine im LWB-Büro gegen Schecks eintauschen. Um Betrug zu vermeiden, werden alle Gutscheine vor Eröffnung des Markts gestempelt und sind schwierig zu fälschen.

Da einzelne Handeltreibende oft nicht über die Mittel verfügen, mit gut bestückten Ständen zum Markt zu kommen, unterstützt der LWB sie, indem er ihnen hilft, dörfliche Handelsgenossenschaften zu bilden. Händler und vor allem Händlerinnen aus unterschiedlichen Gemeinschaften werden ermutigt, für ihre jeweilige Gemeinschaft teilzunehmen und damit die Gleichberechtigung der Geschlechter und den sozialen Zusammenhalt zu fördern.

Das Gutschein-System ist besonders in der westlichen Region der Zentralafrikanischen Republik erfolgreich, wo die Sicherheitslage relative stabil ist und die Nähe von Kamerun den Zugang zu Hilfsgütern erleichtert. Mit der zunehmenden spontanen Rückkehr von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen in die Region steigen dort die humanitären Bedürfnisse der Gastgemeinschaften und der Familien der RückkehrerInnen, während letztere sich darum bemühen, sich wieder in ihre Gemeinschaften zu integrieren.

Hintergrundinformation

Der LWB arbeitet seit Anfang 2013 in der Zentralafrikanischen Republik und ist auch während der jüngsten Krise im Land geblieben. Er leistet humanitäre Hilfe wie Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen, Wiederherstellung der Lebensgrundlagen und Ernährungssicherung, Stärkung des sozialen Zusammenhalts und friedliche Lösung von Konflikten, aber auch Wiederaufbau von Häusern und die Bereitstellung von Basishilfsgütern durch die Gutschein-Märkte. In den westlichen Provinzen des Landes (Ouham Pendé, Nana Mambéré, Mambéré Kadei und Sangha Mbaéré) unterstützt der LWB insgesamt 132.445 Menschen mit seinen Gutschein-Märkten.

Die Arbeit in der Zentralafrikanischen Republik wird ermöglicht durch die Unterstützung des Humanitären Fonds der UNO , des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) und des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland über die Diakonie Katastrophenhilfe (DKH).