Ein lutherischer Blickwinkel auf Übersetzungsarbeit

Dr. Hoyce Jacob Lyimo-Mbowe war eine der beiden Dozenten des 19. Internationalen Seminars für Theologinnen und Theologen, das im LWB-Zentrum Wittenberg stattfand. Foto: LWB/A. Weyermüller

Ein lutherischer Blickwinkel auf Übersetzungen

Interview Dr. Hoyce Jacob Lyimo-Mbowe

Wittenberg (Deutschland)/Genf (LWI) – Dr. Hoyce Jacob Lyimo-Mbowe ist ordinierte Pfarrerin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Tansania (ELKT) und Studierendendekanin am Tumaini University Dar es Salaam College, eines der Hochschulzentren der Kirche mit aktuell 2.500 Studierenden.

Lyimo-Mbowe hat mit der Lutherischen Welt-Information (LWI) darüber gesprochen, inwiefern Themen, die auf dem 19. Internationalen Seminar in Wittenberg (Deutschland) zum Thema „Ethische und soziale Aspekte in Martin Luthers Theologie“ thematisiert wurden, ihre Arbeit in Tansania aufgreifen.

Eine der Arbeitssitzungen im Rahmen des Seminars beschäftigte sich mit der Hermeneutik – der Theorie und Methodik der Auslegung von Texten – und der Übersetzung der Bibel. Erzählen Sie uns doch bitte etwas über die Diskussionen und Gespräche diesbezüglich.

Eine der großen Leistungen Martin Luthers war die Übersetzung der Bibel ins Deutsche. Das hatte beträchtliche soziale und theologische Auswirkungen in der Gesellschaft, in der er lebte, und war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer einheitlichen deutschen Sprache.

Luther musste Möglichkeiten und Wege finden, die Botschaft gleichzeitig wahrheitsgetreu und verständlich zu vermitteln und dabei auch die Zeit und den Kontext seiner Leserschaft nicht außer Acht zu lassen.  Eine wörtliche Übersetzung des hebräischen und griechischen Originaltextes erwies sich dabei nicht als sehr hilfreich, daher entwickelte er den so genannten Grundsatz der sinngetreuen Übersetzung, was ein eher leserorientierter Ansatz ist. Ziel dieses Ansatzes war es, die biblischen Texte nicht nur einfach wortwörtlich zu übersetzen, sondern einen verständlichen Satz zu formulieren, der von den Lesenden verstanden wird und an ihre Bedürfnisse angepasst ist.

Das gefiel Luthers Gegnern überhaupt nicht; er wurde heftig kritisiert für diese Herangehensweise. Ihm wurde vorgeworfen, er würde das heilige Wort Gottes verfälschen. In seinem „Sendbrief vom Dolmetschen“ verteidigt Luther seinen Ansatz gegen diese Kritik und erörtert seine Gründe für diesen Ansatz.

Interessanterweise liegt der Schwerpunkt in seiner Argumentation auf dem Vers über sola finde – der Rechtfertigung allein durch den Glauben – aus dem Römerbrief 3,28, der für Martin Luther ein Vers von zentraler Bedeutung war. Der Grund, dass er hier den Terminus solum oder tatum – also „nur“ oder „allein“ – hinzugefügt hat, ist, dass er den tieferen Sinn des Textes besser vermitteln wollte. Luther zufolge erforderte der deutsche Dialekt und Sprachgebrauch seinerzeit, dass das Wort „allein“ hinzugefügt werde, um den tatsächlichen Sinn der Bibelstelle verdeutlichen zu können.

Sie waren in Tansania an einem Forschungsprojekt beteiligt, das sich mit der Übersetzung der Bibel in die Sprache der Massai beschäftigt hat. Können Sie Luthers Ansatz im Kontext dieses Forschungsprojektes nachvollziehen?

Die sinngetreue Übersetzung ist in vielen Fällen hilfreich, auch im heutigen tansanischen Kontext. Aber es gibt natürlich auch ein Problem bei diesem Ansatz: Man muss wissen, was genau der jeweilige biblische Text zum Ausdruck bringen will, und muss diese Botschaft durch die Verwendung der in der Zielsprache und -kultur passendsten Formulierung und der dort passendsten Wörter erhalten.

Von 2015 bis 2017 habe ich als Postdoktorandin in einem Forschungsprojekt der Theologischen und Diakonischen Fakultät der VID Fachhochschule in Stavanger (Norwegen, https://www.vid.no/en/) über „Die Massai und die Bibel“ mitgearbeitet. Meine Feldforschung habe ich in der Region um Arusha in Tansania durchgeführt.

Ich habe Diskussionen über Gender-Aspekte und insbesondere über das Thema Polygamie und den Status von Frauen bei den Massai geführt. Und auch wenn Polygamie rückläufig ist, ist sie immer noch ein Thema, das sich lohnt zu diskutieren, weil die Auswirkungen im Leben der Massai heute noch immer sehr präsent sind. Meine Kontaktpersonen – Männer und Frauen – und ich haben gemeinsam Bibeltexte über die Schöpfungsgeschichte, über Polygamie und über die Rechte von Frauen in polygynen Beziehungen gelesen und ausgelegt.

Einer dieser Bibeltexte, die wir gemeinsam gelesen haben, war Exodus 21,10. In diesem Text geht es um die Rechte von Frauen in polygynen Beziehungen. Wir haben dafür sowohl die Bibel in Kisuaheli als auch in Maa, der Sprache der Massai, benutzt. Meine Kontaktpersonen haben festgestellt, dass die Texte in den Bibeln unterschiedlich formuliert sind und dass dies ihrer Meinung nach entscheidende Unterschiede in der Bedeutung und den Rechten von Frauen im ehelichen Leben mit sich bringe. Es wurde betont, dass eine der drei Pflichten, die ein Ehemann all seinen Frauen erfüllen müssen, verändert wurde.

Das erste Grundbedürfnis ist „ihre Nahrung“. Das zweite ist „ihre Kleidung“. Das dritte Grundbedürfnis heißt im Kisuaheli-Text „na ngono yake“, was so viel bedeutet wie „und ihre sexuellen Rechte“ oder „Geschlechtsverkehr“. In der Maa-Bibel ist dieses Wort jedoch wiedergegeben mit „enjung’ore“, was so viel bedeutet wie „und ihr Erbe“.  Meinen Kontaktpersonen stellte sich also die Frage: Warum hat der Übersetzer dieses Bibeltextes in die Maa-Sprache sich entschieden, das Wort „Erbe“ und nicht das Wort „sexuelle Rechte“ oder „Geschlechtsverkehr“ zu verwenden?

Einige haben vermutet, dass das Recht der Frauen auf ihr „Erbe“ bei den Massai problematischer sei als das Thema sexuelle Rechte, Geschlechtsverkehr oder eheliche Rechte. Indem er den Begriff „Erbe“ als Übersetzung für eine Formulierung wählt, die in anderen Bibelübersetzungen zumeist mit „ehelichen Rechten“ übersetzt wird und damit den Geschlechtsverkehr einschließt, hat der Maa-Übersetzer das Wichtigste für die Massai-Frauen ausgeklammert. Das zugrundeliegende Problem der ehelichen Rechte in der Massai-Gesellschaft ist eng mit dem Kinderkriegen verbunden. Die Stellung der Frau in dieser Gesellschaft hängt in großem Maße von ihrer Fähigkeit ab, Kinder zu gebären.

Beim 19. Internationalen Theologie-Seminar in Wittenberg (Deutschland) zu unterrichten, muss eine ganz besondere Erfahrung gewesen sein. Erzählen Sie uns doch bitte etwas über Ihre persönlichen Eindrücke.

Mit einer Gruppe von Menschen aus 17 verschiedenen Ländern zu interagieren hat dazu geführt, dass ich sehr viele verschiedene Blickwinkel auf die Diskussionsthemen zu hören bekommen habe. Besonders gefallen hat mir die aktive Teilnahme der Pastorinnen und Pastoren – es war ein wechselseitiger Lernprozess und die Arbeitsatmosphäre war sehr gut.

Auch die gemeinsamen Vorbereitungen des Seminars mit Prof. Dr. Ľubomír Batka aus der Slowakei war sehr inspirierend und beflügelnd. Sich so genau mit Luthers Schriften zu beschäftigen und herauszuarbeiten, welche Bedeutung sie auch heute noch für uns haben, hat auch mir persönlich viele neue Einblicke und Erkenntnisse ermöglicht. Wir mussten immer wieder entscheiden: Was nehmen wir auf und was stellen wir zurück. Das ist harte Arbeit, aber sie war es auf jeden Fall wert.

 

Vom 2. bis 16. März fand im LWB-Zentrum Wittenberg das 19. Internationale Seminar für Theologinnen und Theologen statt. Das Thema des Seminars lautete "Ethische und soziale Aspekte in Martin Luthers Theologie" und wurde von Prof. Dr. Ľubomír Batka (Slowakei) und Dr. Hoyce Jacob Lyimo-Mbowe (Tansania) geleitet. 20 Pfarrerinnen und Pfarrer von Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes (LWB) aus 17 Ländern nahmen teil.