„Dauerhafte und friedliche Lösungen“ für vertriebene Rohingya erforderlich

2018 besuchte LWB-Präsident Panti Filibus Musa Rohingya im Vertriebenenlager Ohn Taw Gyi South im Bundesstaat Rakhine, Myanmar. Foto: LWB/Phyo Aung Hein

Direktorin des LWB-Weltdienstes über die Situation in Myanmar und Bangladesch

GENF, Schweiz (LWI) – Die Bedürfnisse der vertriebenen Rohingya müssten nachhaltiger berücksichtigt werden, so Maria Immonen, Weltdienst-Direktorin des Lutherischen Weltbundes (LWB). In ihrer Eigenschaft als stellvertretende Vorsitzende des Ständigen Ausschusses für humanitäre Hilfe (SCHR) hat Immonen am 22. Oktober 2020 an der internationalen Online-Geberkonferenz teilgenommen, damit die vertriebenen Rohingya zusätzliche Hilfe bekommen. Die Konferenz wurde vom Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), dem Vereinigten Königreich, der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten organisiert.

Der Weltdienst des LWB leistet humanitäre und Entwicklungshilfe für die Rohingya im Rakhine-Staat in Myanmar sowie in Cox Bazaar, dem Rohingya-Flüchtlingslager in Bangladesch. In einem Gespräch berichtet Immonen über die Lage in den Camps, COVID-19 und Hoffnungen, die sie auf die Konferenz setzt.

Sie haben Anfang des Jahres ein Vertriebenenlager in Rakhine-Staat besucht. Was waren Ihre Eindrücke?

Ich habe während meiner beruflichen Laufbahn zahlreiche Flüchtlings- und Vertriebenenlager besucht, aber ich muss sagen, dass ich schockiert war über die Lebensbedingungen in Myanmar.

Die Standorte, an denen die Lager aufgebaut wurden, sind alles andere als ideal. Die hygienischen Standards sind nicht akzeptabel. An bestimmten Stellen gibt es kaum Zugang zu sauberem Wasser, und das gilt besonders während der Regenzeit. Diese Zustände haben sich immer noch nicht geändert, obwohl die Bevölkerung seit Jahren humanitäre Hilfe bekommt. Grundlegende Dienste werden nicht auf dem Niveau geleistet, das erforderlich wäre, und die SPHERE-Mindeststandards der Katastrophenhilfe in den Bereichen sanitäre Vorkehrungen, Ernährung, Unterkünfte und medizinische Dienste lassen sich nicht verwirklichen. Mehr Unterstützung ist erforderlich.

Der LWB arbeitet seit mehr als zwölf Jahren mit den Rohingya in Myanmar zusammen und ist seit 2017 auch in Bangladesch im Einsatz. Wie hat sich die Situation dort entwickelt?

Es gibt weiterhin sporadische Fälle von Gewalt zwischen den Konfliktparteien in Myanmar mit Folgen für die Zivilbevölkerung ungeachtet ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Bewaffnete Auseinandersetzungen haben schwere und schädliche Auswirkungen auf alle Menschen im Land.

Aufgrund des Verlustes ihrer Bewegungsfreiheit haben die Rohingya in Myanmar und Bangladesh keinen Zugang zu wichtigen Dienstleistungen und kaum Möglichkeiten der Existenzsicherung. In Myanmar haben sie das Recht auf Teilnahme an den Parlamentswahlen am 8. November verloren, weil sie keine Bürgerrechte mehr haben.

Das wirkt sich negativ auf die Würde der betroffenen Bevölkerung aus, da sie ihre sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen, bürgerlichen und politischen Rechte nicht mehr umfassend wahrnehmen können. Auch die Aufnahmegemeinschaften haben Probleme, wirtschaftlich über die Runden zu kommen.

Wir hat sich COVID-19 auf diese Situation ausgewirkt?

COVID-19 hat die Probleme verschärft, denn die Pandemie hat die Zugangsmöglichkeiten zu in Not geratenen Gemeinschaften weiter eingeschränkt. Lockdowns und Quarantänemaßnahmen erschweren die humanitäre Arbeit und Besuche in den betroffenen Gebieten, und sie verschärfen die Gesundheits- und Sicherheitsprobleme für das Personal und die Bevölkerung insgesamt. Die Gesundheitsversorgung ist in diesen Regionen nur noch eingeschränkt möglich, und die unkontrollierte Verbreitung des Virus aufgrund der Bedingungen in den Lagern kann für die Bevölkerung extreme Folgen haben.

Welche Herausforderungen gibt es für das LWB-Personal, das vor Ort im Einsatz ist?

Seit Ausbruch der Pandemie halten sie dort die Stellung, und sie sorgen in hohem Maße dafür, dass den Rohingya in beiden Ländern nach wie vor essenzielle und lebenswichtige Dienste zuteilwerden. Die meisten unserer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen werden vor Ort rekrutiert und haben einfach wie bisher weitergearbeitet.

Aufgrund der erheblichen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit gibt es keine regulären Freistellungs- und Urlaubszeiten mehr, und selbst Reisen innerhalb des Landes sind extrem schwierig geworden und erhöhen den Stress für alle Betroffenen. Langfristig fordert die Pandemie von uns allen einen hohen Tribut.

Sie werden in Ihrer Eigenschaft als stellvertretende SCHR-Vorsitzende an der Internationalen Rohingya-Geberkonferenz teilnehmen. Auf welche Ergebnisse der Konferenz hoffen Sie?

Ich hoffe, dass die humanitäre Unterstützung der Rohingya und der Aufnahmegemeinschaften in beiden Ländern weitergeht. Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen müssen ihre Verpflichtung bekräftigen, die eigentlichen Ursachen des Konfliktes zu bekämpfen und Friedensprozesse zu unterstützen und zu ermöglichen, die die Menschenrechte aller Beteiligten respektieren.

Der LWB wird zusammen mit dem NGO-Forum in Myanmar eine Erklärung unterzeichnen. Welche Forderungen stellen Sie?

Wir fordern die Respektierung der Menschenrechte besonders derjenigen Menschen, die an den Rand gedrängt und ausgeschlossen werden, die keinen Zugang zu Dienstleistungen haben und nicht geschützt werden.

Der LWB fordert Myanmar, Bangladesch, die Mitgliedstaaten und die Vereinten Nationen auf, etwas gegen die eigentlichen Ursachen für die Vertreibungen zu unternehmen und die Rohingya weiterhin in Myanmar selbst und auch außerhalb des Landes zu unterstützen und sich intensiver für tragfähige und friedliche Lösungen einzusetzen. Ohne einen dauerhaften Frieden gibt es wenig Hoffnung für ein Leben in Würde für alle.

 

Der LWB arbeitet seit 2012 mit Vertriebenen- und Aufnahmegemeinschaften im Rakhine- und im Chin-Staat in Myanmar zusammen, führt Bildungsprogramme durch, sorgt für den Schutz der Menschen und unterstützt gemeinschaftsnahe Aktivitäten zur Verbesserung der Autarkie der Gemeinschaften.

Nach den Massenvertreibungen im Jahr 2017 begann der LWB über sein ehemaliges RDRS-Länderprogramm eine Zusammenarbeit mit den Rohingya-Flüchtlingen im Flüchtlingslager Cox Bazaar in Bangladesch. Der LWB hilft bei der Existenzsicherung, betreut Wasser-, Sanitär- und Hygieneprojekte, kümmert sich um den Umweltschutz und bietet Beratung und Aufklärung in Fragen der reproduktiven Gesundheit für Heranwachsende und Jugendliche in den Flüchtlings- und Aufnahmegemeinschaften an, um ihre Lebenssituation zu verbessern und ein friedliches Zusammenleben zu fördern.

Die Arbeit der LWB-Abteilung für Weltdienst mit den Rohingya in Myanmar und Bangladesch wird unterstützt von ACT Church of Sweden, Brot für die Welt, Christian Aid, Kirche von Schweden, Department für auswärtige Angelegenheiten und Handel von Australien (DFAT), Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche der Tschechischen Brüder (DECCB), Europäische Union, Finnische Kirchenhilfe, Global Affairs Canada, Myanmar Relief Fund, RadioAid, UNHCR und UN Frauen.