„Das macht jede mutig!“

Eine Trainerin bringt zwei jungen Frauen in der Oase des Friedens das Capoeira-Trommeln bei. Alle Fotos: LWB/E. Massel

LWB bildet im Flüchtlingslager Za‘atari in Jordanien Capoeira-Trainerinnen aus

Al Mafraq, Jordanien/Genf (LWI) – Abgeschottet von der Außenwelt und der bitteren Realität des Flüchtlingslagers bietet ein geräumiges Gebäude aus Containern im Gemeinschaftszentrum „Oase des Friedens“ Mädchen ein sicheres und vertrauliches Umfeld für ihr Capoeira-Training. Der afrobrasilianische Kampfsport, der eine Kombination aus Tanz, Musik und Akrobatik ist, wird in dem Gemeinschaftszentrum, das vom Lutherischen Weltbund (LWB) unterhalten wird, schon seit einiger Zeit für Flüchtlingsmädchen und junge Frauen angeboten. Aber nun sind die ersten jungen Frauen soweit fortgeschritten, dass sie selbst Kurse geben.

Im Flüchtlingslager Za‘atari in Jordanien leben 70.000 Menschen, darunter viele Kinder und Jugendliche. Sie sind vor sieben Jahren aufgrund des anhaltenden Konflikts aus ihrer Heimat Syrien geflohen und es besteht wenig Hoffnung, dass sie in naher Zukunft dorthin werden zurückkehren können. Insbesondere für die jungen Menschen ist die Situation schwierig, weil sie lange Jahre einer für sie prägenden Zeit in einem Flüchtlingslager verbringen müssen. Capoeira ist nur eine von vielen verschiedenen Aktivitäten, die im Gemeinschaftszentrum angeboten werden, um beim Stressabbau zu helfen und insbesondere den Mädchen eine Gelegenheit für sportliche Aktivitäten zu geben.

„Ich bin jetzt mutiger“

Nur die Trommelrhythmen, die durch die Oase des Friedens hallen, lassen erahnen, was im Container los ist: rhythmische Musik, lautes, ansteckendes Lachen und ein vielseitiger Mix aus choreographierten und improvisierten Kampfsportsequenzen. Fünf syrische Flüchtlingsmädchen im Teenageralter wurden von LWB-Mitarbeiterinnen zu Capoeira-Trainerinnen ausgebildet. Ruqaya, eine 20-Jährige aus Dara‘a, hatte noch nie etwas von Capoeira gehört als sie für die Ausbildung vorsprach.

Sie erinnert sich: „Als ich mich beworben habe, dachte ich, ich würde vielleicht Zumba-Trainerin werden. Aber dann habe ich begonnen, Capoeira zu lernen und war begeistert! Die Bewegungen sind nicht einfach, aber ich war sehr stolz, als ich sie nach und nach meisterte. Als ich dann das erste Mal selbst einen Kurs unterrichten sollte, war ich sehr aufgeregt. Ich habe mich sehr intensiv darauf vorbereitet. Aber schon nach zehn Sekunden im Kurs war meine Angst verflogen, weil ich gesehen habe, wie viel Spaß die Mädchen hatten. Und jetzt bin ich mutiger.“

Im Flüchtlingslager Za‘atari könnten sich die Mädchen sehr viel weniger frei bewegen als die Jungen, berichtet Ruqaya. Capoeira sei eine einzigartige Gelegenheit für die Mädchen, sich frei und gestalterisch zu bewegen. Der LWB hat das Programm genau auf die Bedürfnisse der Mädchen zugeschnitten und bietet ihnen dafür einen abgeschlossenen Bereich, der nur für Mädchen und Frauen zugänglich ist. Die LWB-Mitarbeitenden sprechen Familien direkt an und erläutern ihnen die positiven Effekte von Capoeira. Neben den positiven Auswirkungen auf die körperliche Leistungsfähigkeit kann Capoeira auch dabei helfen, negative Emotionen los zu werden, Freundschaften zu schließen und Traumata zu überwinden.

Positive Vorbilder

„Wir hatten mal eine Teilnehmerin, die so gut wie gar nicht gesprochen hat, als sie hier anfing“, erinnert sich Ruqaya. „Aber Capoeira ist ein Sport, den man mit einer Partnerin macht. Anfangs wollte sie mit niemandem zusammenarbeiten. Nach ein paar Wochen habe ich gesehen, wie sie sich dann zum ersten Mal selbst eine Trainingspartnerin aussuchte. Und in jedem folgenden Training hat sie sich ein neues Mädchen als Trainingspartnerin ausgesucht. Capoeira macht jeden mutig. Es ist ein sicherer Ort hier, wo jede so sein kann, wie sie ist.“

Rasha und Malak (13 und 14 Jahre alt) sind Freundinnen, seit sie vor sechs Jahren im Flüchtlingslager angekommen sind. Sie haben auch zusammen mit Capoeira angefangen und schon komplexe Bewegungen und portugiesische Lieder auswendig gelernt und können inzwischen den Rhythmus auf der Trommel halten.

Rasha sagt über die Erfahrungen, die sie gemacht hat: „Am ersten Tag war es schon sehr komisch. Die Bewegungen waren merkwürdig und ich hatte noch nie solche Musik gehört. Aber ich bin immer besser geworden und je besser ich wurde, desto mehr Selbstvertrauen hatte ich. Ich schaue zu meinen Capoeira-Trainerinnen auf und ich lerne von ihnen. Wenn ich einmal groß bin, möchte ich auch Capoeira-Trainerin werden. Oder Ärztin. Oder beides.“

Um die Capoeira-Kurse in Za‘atari anbieten zu können, kooperiert der LWB mit Capoeira Al Shababi. Zentraler Aspekt für den Erfolg des Programms ist der Ansatz, Trainerinnen ausbilden zu wollen, was bedeutet, dass junge Syrerinnen so lange unterstützt werden bis sie selbst eigenständig Kurse leiten können. Dies ermutigt nicht nur die jungen Frauen dazu, Führungsrollen zu übernehmen, sondern gibt den Kindern auch Vorbilder innerhalb ihrer eigenen Gemeinschaft, denen sie nacheifern können

„Wenn ich nach einem Kurs nach Hause komme, bringen Rasha und ich den anderen Mädchen in unserer Nachbarschaft Capoeira bei“, erzählt Malak. Dieses Vorgehen gewährleistet, dass die Tradition des Capoeira – das an sich schon kulturübergreifend ist – in den nahegelegenen Gemeinschaften weitergegeben wird.

 

Seit Beginn des Konflikts in Syrien unterstützt der LWB Menschen, die vor dem Krieg in Syrien und der Krise im Irak geflohen und in lokalen Gemeinschaften oder Flüchtlingslagern untergekommen sind. Zielgruppe der „Oase des Friedens“ im Flüchtlingslager in Za‘atari sind 14- bis 24-Jährige. Es gibt ein breites Angebot an Aktivitäten zur psychosozialen Unterstützung dieser jungen Menschen, um ihre Resilienz zu fördern. Zu den Aktivitäten zählen Kurse zur Agressionsbewältigung, Musikunterricht, Sport- und Kunstangebote sowie Berufsausbildungen.

Ein Beitrag von Emily Massel, LWB-Programm in Jordanien.