Burundi: Gemeinsam auf dem Weg zu einer krisenfesteren Gemeinschaft

Bau einer Strasse durch Mishiha Hill in Burundi. Dies ist Teil der 10 Mikroprojekte, die vom LWB Burundi und der Canadian Food Grains Bank durchgeführt werden. Foto: LWB/L. Gillabert

Geflüchtete kehren zurück nach Burundi

CANKUZO, Burundi/GENF (LWI) – Eine lehmfarbene unbefestigte Straße hebt sich scharf von den umgebenden Bananenbäumen und Reisfeldern ab. Diese Straße ist die „rote Route“, die Bujumbura, die ehemalige Hauptstadt Burundis, mit der Kleinstadt Cankuzo in der Nähe der Grenze zu Tansania verbindet. Der LWB Burundi ist in diesem entlegenen und oftmals vergessenen Teil des Landes besonders aktiv.

Am Straßenrand erinnert ein Mahnmal mit der Inschrift „Plus jamais ça” („Nie wieder“) an die dunkelsten Stunden des Landes.  1993 war Burundi der Schauplatz eines ethnischen Bürgerkrieges, der das Ergebnis jahrelanger Spannungen zwischen Hutus und Tutsis war.  Der Krieg dauerte zwölf Jahre und kostete 300.000 Menschen das Leben. Zwar konnte durch ein Abkommen 2006 der Friede wiederhergestellt werden, aber 2015 kam es in Burundi erneut zu einer Krise, als sich der Präsident des Landes per Verfassungsreform eine dritte Amtszeit sichern wollte.

Diese Straße zwischen Bujumbura und Cankuzo verläuft weiter bis nach Tansania. Viele Menschen aus Burundi fahren auf dieser Straße bis ins Nachbarland, um sich dort als Saisonarbeitskräfte zu verdingen. Für Hunderttausende war diese Straße während der Bürgerkriegsjahre der Fluchtweg nach Tansania. Inzwischen kehren zahlreiche der Geflüchteten nach Burundi zurück. Diese Rückkehr ist jedoch problematisch – sie haben kein Geld, es fehlt an Land und beruflichen Möglichkeiten.

Auf dem Weg zur Kooperation

Der LWB Burundi hat im Jahre 2006 seine Arbeit aufgenommen, um die Bevölkerung angesichts dieser Herausforderungen zu unterstützen. Ein Teil der Antwort ist auf einer anderen Straße zu finden – einer Nebenstraße, die durch die Mishiha-Berge in der Provinz Canzuko verläuft. Dort hat der LWB mit Hilfe der Canadian Food Grains Bank und der Organisation Canadian Lutheran World Relief zehn Mikroprojekte auf den Weg gebracht, von denen 4.500 Menschen profitieren. Emmanuel Ndamurokore, LWB-Experte für Ernährungssicherheit, erklärt, dass „sich alle am Aufbau einer starken Gemeinschaft beteiligen. Binnenvertriebene und heimkehrende Personen und sogar die am stärksten gefährdeten Gruppen erkennen, wie wichtig ihr Beitrag zu diesen Projekten ist. Gemeinsam analysieren sie Prioritäten und entscheiden, welche Mikroprojekte durchgeführt werden.“

In dem lange gespaltenen Land sind Kooperation und Zusammenarbeit der Schlüssel zum Erfolg. Zurzeit arbeiten Mitglieder der Gemeinschaft am Bau einer weiteren Landstraße und verdienen sich auf diese Weise etwas Geld. Die Gruppe arbeitet 14 Tage lang an der Sanierung der Straße über einen Streckenabschnitt von 6 Kilometern.

Sezariya Ntihabose ist verwitwet und Mutter dreier Kinder. 2015 ist sie aus Burundi nach Tansania geflohen, voller Angst um ihr Leben. Selbst nach ihrer Rückkehr in die Heimat im Jahre 2019 ging sie jeden Tag zwei Stunden zu Fuß zu ihrer Arbeitsstelle im Nachbarland. Mit dem zusätzlichen Einkommen aus dem Projekt muss sie nicht mehr täglich diesen Weg auf sich nehmen. Sie erklärt: „Ich freue mich, denn jetzt haben wir eine Straße in einem guten Zustand“, und fügt dann mit einem Lachen hinzu, dass sie sich „ebenfalls darüber freut, jeden Tag 3.000 Burundi-Francs (1,5 USD) zu verdienen.“

Abgesehen von dem zusätzlichen Einkommen erwerben die Nutzniessenden auch Fertigkeiten in diversen Bereichen durch individualisierte Ausbildungsangebote. „Ich habe im Haushalt etwas über die Geschlechtergleichstellung gelernt und wie man gegen sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt kämpft. Ich besuche auch die Farmer Field School, wo ich etwas über Landwirtschaft lerne. Ich bin Mitglied des Ausschusses und habe an verschiedenen Kursen teilgenommen. Ich kann jetzt weitergeben, was ich in der Gemeinschaft gelernt habe“, erklärt Sezariya.

Zusammenarbeit spielt ebenfalls eine zentrale Rolle bei einem anderen vom LWB Burundi durchgeführten Projekt, das vom deutschen Nationalen Komitee und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika als Partnerorganisationen unterstützt wird.  Diese Initiative ermöglicht es 1.000 jungen Erwachsenen in den Provinzen Canzuko und Ruyigi, ein zusätzliches Einkommen zu verdienen und dabei die Ernährungssicherheit der vulnerabelsten Haushalte zu gewährleisten. Darüber hinaus lernen die Teilnehmenden etwas über moderne landwirtschaftliche Techniken und schließen sich Genossenschaften an, um ihre Arbeit stärker zu diversifizieren.

Sidace Minani ist Vorsitzender einer dieser Genossenschaften mit 32 Mitgliedern (18 Frauen und 14 Männer). Sie alle haben an einer Ausbildung über Landwirtschaft und Buchhaltung teilgenommen und Saatgut und eine Mühle erhalten.

„Früher haben wir große Felder bewirtschaftet und mit viel Saatgut nur eine kleine Ernte eingefahren. Jetzt verwenden wir weniger Saatgut, aber mit besseren Erträgen“, erklärt Sidace.

Die Gruppe arbeitet so gut, dass sie andere inspiriert: „Ich bin dankbar zu erleben, wie erfolgreich meine Gruppenmitglieder sind, und dass immer mehr Menschen bei uns mitmachen wollen. Viele wollen Teil unserer Gruppe sein, und andere bitten uns, sie auszubilden. Wir haben unseren Nachbarn und Nachbarinnen geholfen, die Techniken zu übernehmen, die wir selbst gelernt haben“, sagt Sidace stolz.

Mit den erwirtschafteten Gewinnen ist es der Gruppe gelungen, ihre Aktivitäten weiter zu diversifizieren. Im April eröffnete sie eine Bäckerei. Die dort verkauften Produkte wurden mit dem eigenen Mehl gebacken. Die Genossenschaft hat ebenfalls ein Spar- und Darlehensprogramm (Village Savings and Loan Association – VSLA) aufgelegt. Jonas Hakizimana, Mitglied der Gruppe, erklärt lachend: „Bevor ich Teil der Gruppe wurde, habe ich in einem Haus mit einem Grasdach gelebt. Wenn es regnete, bin ich mitten in der Nacht von dem Wasser aufgewacht, das auf meine Ohren tropfte! Ich bin zwar verheiratet, fühlte mich aber nicht als richtiger Mann! Nach der Schulung habe ich mich der Gruppe angeschlossen und fing an, Geld zu sparen. Ich entschloss mich, in ein Blechdach für mein Haus zu investieren, und jetzt schlafe ich wesentlich besser!“

Frauen gehen voran

Ebenso wichtig wie die Zusammenarbeit ist auch die Gleichbehandlung. Für Frauen stellt sich die Situation schwieriger dar. Sie haben keinen Zugang zu geerbtem Land und sind neben der Arbeit auf den Feldern auch noch für den Haushalt verantwortlich. Sie wissen wenig über ihre Rechte und welche Möglichkeiten es gibt, diese Rechte in Anspruch zu nehmen.

Ein eigenes Einkommen zu haben ist der erste Schritt, neue Fähigkeiten zu erlernen und selbständiger leben zu können. In der Nähe der von Sidace und seiner Gruppe geleiteten Bäckerei, ein Stück weit die Straße hinunter, arbeitet eine weitere Genossenschaft. Péline Nkunzimana leitet eine Gruppe mit 35 Frauen, die farbenfrohe Körbe aus getrocknetem Gras und ausgemusterten Einkaufstaschen herstellen. Sie nähen ebenfalls Kleidung.

Mitglieder der Genossenschaft haben das Design und die Qualität dieser Produkte verbessert. Aufgrund dieser neuen Fähigkeiten konnte die Gruppe auch ihre Einnahmen erhöhen. Dieses Geld investieren sie in erster Linie in ihr häusliches Umfeld. „Mit dem Geld kann ich Schulhefte, Stifte und Uniformen für meine Kinder kaufen“, sagt Péline, Mutter von sechs Kindern. Sie hat ebenfalls in Nutztiere, Kaninchen und Hühner investiert.

Weiter oben auf dem Hang in Cendajuru sind weitere Frauen für ihre Gemeinschaft im Einsatz. Sie haben an LWB-Kursen für Führungs- und Konfliktlösungskompetenz teilgenommen. Mitglieder der Gemeinschaft kommen zu ihnen und bitten sie um Unterstützung und um Rat bei alltäglichen Problemen.

Clothilde Mbonigaba gehört zu dieser Gruppe. Sie berichtet über ihre Erfahrungen und darüber, dass ihr „diese Ausbildung die Gelegenheit gegeben hat, sich viele neue Fähigkeiten und neues Wissen anzueignen, denn Frauen kennen oft ihre Rechte nicht. Ich habe gelernt, andere Frauen zu beraten, Frauen in schwierigen Situationen zu unterstützen, wie man einen Frauenverein gründet oder einen Gemüsegarten anlegt. Ich bin glücklich, dass ich so arbeiten kann.  Die Menschen in der Gemeinschaft erkennen mich an, und ich bin stolz darauf, dass sie Rat bei mir suchen.“

Die Situation in Burundi ist stabil, aber immer noch unsicher, und das Land zählt nach wie vor zu den ärmsten Nationen der Welt. Sezariya und die anderen, die im Rahmen der Mihisha-Mikroprojekten zusammenarbeiten, zeigen in überzeugender Weise, dass ein krisenfesteres Burundi nur über kollektives und gemeinschaftliches Handeln zu erreichen ist.

Von LWB/L. Gillabert. Deutsche Übersetzung: Detlef Höffken, Redaktion: LWB/A. Weyermüller