Blog: Interreligiöse Advocacy für Kinder

Prof. Dr. Traugott Roser, Foto: Privat

Der Praktische Theologe Professor Dr. Traugott Roser legt dar, warum es für Millionen von schwerkranken Kindern weltweit wichtig ist, dass religiöse Organisationen Palliativversorgung unterstützen.

MÜNSTER/GENF - Wer investiert schon in ein neun Monate altes Mädchen, dem im afghanischen Winter die oberen und unteren Gliedmaßen abgefroren sind? 20 Millionen schwerkranke und sterbende Kinder sind weltweit auf palliative Versorgung angewiesen, um die Schmerzen und anderen schweren Symptome ihrer unheilbaren Krankheiten zu lindern. Nur ein Prozent von ihnen hat wirklich Zugang dazu. Unsägliches Leiden könnte gelindert werden, wenn die Gesundheitsbehörden vieler Länder Palliativversorgung ermöglichen würden.

In zahlreichen Ländern bestehen Vorbehalte gegenüber dieser Notwendigkeit, nicht selten aufgrund kultureller Gepflogenheiten und scheinbar religiöser Argumentation. Aber kein Kind sollte Leid ertragen müssen, das durch bessere Versorgungsstrukturen vermeidbar wäre. Kein Kind sollte von medizinischer und geistlicher Versorgung ausgeschlossen sein, weil es dem falschen Geschlecht angehört, keine oder arme Eltern hat. Überall ist es möglich, Kinder hospizlich und palliativ zu versorgen!

Um die weltweite Erreichbarkeit palliativmedizinischer Versorgung zu fördern, organisierte die Maruzza Foundation in Kooperation mit der Päpstlichen Akademie für das Leben eine internationale Tagung am 10. November in der Vatikanstadt. Die Maruzza Foundation ist eine gemeinnützige Organisation mit Sitz in Rom, die sich seit 1999 durch Advocacy, Fortbildungen in multiprofessionellen Teams und Öffentlichkeitsarbeit für die Stärkung von Palliative Care einsetzt. Die Stiftung lud betroffene Familien, Expertinnen und Experten aus den Bereichen Medizin, Menschenrechte und Theologie, sowie Vertreterinnen und Vertreter der Religionen aus allen fünf Kontinenten ein. Mit meiner Erfahrung im Bereich Seelsorge und Palliativversorgung wurde ich als Vertreter des Lutherischen Weltbundes zur Tagung eingeladen. Wir erarbeiteten gemeinsam eine „Charta der Welt-Religionen für Pädiatrische Palliative Care”. Jedes Kind – egal wie alt und entwickelt – hat ein Recht auf bestmögliche Linderung von Leid, weil es in sich selbst Wert und Würde hat.

Zu den über 40 Teilnehmenden gehörte unter anderem die 2014 für den Friedensnobelpreis nominierte Ärztin Anne Merriman von Hospiz Uganda, der Medizinethiker Rabbi Avraham Steinberg aus Jerusalem, die in Harvard lehrende Kinderpalliativmedizinerin Joanne Wolfe und der Gründer von Pallium India, M.R. Rajagopal. Aus Russland berichtete der russisch-orthodoxe Erzpriester Alexander Tkachenko, dass palliativmedizinische Versorgung von Kindern kostenlos ist. Buddhisten, Muslime, Hindus, Vertreter unterschiedlicher christlicher Kirchen – allen gemeinsam war das Bemühen, die positive Einstellung der Religionen zu hospizlicher Versorgung zu unterstreichen.

Mich hat vor allem beeindruckt, dass Menschen aus unterschiedlichen Traditionen eine gemeinsame Deklaration erarbeiteten. In dieser Charta machen wir auf die speziellen spirituellen Bedürfnisse von Kindern aufmerksam und rufen die Religionsgemeinschaften dazu auf, ausgebildetes Seelsorgepersonal bereitzustellen, Gesundheitspersonal für spirituelle Fragen zu sensibilisieren und auf Kliniken und Pflegeeinrichtungen einzuwirken, mit Geistlichen zusammenzuarbeiten.   

Die Charta von Rom macht Hoffnung auf die positive Kraft der Religionen, die sich verbünden, weil sie den unbedingten Wert des Lebens anerkennen dort, wo es am verwundbarsten ist: bei einem Kind, auf dessen Leben niemand wetten würde.

Link zur Charta [Englisch]

Prof. Dr. Traugott Roser, Professor für Praktische Theologie an der Westfaelischen Wilhelms - Universität Münster (Deutschland), hat als Vertreter des Lutherischen Weltbundes an der Ausarbeitung der Charta mitgewirkt.