„Being Lutheran“: Theologische Ausbildung führt zu Veränderung

Referentinnen des zweiten „Being Lutheran“-Webinars: Schwester Nicole Grochowina aus Deutschland und Pfarrerin Marcia Blasi aus Brasilien. Foto: LWB

Wie die COVID-19-Pandemie neue Wege zur Förderung der Gemeinschaft erfordert

GENF (LWI) - Wie können lutherische theologische Ausbildung und Schulung, Spiritualität und gemeinsame Glaubenserfahrungen in der Gemeinschaft soziale, politische und kirchenbezogene Machtsysteme verändern?

Dieser Frage geht das jüngste Webinar in der „Being Lutheran“-Serie des Lutherische Weltbundes nach (LWB) nach. Zwei Referentinnen, Pfarrerin Dr. Marcia Blasi aus Brasilien und Schwester Dr. Nicole Grochowina aus Deutschland, gaben Einblicke in ihre Arbeit als Theologinnen, die in der Lehre tätig sind, und in die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in ihrem jeweiligen Umfeld.

Das Webinar vom 5. August mit etwa 140 Teilnehmenden war das zweite in einer monatlichen Reihe, die im Juli zum LWB-Studienprozess über lutherische Identitäten begann. Der Prozess, der im Oktober 2019 begann, wird von Pfarrer Dr. Chad Rimmer, Programmreferent in der LWB-Abteilung für Theologie, Mission und Gerechtigkeit, koordiniert.

„Wir werden von unserem Kontext geprägt“, so Blasi in ihrem Beitrag. Sie ist Theologie-Professorin und Koordinatorin des Programms Gender und Religion bei Falcudades EST, einer theologischen Ausbildungsstätte der Evangelische Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien. Bei der Vorstellung ihrer „Theologie, die in der lutherischen Tradition und den Befreiungstheologien verwurzelt ist“, sagte sie, dass feministische Theologie seit 30 Jahren Teil des Lehrplans gewesen sei.

An der Hochschule in São Leopoldo, im Süden Brasiliens, sind Studierende aus allen Teilen des Landes und der lateinamerikanischen Region sowie aus verschiedenen Konfessionen immatrikuliert. „Wir sind lutherisch und offen für alle“, so Blasi.

Die Studierenden kommen zumeist aus Gegenden mit einem schwachen Bildungssystem, vor allem aus öffentlichen Schulen, denen es in Brasilien an vielen Dingen mangelt, erklärte Blasi. Eine kritische Erziehung im Rahmen des Gender- und Religionsprogramms erfordert daher die Anerkennung „ihrer Verletzlichkeit in dieser Welt“, einschließlich des Lernens, wie man Herausforderungen in Chancen verwandelt, wie man mit Ängsten, Besorgnis, Hoffnung und Dankbarkeit umgeht.

COVID-19: Zunehmende Gewalt an Frauen und Kindern

Bei der Erläuterung der Auswirkungen von COVID-19 sagte Blasi, dass der Süden Brasiliens, der zu den am schlimmsten betroffenen Regionen des Landes gehört, Anfang August seine „härtesten Wochen“ erlebt habe. „Mehr als 98.000 Familien trauern um geliebte Menschen; überall herrschen Schmerz, Angst und Furcht“, sagte sie über die Todesfälle in Brasilien, das nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation am 10. August mehr als 3 Millionen gemeldeten Infizierte und über 100.000 Tote vermeldete.

Die COVID-19-Beschränkungen wirken sich in einem Land mit einem hohen Maß an geschlechtsspezifischer Gewalt erheblich auf die Beziehung zwischen den Geschlechtern aus, wobei „die Gewalt an Frauen, Kindern und älteren Menschen während der Pandemie zunimmt“, so Blasi. Die Pandemie „hat die vielen Ungerechtigkeiten sichtbar gemacht, die das Gefüge unserer Gesellschaften durch Wirtschaft, Rasse, Geschlecht und sexuelle Identität durchdringen“. Ein starkes Wiederaufleben patriarchaler Verhaltensweisen und Strukturen sowie eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich seien zu beobachten. Schlimmer noch, stellte sie fest, „ist, dass die christliche und religiöse Sprache benutzt wird, um dieses ungerechte System zu verstärken“.

"Keine Möglichkeit für die Theologie, neutral zu sein"

Wie andere Institutionen hat auch die EST am 16. März ihren Unterricht auf Online-Kurse umgestellt, was sich als große Herausforderung erweist. Die Lehrmethodik des Instituts, erklärte Blasi, sei von einer transformativen Pädagogik geprägt, die auf der Vorstellung des brasilianischen Philosophen Paulo Freire beruht, gemeinsam zu arbeiten und Wissen zu schaffen, einschließlich der physischen Interaktion zwischen Menschen. „Wie machen wir das in einem Online-Seminar?“, fragt sie. Es gebe keine einfache Antwort, bemerkte sie, sowohl für Studierende als auch Lehrende.

Abschließend sagte sie, dass theologische Institutionen und Kirchen eine transformative Theologie brauchen, um das kollektive Trauma von COVID-19 und darüber hinaus anzugehen, einschließlich des Diskurses über Macht, Geschlecht, Klasse und Rasse. „Es gibt keine Möglichkeit für Theologie, neutral zu sein“, betonte sie.

Das Leben in einer Gemeinschaft teilen

Schwester Grochowina, Mitglied der Communität Christusbruderschaft Selbitz in Deutschland, sprach darüber, wie der Gottesdienst und das gemeinsame Leben in Gemeinschaft (oder communio) das theologische und ethische Bewusstsein prägt, einschließlich der Reaktion auf die COVID-19-Pandemie.

In der gegenwärtigen globalen Gesundheitskrise, in der es unmöglich geworden ist, einander gemeinsam in den Kirchen zu begegnen und Lieder, Gebete und Erfahrungen auszutauschen, „erkennen viele Menschen sehr deutlich, dass Glaube und communio - aus gutem Grund - eng miteinander verbunden sind“.

Grochowina, die Geschichte mit einem Schwerpunkt auf den gemeinschaftlichen Aspekten der Spiritualität von Frauen lehrt, nannte vier Unterscheidungsebenen, um die verwandelnde Kraft der communio zu kanalisieren. Erstens, die Beziehung zwischen Ursprung und Tradition so anzugehen, dass das Ringen zwischen beiden Dimensionen die Herausbildung individueller und kollektiver Spiritualität fördert. Zweitens erfordert die Unterscheidungsebene zwischen den individuellen und kollektiven Bedürfnissen einen gesunden Rhythmus von Einsamkeit und communio.

Auseinandersetzung mit Macht und Generationsbedürfnissen

Drittens, wenn der offene und versteckte Gebrauch von Macht nicht angesprochen wird, könnten etablierte Hierarchien es „schwer machen, der Versuchung zu widerstehen, ihre eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen“, indem man die Autorität von Gottes Wort zur Durchsetzung von Entscheidungen einsetzt. Sie merkte an, dass dies zu einer gewaltsamen Manipulation der Sprache des Glaubens führen und sehr hohe Erwartungen an das Urteilsvermögen und die Entscheidungsfindung einer einzelnen Person stellen könne. Communio sei in dieser Hinsicht nicht nur hilfreich, sondern erfülle auch die anspruchsvolle Aufgabe den Willen Gottes zu suchen.

Schließlich müssen die Bedürfnisse der verschiedenen Generationen berücksichtigt werden, um sicherzustellen, dass die Kraft der nachrückenden Generation „nicht durch das Tempo der vorhandenen Generation kanalisiert wird“, so Grochowina. Sie ist überzeugt, dass eine gut funktionierende Beziehung zwischen Glaube und communio jedem Gemeindemitglied hilft, seine Berufung zu leben und über diesen Kreis hinaus zu einem überzeugenden Zeugnis zu werden. „Communio ist das Rückgrat einer starken Identität, die keine Angst vor neuen, fremden oder gar ungewöhnlichen Einstellungen und Lebensäußerungen hat“, fügte sie hinzu.

Die Rückmeldungen aus den Breakout-Gruppen machten die Herausforderungen und den systemischen Widerstand gegen eine echte theologische und ethische Unterscheidung auf Gemeinde- und Gemeinschaftsebene deutlich, die durch die COVID-19-Beschränkungen noch verschärft wurden. Die Teilnehmenden stellten auch die Notwendigkeit fest, Gemeinschaftsbande aufrechtzuerhalten, die die psychische Gesundheit der Mitglieder unterstützen, sowie Beziehungen, die in Zeiten wirtschaftlichen Stresses Chancen eröffnen.

Zusammenfassend wies Rimmer auf die Betonung theologischer Bildung und Reflexionen in der lutherischen Tradition als „Motor des Wandels“ hin. Dazu gehöre eine Kritik der Macht im Staat, in der Kirche und in den sozialen Beziehungen untereinander. Die COVID-19-Pandemie habe häusliche und geschlechtsspezifische Gewalt sowie viele wirtschaftliche, ökologische und rassische Ungerechtigkeiten aufgedeckt, die einen Systemwandel in Gesellschaft und Kirche erforderten. „Patriarchale Systeme mit ihrem Anspruch an Macht über andere müssen in gerechte und nachhaltige Formen des Zusammenlebens umgewandelt werden.“

Er beschrieb die lutherischen Methoden der theologischen Reflexion als „eine Art Befreiungstheologie, die von unseren alltäglichen Erfahrungen ausgeht und erkennt, wie das Evangelium uns befähigt, für Veränderungen einzutreten.“ Für Rimmer trägt die tiefe Spiritualität des Gebets und des gemeinsamen Gottesdienstes, in die die theologische Reflexion eingebettet ist, dazu bei, ein kritisches Bewusstsein für ungerechte Machtstrukturen zu entwickeln und zu erkennen, wie diese reformiert werden können. „Unsere lebendige Tradition bietet Hoffnung für eine Welt, die nach treuer Verwandlung schreit.“