Zuwanderer gastfreundlich aufnehmen

Toshiki Toma ist Immigrantenseelsorger in Island. Foto: Toshiki Toma

Im Interview:  Toshiki Toma, Immigrantenseelsorger in Island

REYKJAVIK, Island/GENF (LWI) – Pfr. Toshiki Toma arbeitet in der isländischen Hauptstadt Reykjavik. An seiner Tätigkeit lassen sich die tiefgreifenden Veränderungen ablesen, die sich in dem geografisch isolierten Inselstaat im Nordatlantik vollziehen. In dem Land, dessen Bevölkerung von knapp 400.000 Menschen von jeher sehr homogen war, ging mit der Verleihung der Staatsbürgerschaft noch bis vor kurzem die Bedingung einher, auch einen isländischen Namen anzunehmen.

Ab den 1980er/90er-Jahren nahm die Immigration nach Island zu. Menschen vor allem aus Osteuropa und Asien wurden von der boomenden Wirtschaft angezogen. Toma, der ursprünglich aus Tokio stammt, zog 1992 mit seiner isländischen Frau hierher. Wenig später begann er, andere Immigrierte zu beraten und zu unterstützen, die damals vom Staat so gut wie keine Hilfestellung erhielten.

Noch heute steht er der wachsenden Zahl an Neuankömmlingen mit praktischer Hilfe und geistlichem Rat zur Seite. Inzwischen stammen sie vornehmlich aus Afrika und dem Nahen Osten. Konflikte und Armut trieben sie in die Flucht und sie suchen in Island Asyl. Inzwischen begegnet der Staat Immigrierenden allerdings anders, stellt Toma fest, und die Evangelisch-Lutherische Kirche Islands geht bei der gastfreundlichen Aufnahme der Fremden mit gutem Beispiel voran.

Erzählen Sie uns doch zuerst von Ihrer Jugend in Japan und Ihrer Motivation, Pfarrer zu werden.

Ich bin der einzige Christ in meiner Familie, denn die meisten meiner Verwandten gehören, ihrem kulturellen Hintergrund entsprechend, dem Buddhismus oder Shintoismus an. Zum ersten Mal habe ich mit 18 oder 19 eine kleine lutherische Kirche in meinem Viertel in Tokio betreten, weil ich auf der Suche nach Sinn für mein Leben war. Ich studierte Politikwissenschaft und engagierte mich sowohl in der sozialdemokratischen Partei als auch in meiner Kirchengemeinde.

Nach dem Studium arbeitete ich in der Bildungsabteilung einer landesweiten Gewerkschaft. Dort habe ich erlebt, dass die Menschen sich ständig Sorgen um die Zukunft und Gedanken über das Alter machten oder mit Problemen in ihrer Familie kämpften. Mir wurde klar, dass das Engagement in der Politik und für die Menschenrechte den Boden für das Wohl der Menschen bereiten kann, wirklich glücklich kann es sie jedoch nicht machen. Also habe ich mich entschieden, in der Kirche Menschen dabei zu helfen, wahres Glück zu finden.

Wie hat Ihre Familie auf Ihre Entscheidung reagiert, sich ordinieren zu lassen?

Mein Vater stand der Idee sehr offen gegenüber. Als ich ihm gesagt habe, dass ich meine Stelle aufgeben und mich am theologischen Seminar einschreiben will, war seine Antwort: „Es ist besser für Gott zu arbeiten, als für Geld.“ Meine Mutter betrachtete meinen Entschluss anfangs nicht ganz so positiv, aber sie stellte sich mir nicht in den Weg. Vor 30 Jahren, im März 1990, wurde ich in die Evangelisch-Lutherische Kirche Japans ordiniert.

Wie sind Sie nach Island gekommen?

Während meines letzten Jahres am Seminar habe ich 1989 an einem zweimonatigen Kurs in Jerusalem teilgenommen, den die Schwedische Kirche anbot. Dort habe ich eine isländische Pfarrerin kennen- und lieben gelernt. Nach meiner Ordination haben wir geheiratet. Sie hat zwei Jahre mit mir in Japan gelebt, aber unsere Kirche ist sehr klein, so dass sie nicht als Pfarrerin arbeiten konnte. Also haben wir uns 1992 entschlossen, nach Island zu ziehen. 1999 haben wir uns scheiden lassen.

Ich wollte als Pfarrer der isländischen Kirche tätig sein, aber ich beherrschte die Sprache nicht und kannte niemanden außer der Familie meiner Frau. Also habe ich Kurse an der theologischen Fakultät belegt, um mich als Pfarrer für die Evangelisch-Lutherische Kirche Islands zu qualifizieren. Das hat fünf Jahre gedauert. Nebenher habe ich in Teilzeit gearbeitet und die Sprache gelernt.

Heute sind Sie Seelsorger für Immigrantinnen und Immigranten – welche Hilfestellungen bieten Sie an?

Diese Stelle wurde neu geschaffen. Kurz nach meiner Einreise nahm Mitte der neunziger Jahre die Zuwanderung zu. Unter anderem kamen Frauen aus Asien, also von den Philippinen, aus Thailand und Vietnam, ins Land, die Isländer heirateten. Als Asiatinnen trauten sie sich oft nicht, über ihre Probleme zu reden. Es fiel ihnen leichter, mit mir zu sprechen, ich verstand ja ihre Kultur. Viele waren keine Christinnen, zuerst war ich also nicht so sehr Pfarrer, sondern eher Ratgeber für sie, da es vonseiten des Staates oder der Kommunen sonst keine Unterstützung gab.

Ich habe sie bei der Arbeits- und Wohnungssuche unterstützt, und versucht, ihnen bei der Bewältigung von Diskriminierungserfahrungen vonseiten derjenigen zu helfen, für die der Kontakt mit Ausländerinnen ungewohnt war. Sprach jemand nicht ihre Sprache, setzten die Einheimischen das oft mit fehlender Bildung gleich. Wer zu geringe Sprachkenntnisse hatte, galt als Bürgerin zweiter Klasse. Island ist ein solch kleines Land und die Menschen identifizieren sich sehr stark mit ihrer Sprache. Sie gilt als Symbol der Einheit der Nation, und sie fürchten den Verlust ihrer Sprache als Verlust ihrer Identität.

Wer sind heute die Menschen, die Sie um Hilfe bitten? Hat sich das im Lauf der Jahre verändert?

So um das Jahr 2004 hat sich die Situation verändert, als Polen und andere osteuropäische Länder der Europäischen Union beitraten. Island ist Teil des Europäischen Wirtschaftsraums und gehört dem Schengen-Abkommen an. Dementsprechend konnten Arbeitssuchende aus diesen Ländern ungehindert einreisen. Island hat große Anstrengungen unternommen, diese Neuankömmlinge besser zu begleiten, so dass ich meine Arbeit als normaler Pfarrer wieder aufnehmen konnte.

2008 kam dann der große Konjunkturabsturz, der gesellschaftlich vieles zerstörte. Aber so um 2012 normalisierten sich die Dinge langsam wieder. Einige Jahre später erlebten wir ein neues Phänomen: Asylsuchende aus Afrika, Südamerika und dem Nahen Osten kamen zu uns. Jährlich werden zwischen 800 und 1.000 Asylanträge gestellt. Das ist die Gruppe, für die ich heute hauptsächlich da bin.

70 Prozent der Mitglieder der internationalen Gemeinde in der Breiðholtskirkja sind aus dem Iran, dem Irak und Afghanistan, von ihrem kulturellen Hintergrund her also muslimisch. Aber sie wollen an unseren Sonntagsgottesdiensten teilnehmen und wenn sie das möchten, taufen wir sie. Auch wenn sie kein Asyl suchen oder ihr Antrag abgelehnt wird, versuchen wir, sie nach Kräften zu unterstützen.

Wie offen ist die Bevölkerung heute diesen neu Zugewanderten gegenüber?

Die Menschen in Island wollen helfen, besonders wenn es um Familien mit Kindern geht. Da Island ein so kleines Land ist, schätzen die Isländer die Menschen als Individuen, und zwar auf eine Weise, die sich sehr von der meines Heimatlandes Japan unterscheidet. Deshalb hoffe ich, dass sie auch weiterhin den einzigartigen Wert jedes Einzelnen schätzen werden.

Als ich in diese Arbeit eingestiegen bin, war das entsprechende Verständnis in der Kirche sehr wenig entwickelt. Man fragte, warum sollten wir Buddhistinnen oder anderen Religionsangehörigen helfen? Heute ist die Hilfsbereitschaft unserer Bischöfin sehr groß. Sie betont, die Kirche müsse noch viel mehr tun. Nachdem wir im vergangenen September mit einer Gruppe Genf besucht haben, wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die der nächsten Synode der Kirche Vorschläge für eine verstärkte Unterstützung von Asylsuchenden unterbreiten will. In den letzten zehn Jahren ist da eine große Veränderung eingetreten. Darüber bin ich sehr froh!

 

Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.