Zukunftsperspektiven statt Kinderarbeit

Beatrice (Mitte) mit ihrer Adoptivmutter und einem ihrer Brüder in der Schneiderei, die den Lebensunterhalt für die Familie sichert. Foto: LWB-Kenia/Dschibuti (Büro Kakuma)

LWB-Kenia eröffnet notleidenden Kindern die Chance auf Schulbildung

Kakuma (Kenia)/Genf, 23. November 2015 (LWI) – Die Kenianerin Beatrice Emuria lebt in der Nähe des Flüchtlingslagers Kakuma. Seit ihrem zehnten Lebensjahr musste sie mithelfen, ihre Familie zu ernähren.

Das Unglück nahm seinen Lauf, als 2002 ihr Vater, der alleinige Brotverdiener für die Familie, starb. Beatrice war damals zwei Jahre alt. Ihre Mutter fand keine Arbeit, die Familie hatte kein Einkommen mehr. „Wir hatte nicht genug Kleidung und sind oft hungrig schlafen gegangen“, erinnert sich Beatrice. „Wir waren so dünn und schwach.“ Die Familie besass nichts, lebte von der Hand in den Mund und kämpfte ums Überleben.

Als sie zehn wurde, galt sie ihrer Familie als alt genug, um zum Einkommen beizutragen. Gemeinsam mit anderen Kindern aus den umliegenden Dörfern machte sich das Mädchen in der Hoffnung auf Arbeit auf den Weg ins Flüchtlingslager Kakuma. „Ich war eine der Jüngeren. Ich wusste nicht einmal, welche Arbeit es für mich geben könnte, aber mich trieb der Wunsch, jeden Tag etwas – egal was – zu essen zu haben“, erklärt Beatrice.

Kinder verhandeln nicht, Kinder beschweren sich nicht

Sie bekam Arbeit bei einem der vielen Imbissstände im Lager. Den ganzen Tag holte sie, gemeinsam mit anderen Kindern, Wasser und wusch das Geschirr. „Ich mochte die Arbeit nicht, weil ich deswegen nicht zur Schule gehen konnte. Aber ich habe weitergemacht, weil ich nur so etwas zu essen für mich selbst bekam und auch meiner Mutter und meinen jüngeren Brüdern etwas mit nach Hause nehmen konnte“, erinnert sich Beatrice. „Meine schulischen Leistungen wurden plötzlich viel schlechter und schliesslich habe ich ganz das Interesse an der Schule verloren.“

Bei Imbissständen und in anderen Kleinunternehmen im Lager werden bevorzugt Kinder beschäftigt, denn „Kinder können nicht über eine bessere Entlohnung verhandeln, Kinder können sich nicht über schlechte Arbeitsbedingungen beklagen und Kinder stehlen nicht am Arbeitsplatz“, so Beatrice. Sie erinnert sich, dass sich die Kinder bei der Arbeit gegenseitig Mut machten und über ihre Träume und Zukunftspläne sprachen.

George Thotho, leitender Kinderschutzbeauftragter beim Lutherischen Weltbund (LWB), geht davon aus, dass zeitweilig bis zu 3.000 Kinder aus der einheimischen Bevölkerung im Lager, in der Stadt Kakuma und in Dörfern der Umgebung durch Kinderarbeit oder in anderer Form ausgebeutet wurden. „Es war sehr schlimm. Man sah auf dem Markt sehr kleine Jungen und Mädchen, die Lasten hin- und herschleppten, andere machten Läden sauber oder wuschen gar Autos. Wir haben uns mit den Leuten im Gemeinwesen zusammengesetzt und versucht, ein Programm zu entwickeln, um die Situation zu verbessern.“

Zurück in die Schule

Zumindest Beatrices Geschichte hat ein Happy End. Im Juni 2013 legte der LWB ein Projekt auf, das Kinder aus der Kinderarbeit herausholen soll. Finanziert wurde es von Terre des Hommes und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika. Beatrice wurde in das Projekt aufgenommen. Damit sie nicht mehr an dem Imbissstand arbeiten musste und ihre Lebenssituation verbessert werden konnte, waren gemeinsame Anstrengungen vonseiten des LWB, des Jugendamtes im Distrikt, der lokalen Kinderschutzstrukturen, der Dorfvorstände und der Polizei notwendig.

Beatrice und ihre beiden Brüder wurden von ihrer Schwägerin adoptiert. Sie geht wieder in die Schule und besucht inzwischen die sechste Klasse der Primarschule. Die Lehrkräfte sind beeindruckt von ihren Leistungen.

Damit Beatrice nicht wieder gezwungen ist zu arbeiten, unterstützte der LWB auch ihre neue Erziehungsberechtigte – sie konnte Kurse besuchen, bei denen ihr betriebswirtschaftliche Kenntnisse vermittelt wurden, und erhielt das nötige Startkapital, um sich selbständig zu machen. Heute betreibt sie eine erfolgreiche Schneiderei, mit der sie genug Einkommen erwirtschaftet, um sämtliche Bedürfnisse der Familie abzudecken. „Es ist wichtig, dass die Familie auf eigenen Füssen steht. Das sorgt dafür, dass die Kinder nicht wieder anfangen, zu arbeiten“, betont Thotho. Bisher wurde mit Hilfe des Programms 600 Kindern die Chance eröffnet, aus der Kinderarbeit auszusteigen. Sie gehen wieder zur Schule und wurden dazu mit Schuluniformen und Lernmaterialien ausgestattet.

Nach ihrer Erfahrung mit der bitteren Realität der Kinderarbeit ist Beatrice dankbar für die Möglichkeit, wieder zur Schule gehen zu können. „Es gibt im Lager und in der Stadt immer noch sehr viele Kinder, die arbeiten. Wenn ich erwachsen bin, will ich Lehrerin werden, damit ich auch etwas dazu tun kann, das Leben anderer Kinder zu verändern.“

 

Ein Beitrag von Fred Otieno, LWB-Kenia/Dschibuti.