Wie geht angemessene Berichterstattung über Flüchtlinge?

Wer flieht, verliert vieles, aber nie die Menschrechte: Materialien von LWB und UNHCR zur Ansicht bei der Podiumsdiskussion. Foto: LWB/A. Danielsson

Podiumsdiskussion zum Thema Flüchtlinge in den Medien

Genf (Schweiz) (LWI) – Nur wenige Medien berichten direkt über die Erfahrungen von Flüchtlingen. Das hat eine neue Studie ergeben, die untersucht hat, wie Flüchtlinge und Migrierende in den Medien dargestellt werden. Seit die weltweite Flüchtlingskrise Ende 2015 Europa erreichte, ist das Thema in den europäischen Medien allgegenwärtig. Die Flüchtlinge selbst aber werden mit ihrer eigenen Perspektive in der Berichterstattung kaum berücksichtigt.

Eine Podiumsdiskussion unter Beteiligung des Weltbundes für Christliche Kommunikation (World Association for Christian Communication, WACC), des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), des Lutherischen Weltbundes (LWB) und des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) befasste sich mit dem Thema „Anders über Flüchtlinge berichten: Darstellung von Flüchtlingen und Migrierenden in europäischen Medien“.

Anlass der Veranstaltung war die Vorstellung der Studie, die der WACC gemeinsam mit der Kommission der Kirchen für Migranten in Europa (Churches’ Commission for Migrants in Europe, CCME) 2017 durchgeführt hatte. Die Studie belegt, dass in Berichten über Flüchtlinge diese selbst nur selten zu Wort kommen. In den untersuchten Ländern wurde in nur 21 Prozent der Nachrichten zum Thema Migration und Asyl mindestens ein Flüchtling oder eine Migrantin zitiert oder deren persönliche Situation und Erfahrungen thematisiert.

Eintreten für die Kommunikationsrechte von Flüchtlingen

In weniger als der Hälfte der Artikel wurden die Betroffenen direkt zitiert. Zudem entsprach die Darstellung auch nicht dem proportionalen Anteil von Frauen unter den Flüchtlingen und der Verteilung nach Herkunftsländern und ethnischen Gruppen.

„Uns geht es darum, für die Kommunikationsrechte von Flüchtlingen einzutreten – ihnen die Chance zu geben, für sich selbst zu sprechen und angemessen dargestellt zu werden“, erklärte Dr. Stephen Brown, Präsident von WACC-Europa. Ziel des Projekts sei es, die Qualität der Berichterstattung über Flüchtlinge in den Medien zu verbessern.

WACC-Kommunikationsreferentin Sara Speicher bekräftigte Browns Einschätzung: „Es gibt Berichte über Migration, aber Flüchtlinge und Migrierende selbst kommen selten vor.“ Die Studie hat ergeben, dass in Artikeln, die Bezug auf Flüchtlinge nehmen oder deren Schicksale aufgreifen, diese in über zwei Dritteln der Fälle im Thema aufgehen, anstatt als Person sichtbar zu werden, die die eigene Sicht der Dinge artikuliert.

 „Die Ergebnisse [der Studie] zeigen größtenteils ein bestimmtes Schema der Berichterstattung: Flüchtlinge empfangen Leistungen, sie sind die ‚Anderen‘, sie sollten dankbar sein“, führte Cornelia Kästner, Kommunikationsreferentin beim LWB, aus. Vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen in der journalistischen Arbeit für die Abteilung Weltdienst des LWB erläuterte sie, wie der LWB versucht, den Geschichten und Stimmen der Flüchtlinge öffentliche Resonanz zu geben.

Menschen vor Ort zu Wort kommen lassen

„Wir sind eine Durchführungsorganisation, das heißt, wir begegnen den Menschen vor Ort und arbeiten mit ihnen. In diesem Rahmen bietet sich uns die Chance, mit denen zu sprechen, über die sonst nur gesprochen wird“, so Kästner weiter. „Ich habe mich gefragt: Wann wird jemand zum Flüchtling? Die Antwort lautet: In gewissem Sinne nie, denn jedes Mal, wenn ich eine Flüchtlingssiedlung besucht habe, habe ich mit Menschen gesprochen.“ Eine veränderte Berichterstattung beginne damit, dass die Würde und die Entscheidungsfreiheit dieser Menschen gewährleistet werde mithilfe ethischer Richtlinien für die Zustimmung zur Nutzung von Foto- sowie Videomaterial.

Häufig würden LWB-Berichte nicht von professionellen Journalistinnen und Journalisten verfasst, sondern von den Mitarbeitenden vor Ort, die nahe an den Menschen seien. Immer gelte die Vorgabe, dass solche Berichte mindestens ein direktes Zitat von Betroffenen enthalten müssen, führte Kästner aus. „Wenn wir unseren Kolleginnen und Kollegen Interviewfragen schicken oder jemanden bitten, für uns einen Bericht zu schreiben, dann bestehen wir immer darauf: Bauen Sie ein Zitat von Flüchtlingen oder der einheimischen Bevölkerung ein. Ohne Zitat ist es kein Bericht. Und stellen Sie sicher, dass die- oder derjenige nicht einfach nur Dankbarkeit ausdrückt, sondern wirklich die eigene Meinung oder Position artikuliert.“

Empathie beim Zielpublikum wecken

Anders über Flüchtlinge zu berichten, bedeute nicht nur, sie angemessen darzustellen. Es gehöre auch dazu, die Aufmerksamkeit und Empathie des Zielpublikums zu wecken. Der LWB versuchte das z. B. mit einer Flucht-Simulation im Rahmen der Weltausstellung Reformation, die im Sommer 2017 in Wittenberg (Deutschland) stattfand.

Leigh Foster (UNHCR) stellte die Kampagne #WithRefugees vor, die das UN-Flüchtlingshilfswerk 2016 aufgelegt hat.

„In den Medien erleben wir, wie Menschen, die zur Flucht gezwungen waren, ihrer Würde beraubt werden“, stellte sie fest. „Mit der Kampagne machen wir deutlich, wie man versuchen kann, ihnen ihre Stimme zurückzugeben.“ Auf der Plattform der Kampagne werden Flüchtlinge mit ihrem Beruf oder auch mit ihren Träumen und Ideen vorgestellt. „Wir sind nicht Sprachrohr der Flüchtlinge, sie sind in der Lage, für sich selbst zu sprechen“, betonte Foster.

Sie würdigte die Unterstützung von im Bereich der Religionen angesiedelten Organisationen (faith-based organisations – FBOs) wie dem ÖRK und dem LWB für die Arbeit des UNHCR und ihr Bemühen um eine Darstellung von Flüchtlingen, die deren Würde wahrt. „Wir wollen auch weiterhin die Zusammenarbeit bei diesem Thema fördern“, erklärte Foster. „Wir versuchen, der Welt zu vermitteln: Flüchtlinge sind Menschen wie du und ich, die aus ihrer Heimat fliehen mussten.“