Ukraine: LWB-Team besucht Städte nördlich von Kiew

Zerstörte Häuser in Tschernihiw, Ukraine Foto: LWB/J.Pfattner

„Die Schwächsten blieben zurück“

TSCHERNIHIW, Ukraine/GENF (LWI) – Landminen, zerstörte Infrastruktur, traumatisierte Menschen: Das sind die Eindrücke von einem Besuch zur Einschätzung der Lage im Norden der Ukraine, wo der Lutherische Weltbund (LWB) baldige Unterstützung plant. Eine Gruppe von LWB-Mitarbeiter*innen besuchte mit Bischof Pavlo Shvarts von der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Ukraine (DELKU), einer LWB-Mitgliedskirche, Kommunen in der Oblast Tschernihiw, nördlich von Kyjiw, und traf sich mit örtlichen Behörden, Partnern vor Ort und der lokalen Bevölkerung.

Die Oblast (Verwaltungsbezirk) Tschernihiw ist „eines der teilweise besetzten und kürzlich befreiten Gebiete“, erklärte Josef Pfattner, der LWB-Koordinator für humanitäre Hilfe in der Ukraine, der bei dem Besuch dabei war. Die Region liegt an der Grenze zu Russland und war der Einfallspunkt der russischen Armee beim Marsch auf Kyjiw zu Beginn der Invasion. Infolgedessen wurden viele Städte besetzt. „Nach ihrem Rückzug blieb eine Katastrophe zurück“, sagte Pfattner. „Häuser wurden niedergebrannt und die Infrastruktur zerstört, Schulen und Krankenhäuser sind geplündert und zerbombt worden, die Soldaten hinterließen Landminen.“ Die Menschen, fügte er hinzu, seien traumatisiert.

Bombenalarm selbst an sichereren Orten

Das Leben in dem Gebiet stelle jetzt eine Herausforderung dar, sagte Pfattner. Die ukrainische Armee habe viele Brücken und Straßen zerstört, um das Vorrücken der Invasion aufzuhalten. Überall im Land steigen die Preise. Treibstoff sei knapp. „Man kann nur maximal 20 Liter an den Tankstellen nachfüllen und wir haben Warteschlangen mit 30 Autos gesehen“, berichtete Pfattner. Selbst in den westlichen Gebieten gebe es häufig Luftangriffe. „Es besteht eine Gefahr für die Sicherheit. Die Alarmierungen sind inzwischen so häufig geworden, dass die Menschen schon gar keine Schutzräume mehr aufsuchen. Es ist eine dauernde Belastung. Sie können nachts nicht schlafen und ziehen es mitunter vor, in ihren Wohnungen zu bleiben.“

Die Mehrzahl der Menschen, die im Bezirk Tschernihiw leben, sei dortgeblieben und nicht geflohen, meinte Pfattner weiter. Bei vielen handle es sich um ältere Menschen oder Menschen mit körperlichen Behinderungen, und vielen fehlte es an den wirtschaftlichen Mitteln oder an Beziehungen, um rechtzeitig zu entkommen. Hinzu komme, dass die kommunalen Strukturen sie wegen des Krieges nicht unterstützen können. „Die Menschen, die hiergeblieben sind, sind vermutlich am schlimmsten dran“, sagte Pfattner.

Vorsorge für den Winter, Hilfe für Kinder

„Was jetzt am dringendsten benötigt wird, ist Vorsorge für den Winter und etwas Hilfe für die Kinder“, meinte Pfattner weiter. Das LWB-Team schätzt, dass 15.000 Einfamilienhäuser und eine noch größere Anzahl an Wohnblöcken in der Oblast Tschernihiw zerstört wurden. Da der Winter im Norden der Ukraine früh eintritt und streng verläuft, müssen Dächer und Fenster repariert werden und die Menschen brauchen einen Platz zum Leben – und das, obwohl einige Baumaterialien im Land nur schwer zu bekommen sind.

Auch muss das Gebiet entmint werden und die Menschen brauchen eine Lebensgrundlage. Teile der Erdöl- und Erdgasbetriebe, die Haupteinkommensquelle in der Region, wurden bombardiert und zerstört. Vor dem Herbst müssen die Schulen saniert und im Idealfall mit einem Luftschutzraum ausgestattet werden, wie es die neuen Verordnungen im Land vorschreiben.

Der LWB plant auch, Aktivitäten für die Kinder zu organisieren. Das bedeutet Unterstützung für die Kinder, Verbesserung von Sicherheit, Wohlergehen und Würde der vom Krieg betroffenen Bevölkerungsgruppen und die Vorbereitung auf den Schulunterricht nach dem Sommer. „Sie haben den Krieg gesehen und jetzt ist alles, was sie kennen, zerstört“, sagte Pfattner. So dürfen sie zum Beispiel aus Angst vor Landminen nicht mehr auf den gewohnten Spielplätzen, Schulhöfen, in öffentlichen Parks und Wäldern spielen. „Viele Eltern behalten sie einfach zu Hause“, setzte Pfattner hinzu. „Diese Kinder haben zuvor schon unter den COVID-Einschränkungen gelitten. Wir würden liebend gerne Sommerlager für sie organisieren.“

Von LWB/C. Kästner. Deutsche Übersetzung: Tonello-Netzwerk, Redaktion:LWB/A. Weyermüller