Uganda: „Unsere Arbeit besteht darin, Glauben in praktisches Handeln umzusetzen“

LWB-Generalsekretärin Anne Burghardt hört sich bei ihrem Besuch des LWB-Landesprogramm in Uganda im April im Flüchtlingslager von Palorinya, Bezirk Obongi, Uganda, die Geschichten von zwei minderjährigen Müttern an. Fotos: LWB/Albin Hillert

Geflüchtete und Gastgemeinden berichten von den positiven Auswirkungen des Weltdienst-Programms in Uganda  

PALORINYA, Uganda/GENF (LWI) – Da der Weltdienst des Lutherischen Weltbundes (LWB) bisher über 700 000 geflüchtete Menschen in dem Land unterstützt, gibt es zahlreiche Berichte über die positiven Auswirkungen des Landesprogramms des LWB-Weltdienstes in Uganda. Mit einer Präsenz vor Ort von über 40 Jahren betreute das Programm über 700.000 Geflüchtete landesweit in 21 verschiedenen Flüchtlingssiedlungen.

Die sogenannte Perle Afrikas hat Hunderttausende Menschen aufgenommen, die über die Jahre aus Südsudan im Norden und aus der Demokratischen Republik Kongo im Westen vertrieben wurden. Die Flüchtlingspolitik ist großzügig, und Geflüchtete genießen Freizügigkeit und haben Anspruch auf ein Stück Land, das sie bebauen und auf dem sie leben können. 

Dennoch macht ein massiver Zustrom an Geflüchteten, deren Anzahl manchmal die Anzahl der Bewohner der lokalen Gemeinden, die die Geflüchteten aufnehmen, bei weitem übersteigt, humanitäre Unterstützung und Entwicklungsarbeit erforderlich.

 

In der Flüchtlingssiedlung Nyumanzi leben über 50.000 südsudanesische Geflüchtete.

„Jeden Tag sind erhebliche Anstrengungen erforderlich, um Gemeinschaften von schutzbedürftigen Menschen zu unterstützen“, sagt Jesse Kamstra, Landesvertreter des LWB-Weltdienstes Uganda.

 Die LWB-Dienste in Uganda betreffen die wichtigsten Bereiche wie Lebensgrundlagen, hochwertige Dienstleistungen, Schutz und sozialen Zusammenhalt.

 „Die Wirklichkeit sieht so aus, dass es unter den Menschen in den Grenzgebieten ein weit verbreitetes Verhalten gibt, das wir ‚pragmatische Mobilität‘ nennen können. Auf beiden Seiten der Grenze gibt es die gleichen weitverzweigten Gemeinschaften - Menschen aus derselben ethnischen Gruppe, mit Familien und Verwandten auf beiden Seiten. In diesem Sinne sind die Grenzen durchlässig, da viele Menschen aus der Not heraus dorthin gehen, wo sie wissen, dass sie sicher sind. Für die Gemeinschaften hier geht es ums Überleben“, erklärt Kamstra.

Langfristiges Engagement ist der Schlüssel zu Vertrauen und einem guten Ruf

„Wir genießen in Uganda einen weit verbreiteten, historisch gewachsenes guten Ruf“, fährt Kamstra fort und merkt an, dass über die Jahre viele andere Agenturen kamen und gingen und oft nur relativ kurzfristige Projekte durchführten.

 „Die Gemeinschaften hier kennen den LWB. Daher helfen sie uns, wenn wir ein Projekt beginnen, und sie vertrauen uns. Dies ist nur möglich, da wir seit über 40 Jahren ganzheitlich mit den Gemeinschaften hier zusammenarbeiten“, sagt er.

 Taban Peter, Ständiger Bezirksvertreter in Adjumani, Region West-Nil im Norden Ugandas, kann persönlich von den positiven Auswirkungen der Arbeit des LWB in der Vergangenheit berichten.

 Peter, der Vertreter des ugandischen Präsidenten in Adjumani, berichtet, dass er 1979 als Flüchtling in Südsudan war und zehn Jahre später mit Unterstützung des LWB in die ugandische Heimat zurückkehrte.

 „Ich werde nie vergessen, was der LWB in meinem Leben bewirkt hat, und ich habe großartige Dinge bei der Arbeit im Bereich Gesundheit, Existenzgrundlagen, WASH [Wasserversorgung, Sanitäreinrichtungen und Hygiene] und Umwelt gesehen“, so Peter.

 „Die Bibel sagt, dass der Hand, die gibt, auch gegeben werden soll, und dass wir unsere Nächsten willkommen heißen sollen. Daher verfolgen wir eine Politik der offenen Tür für unsere Brüdern und Schwestern aus Südsudan und DR Kongo“, fügt er hinzu.

Eigenständigkeit und Umweltschutz

In allen Siedlungen versucht der LWB nicht nur Lebensmittel und Unterkunft für den Tag zur Verfügung zu stellen, sondern auch, Fähigkeiten zu entwickeln und Gemeinschaften zu befähigen, eine größere Eigenständigkeit zu erreichen.

 In einer Baumschule in der Siedlung Nyumanzi in der Region West-Nil im Norden Ugandas, in der über 50.000 südsudanesische Geflüchtete leben, unterstützt der aus Südsudan geflüchtete Makel Chol Deng, ein Landwirt aus Jonglei, ein LWB-Projekt, mit dem jährlich mehr als 150.000 Baumsetzlinge produziert werden.

 

Der Baumschularbeiter Makel Chol Deng jätet Unkraut in einem Beet mit Teak-Setzlingen in der Baumschule in Nyumanzi.

„Als ich hier ankam, sah die Umgebung hier völlig anders aus. Daher pflanzen wir jetzt Bäume und zeigen so, wie wichtig es ist, sich um die Umwelt zu kümmern“, sagt Deng.

 Die Straße hinunter, am nahegelegenen Marktplatz, bietet die Schneiderin Scovia Maia Kleider und andere handgearbeitete Sachen zum Verkauf an. Maia, die aus Nimule in Südsudan geflohen ist, sagt, dass sie, als sie 2017 in Nyumanzi ankam, über die Kenntnisse verfügte, aber nicht über die Mittel, um ein Geschäft aufzubauen.

 

Die Schneiderin Scovia Maia arbeitet in ihrem Laden in der Siedlung Nyumanzi in Adjumani.

„Jetzt führe ich mit der Hilfe des LWB und des UN-Flüchtlingswerks ein kleines Unternehmen und bilde andere im Schneiderhandwerk aus. Ich schlafe gut und kann gute Lebensmittel essen“, sagt sie.

Lebensmittelknappheit führt zu geschlechtsspezifischer Gewalt 

Aber trotz der aufnehmenden Gastgemeinden und des langfristigen humanitären Engagements stehen die Gemeinden in Uganda vielen Herausforderungen gegenüber.

 Die Wasserversorgung liegt in vielen Siedlungen nach wie vor unter dem Zielwert von 20 Litern pro Person pro Tag, und die vom Welternährungsprogramm verteilten Rationen wurden erst gekürzt.

 

Eine solarbetriebene motorisierte Wasserpumpe in dem Dorf Orinya in der Siedlung Palorinya: Der LWB hat 14 hybride solarbetriebene Wasserpumpen und zusätzlich 152 Bohrlöcher mit Handpumpen in Palorinya errichtet und betreibt sie. Trotzdem liegt die Wasserversorgung weiterhin unter den empfohlenen 20 Litern pro Person pro Tag.

In der Siedlung Palorinya, der zweitgrößten Flüchtlingssiedlung in Uganda mit einer Bevölkerung von über 128.000 geflüchteten Menschen im Bezirk Obongi, liegen die Lebensmittelrationen jetzt bei 70 Prozent. In Nyumanzi liegen sie bei nur 60 Prozent.

 Namagero Rose, die zu der ethnischen Gruppe der Kuku gehört und aus Südsudan geflohen ist, ist Vorsitzende der God‘s Grace-Selbsthilfegruppe für Frauen in Palorinya. Rose bietet den Frauen einen sicheren Raum, um sich gegenseitig zu beraten und von ihrem Trauma als Kriegsüberlebende zu heilen, und sagt, dass die Gruppe vielen Frauen geholfen hat, sich besser zu fühlen.

 „Einige von uns haben sogar versucht, Selbstmord zu begehen. Aber durch die Beratung sahen wir, dass wieder Frieden in unsere Herzen einkehren kann“, sagt sie und betont die Unsicherheit der aktuellen Situation vieler Flüchtlinge.

 

Namagero Rose spricht zu der God‘s Grace-Selbsthilfegruppe für Frauen.

„Wir bekommen psychologische Unterstützung, aber wir brauchen auch finanzielle Unterstützung. Die gekürzten Lebensmittelrationen belasten die Familien“, sagt sie.

Für Faith Kajumba, LWB-Projektassistentin für den Bereich Schutz, die mit Eltern aufwuchs, die es gewohnt waren zu kämpfen, liegt das Problem klar auf der Hand. „Aufgrund der gekürzten Lebensmittelrationen steigt die Gefahr der geschlechtsspezifischen Gewalt“, sagt sie.

Teenager-Schwangerschaften nahmen aufgrund der Corona-Pandemie zu

Ein anderes Problem, das von den Frauen besonders betont wird, ist der Zugang zu Verkehrsmitteln. Nyandeng Lual, Leiterin für den Bereich Frauenangelegenheiten in Nyumanzi, erklärt, dass dies keine Frage von Komfort oder Bequemlichkeit sei. „Ohne Verkehrsmittel können unsere Frauen nicht rechtzeitig ins Krankenhaus kommen, so dass sie ihr Kind auf halben Weg dorthin zur Welt bringen. Wir brauchen einen Krankenwagen“, sagt sie.

Und das ist nicht nur ein Anliegen, von dem in Uganda Erwachsene betroffen sind. Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie wurden die ugandischen Schulen für zwei aufeinanderfolgende Jahre geschlossen. In demselben Zeitraum beobachtete der LWB-Weltdienst einen Anstieg der Teenager-Schwangerschaften: Jetzt wurde jedes dritte Mädchen zwischen 15 und 18 Jahren schwanger oder bekam ein Kind.

Dieses Problem beschränkt sich nicht auf Flüchtlingssiedlungen, da derselbe Trend sowohl in Flüchtlingssiedlungen als auch in den Gastgemeinden festzustellen ist. Und auch wenn das Problem nicht neu ist, gab es in den zwei Jahren der Pandemie einen dramatischen Anstieg von ehemals jedem fünften Mädchen.

Die LWB-Generalsekretärin Burghardt hörte sich die Stimmen minderjähriger Mütter an, als sie Anfang April Nyumanzi und Palorinya besuchte. 

„Eines der Mädchen erzählte mir von der Geburt ihres Kindes, und nun da sie versucht, sich um ihr Kind zu kümmern, kämpft sie sowohl mit der Beziehung zu ihren Eltern als auch darum, wieder zur Schule zu gehen.

„Die Mädchen zu sehen, denen in immer stärkerem Maße ihr Recht auf eine Kindheit genommen wird und die stattdessen selbst Mütter werden, zerbricht mir das Herz“, sagte Burghardt. „Es ist schwierig, diese Geschichten anzuhören, aber wir müssen sie hören, weil das Problem Realität ist und vor unseren Augen geschieht. Wir müssen verstehen, wie wir mit Hilfe eines ganzheitlichen Handlungsansatzes diese Mädchen unterstützen und Teenager-Schwangerschaften in Zukunft verhindern können.“

Eine Maßnahme besteht in der Erhöhung des Angebots der Tagesbetreuung für die Kinder, damit diese jungen Mütter weiter die Schule besuchen können, sagt die Generalsekretärin.

Für Burghardt ist dies eine Frage der Identität als weltweite Gemeinschaft lutherischer Kirchen. „Trotz der Herausforderungen sehen und bewahren wir weiterhin in jedem Menschen das Ebenbild Gottes. Unsere Arbeit besteht darin, Glauben in praktisches Handeln umzusetzen.“

Von Albin Hillert. Deutsche Übersetzung: Tonello-Netzwerk, Redaktion: LWB/A. Weyermüller