Sicherheit steht an erster Stelle

Aminatou Abubakar, Präsidentin des Frauenverbandes im Flüchtlingslager Minawao, spricht auf einer öffentlichen Veranstaltung über die Gefahren einer spontanen und unbegleiteten Rückkehr nach Nigeria. Fotos: LWB/C. Kästner

LWB informiert Flüchtlinge über die Gefahren einer unbegleiteten Rückkehr in die von Boko Haram besetzten Gebiete in Nigeria

Maroua, Kamerun/Genf (LWI) – Vor vier Jahren flohen Tausende Menschen vor dem Terror der Boko Haram in Nigeria nach Kamerun. Inzwischen kehren zahlreiche Flüchtlinge aus dem Camp Minawao auf wieder in unsichere Gebiete im Osten Nigerias zurück, da sich die Versorgungslage im Camp verschlechtert hat. Ein LWB-Projekt setzt auf örtliche Kommunikationsmittel, um Flüchtlingen Sicherheitshinweise zu geben und über Hilfeangebote zu informieren, die sie bei einem Ortswechsel in Anspruch nehmen können.

„Ich habe gesehen, was Boko Haram dort anrichtet, und deshalb rate ich den Menschen ab, zurückzukehren“, sagt Lydisa Musa.  Sie musste aufgrund der Angriffe von Boko Haram aus der nigerianischen Stadt Pulka fliehen und konnte sich im Flüchtlingslager Minawao in Kamerun in Sicherheit bringen. Nach vier Jahren im Camp versuchte sie ihr Glück noch einmal in Pulka, kam aber nach drei Monaten wieder nach Minawao in Kamerun zurück.

Lydisa Musa, ihr Ehemann und neun Kinder leben im Flüchtlingslager im äußersten Norden Kameruns. Das Camp ist alles andere als ein sicherer Ort und für Hilfeorganisationen aus dem Westen weitgehend nicht zugänglich. Im Vergleich zu dem Terror, den die Familie Nigeria erlebt hat, ist es hier jedoch erträglich. Im Osten Nigerias greift Boko Haram Dörfer an und führt Krieg gegen die eigene Regierung und gegen die beiden Nachbarländer.

Menschen getötet, Infrastruktur zerstört

Die Familie floh nachdem ihre Heimatstadt Pulka im nigerianischen Bundesstaat Borno von Boko Haram angegriffen und besetzt wurde. Musa erinnert sich an brennende Häuser und Autos und an eine Miliz, die wahllos plünderte und Menschen tötete. Die gesamte Infrastruktur einschließlich Schulen und Gesundheitszentren wurde zerstört. 2017 gelang es der nigerianischen Armee, die Stadt zurückzuerobern, aber unbestätigten Berichten zufolge gibt es immer noch Angriffe und Entführungen.

Lydia Musa wäscht ihren jüngsten Sohn Filibus (4). Wasser ist im Lager ein knappes Gut, ebenso Lebensmittel und Brennholz.

Trotz der Gefahren haben sich im Sommer 2017 Tausende von Flüchtlingen in Minawao entschlossen, nach Pulka zurückzukehren. „Sie haben die Lebensmittelrationen hier im Lager gekürzt, es gab einfach nicht mehr genug für alle“, erklärt Musa. „Die Monatsration reichte nur noch für 20 Tage, danach musste ich Brennholz sammeln und es verkaufen, damit meine Kinder etwas zu essen hatten.“ Sie war nicht die einzige, die auf diese Idee kam – Minawao, eigentlich in einem bewaldeten Gebiet gelegen, sieht jetzt aus wie eine Wüste.

„In Pulka hatten wir genug Nahrung, aber es war immer gefährlich, Wasser zu holen und Brennholz zu sammeln“, sagt Musa. „Wenn du Brennholz gesucht hast, konnten die Männer von Boko Haram dich im Busch fangen und töten. Es gibt keine Schulen, nur Angriffe und Bomben. Eines Tages kamen sie zu uns und griffen unsere Stadt an. Siebzehn Menschen sind gestorben. Da habe ich beschlossen, meine Kinder zu nehmen und nach Kamerun zurückzugehen. Hier schießt wenigstens niemand auf uns.“

Rückkehr in Würde

Aubin Nzali, Beauftragter für Massenmedien beim Lutherischen Weltbund (LWB) in Kamerun, hat zahlreiche ähnliche Geschichten gehört. „In Februar und März, als die Lebensmittelrationen im Lager gekürzt wurden, gab es viele Menschen, die spontan zurückgekehrt sind“, sagt er.  „Viele Menschen haben das Camp an den Wochenenden verlassen, weil dann weniger Mitarbeitende der Hilfeorganisationen da sind. Sie gehen davon aus, dass sich die Situation bei ihnen zu Hause inzwischen verbessert hat. Wenn sie dann dort ankommen, müssen sie feststellen, dass das nicht stimmt.“

Ein „Griot” versucht auf einer LWB-Veranstaltung, die Flüchtlinge von einer Rückkehr in ihre Heimat abzuhalten.

Im Camp Minawao hat der LWB eine Kampagne durchgeführt und Flüchtlinge über die Risiken einer spontanen Rückkehr informiert – und diejenigen unterstützt, die nach wie vor entschlossen sind zurückzugehen. Zwei Monate lang hat der LWB Konzerte und Großveranstaltungen durchgeführt, auf denen Flüchtlinge über ihre Erfahrungen in der alten Heimat berichteten. „Griots“ sind eine Art afrikanische Troubadoure, die mündlich in ländlichen Gegenden Geschichten überliefern und Neuigkeiten in Liedform verbreiten. Auf den LWB-Veranstaltungen haben sie mit besonderen Liedern auf die Gefahren einer unbegleiteten Rückkehr hingewiesen. Auf diese Weise haben fast 60.000 nigerianische Flüchtlinge Informationen und Unterstützung erhalten.

„Wir wollen eine Rückkehr in Würde ermöglichen“, sagt Nzali. „Natürlich haben die Menschen jedes Recht auf Rückkehr. Wenn sie den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) über ihre Pläne unterrichten, erhalten sie Dokumente, die ihren Flüchtlingsstatus bestätigen und mit denen sie Anspruch auf Unterstützung durch die nigerianische Regierung erhalten. Einige der Dörfer, aus denen sie kommen, sind vollständig zerstört worden. UNHCR baut Infrastrukturen auf und kann wenigstens Informationen darüber weitergeben, ob es bereits sauberes Trinkwasser und eine Zugangsstraße gibt.“

Spätere Rückkehr oder dauerhafter Aufenthalt

Familie Musa hat sich dazu entschlossen, im Kamerun zu bleiben. Ein trilaterales Abkommen zwischen den Regierungen von Kamerun und Nigeria sowie dem UNHCR sorgt mit entsprechenden Maßnahmen für eine nachhaltige Integration der Flüchtlinge in die örtlichen Gemeinschaften. Das Problem Brennholz und Nahrungsmittel wurde im Rahmen unterschiedlicher LWB-Projekte für Wiederaufforstung und Existenzsicherung gelöst.

Lydia Musas Ehemann Garawa ist zuversichtlich, dass er eine Möglichkeit finden wird, um für seine Familie zu sorgen. „Gestern haben wir gehört, dass eine Bombe zahlreiche Menschen in Pulka getötet hat. Hier gibt es keine Bomben, wir leben in Frieden. Es gibt Wasser und Nahrungsmittel, und wir wollen ein Haus bauen. Wir werden nicht nach Nigeria zurückkehren.“