In Sicherheit Kind sein dürfen

Wafeh gibt ihr Wissen an die Frauen in ihrer Gruppe weiter. Foto LWB/N. Boase

Jordanien: Fraueninitiative engagiert sich gegen Frühehe und Kinderarbeit

AL MAFRAQ, Jordanien/GENF (LWI) – In den Augen ihrer Familie und ihres Umfelds hat Wafeh allen Grund zur Freude: Man hat ihr für ihre Tochter bereits zwei Heiratsanträge gemacht. Als Mutter von fünf Mädchen steht die 35-Jährige unter Druck – ihr Ziel muss es sein, dass ihre Töchter unter die Haube kommen, damit sie versorgt sind. Wafeh jedoch ist alles andere als glücklich, denn die beiden potenziellen Ehepartner sind erwachsene Männer, ihre Tochter aber ist gerade 13.

Die Familie stammt aus dem syrischen Darʿā. Nachdem sie der Bürgerkrieg dazu zwang, ihre Heimat zu verlassen, hat sie im Flüchtlingslager Za’atari (Jordanien) Zuflucht gefunden. Der Krieg dauert seit nunmehr über fünf Jahren an und die Flüchtlinge haben auch weiterhin keine Perspektive auf Rückkehr. Vielfach sind die eigenen Ersparnisse längst aufgebraucht und die Spenden zu ihrer Unterstützung gehen ebenfalls zurück. Dementsprechend hat sich für viele Flüchtlinge die frühzeitige Verheiratung ihrer Töchter, verbunden mit dem Brautgeld und dem Vorteil, ein Familienmitglied weniger versorgen zu müssen, zu einer Überlebensstrategie entwickelt.

„Gewalt gegen Frauen, die Verheiratung von Minderjährigen und Kinderarbeit zerstören die Gemeinschaft“, findet jedoch Wafeh. Sie wird von einer Fraueninitiative unterstützt, die der Lutherische Weltbund (LWB) im Oktober 2016 in Jordanien ins Leben gerufen hat. Die Initiative ist Teil eines größeren Projekts vom LWB-Büro in Jordanien, das über 800 syrischen und jordanischen Frauen berufliche und alltagspraktische Kompetenzen vermittelt. In den Kursen kommen Flüchtlinge und Einheimische zusammen. Ziel ist es, persönliche Kontakte zwischen beiden Gruppen herzustellen und so Spannungen zu verringern und Konflikten vorzubeugen.

Wafeh stellt fest, dass die Beteiligung an der Fraueninitiative ihr Ansätze vermittelt hat, um in ihrem Umfeld über das Thema Frühehe zu sprechen. Das hat sie in ihrer Entschlossenheit bestärkt: „Es ist wichtig, die Informationen weiterzugeben und dafür zu sorgen, dass auch andere verstehen, worum es geht. Ich habe angefangen, in meinem Umfeld über das Thema Frühehe zu reden und den Leuten das Problem bewusst zu machen. Ich sage ihnen, dass sie dafür sorgen müssen, dass ihre minderjährigen Töchter nicht verheiratet werden.“

Erziehungskompetenz

Nicht nur die Mädchen sind gefährdet. Das Leben im Flüchtlingslager stellt die Familien vor massive wirtschaftliche Probleme, so dass viele junge Menschen gezwungen sind, sich Arbeit zu suchen, um einen finanziellen Beitrag zum Überleben zu leisten. Wiederum sind Familien mit weiblichem Haushaltsvorstand besonders betroffen. Der LWB unterstützt bedürftige Haushalte mit Bargeldhilfen, um zu verhindern, dass Kinder arbeiten müssen. Frauen wie Wafeh setzen sich dafür ein, dass Jungen und Mädchen eine Schulbildung erhalten. „Ich erlaube es meinen Kindern nicht, zu arbeiten. Und ich ermutige meine Freundinnen, es ihren Kindern auch nicht zu erlauben, sondern sie zur Schule zu schicken.“

Die Fraueninitiative setzt sich nicht nur für das Recht der Kinder auf Bildung ein, sie bietet auch Hilfestellung bei Fragen des alltäglichen Lebens. Wafeh berichtet, die Frauen in ihrer Gruppe hätten Kinder unterschiedlicher Altersstufen und in der Gruppe habe sie ihre eigene Erziehungskompetenz erweitern können. „Ich habe gelernt, wie ich meine Kinder gewaltlos erziehen und wie ich auf andere Weise mit ihnen kommunizieren kann.“

Dieser geschützte Raum, in dem sich die Frauen regelmäßig austauschen und gegenseitig von ihren Fehlern lernen können, bietet Wafeh ein „mütterliches Nest des Wissens“ wie sie es nennt.

Gendergerechtigkeit

Bereits in Syrien war die Ungleichheit von Männern und Frauen ein Problem, das sich nun im Lager fortsetzt, stellt Wafeh fest. Ihrer Meinung nach zeigt sich diese Ungleichheit nicht nur in der vielfachen sexuellen Ausbeutung. Die Diskriminierung fängt schon damit an, dass Eltern ihre Söhne anders behandeln als ihre Töchter. „Manchmal sehen Eltern Jungen und Mädchen nicht als gleichwertig an“, erklärt sie. „Zum Beispiel geben Väter ihr Erbe nur ihren Söhnen und die Töchter gehen leer aus.“

Wafeh hat ehrgeizige Pläne für ihre eigenen fünf Töchter und möchte, dass sie später studieren. Auch sich selbst hat sie hohe Ziele gesteckt, möchte ihre Computerkenntnisse vertiefen und besser nähen lernen. Sie möchte eine feste Arbeit und ihr Wissen insgesamt erweitern. Die Fraueninitiative ist für sie der Weg zu diesem Ziel: „Ich habe nicht ein einziges Treffen verpasst!“

Der LWB unterstützt in Jordanien sowohl syrische Flüchtlinge, die unter der einheimischen Bevölkerung leben, als auch die Bevölkerung des Flüchtlingslagers Za’atari. Zu diesem Zweck werden direkte Finanzhilfen geleistet, Schulen und Häuser saniert, sowie Bildungsangebote und psychosoziale Betreuung bereitgestellt. Bis einschließlich 2016 erreichte der LWB über 200.000 Flüchtlinge und einheimische Bedürftige in Jordanien. Allein im Jahr 2015 unterstützte der LWB dort 67.081 Menschen.