Schwedische Erzbischöfin bei Papst Franziskus: Gemeinsame Erfahrungen Leben schenkender Versöhnung

Erzbischöfin Dr. Antje Jackelén, Schwedische Kirche, bei der LWB-Ratstagung 2013. Foto: LWB/Maximilian Haas

Am 4. Mai traf LWB-Ratsmitglied Dr. Antje Jackelén, Erzbischöfin der Schwedischen Kirche, im Vatikan mit Papst Franziskus zusammen. Die Erzbischöfin sprach insbesondere eines der Ergebnisse des fortlaufenden lutherisch-katholischen Dialogs an, das Dokument „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“, mit dem die Grundlage geschaffen wurde für eine gemeinsame ökumenische Veranstaltung im Jahr 2016. Papst Franziskus hoffe, so berichtet Radio Vatikan, dass „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ LutheranerInnen und KatholikInnen ermutigen möge, weitere Schritte auf die volle Einheit des sakramentalen Lebens und des kirchlichen Amtes hin zu tun. Im Folgenden finden Sie die Ansprache der Erzbischöfin im Wortlaut:

 

Eure Heiligkeit, Eminenzen, Exzellenzen,

es ist mir eine Ehre und Freude, Ihnen die Grüsse der Schwedischen Kirche zu überbringen.

Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil gab es vielfältige Kontakte zwischen dem Vatikan und der Schwedischen Kirche. Im vergangenen Frühjahr hatten wir die besondere Ehre, in Erinnerung an das 25. Jubiläum des Besuchs von Papst Johannes Paul II. in Schweden und anderen nordischen Ländern eine ökumenische Vesper im Dom zu Lund veranstalten zu können. In meinem vorherigen Amt als Bischöfin von Lund hatte ich ausserdem die Freude, Pfr. Dr. Anders Ruuth kennenzulernen und über seine Erfahrungen in Argentinien zu hören.

Eure Heiligkeit, mit grosser Freude wurde ich als Mitglied des Rates des Lutherischen Weltbundes vor zwei Jahren Zeugin der Vorstellung des Dokuments „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“. Es ist das Ergebnis von fast fünf Jahrzehnten Dialog zwischen der katholischen und der lutherischen Tradition. Zum ersten Mal seit dem 16. Jahrhundert verfügen wir damit über eine gemeinsame Darstellung der Reformationsgeschichte und über gemeinsame Verpflichtungen für die Zukunft.

Die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ aus dem Jahr 1999 und „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ aus dem Jahr 2013 geben uns Anlass, einige grundlegende ökumenische Entwicklungen in den katholisch-lutherischen Beziehungen herauszustreichen. Vielleicht inspirieren sie nicht immer alle Fachleute im positiven Sinne, aber sie befeuern die ökumenischen Hoffnungen und Träume der Menschen in den Gemeinden und insbesondere jener Familien, die sich danach sehnen, gemeinsam zum Tisch des Herrn zu gehen. Wir haben gemeinsame Erfahrungen der gegenseitigen Verurteilung, der Spaltung und des Hasses, aber auch der Leben schenkenden Versöhnung und des Engagements von Laiinnen und Laien, von Menschen an der Basis, das voll Sehnsucht die Realitäten vorwegnimmt, die der offizielle Dialog noch bestätigen soll.

Koinonia, Gemeinschaft, bedeutet learning by doing als Antwort auf die Nöte der Welt. Wir lernen – manchmal in harten Lektionen – dass es um das Miteinanderteilen des Reichtums unserer Traditionen geht und nicht um das Errichten von Zäunen um das eigene Territorium, um Bevollmächtigung, nicht um Macht.

Noch grösser ist meine Freude, weil der Lutherische Weltbund und die katholische Kirche im Herbst 2016 eine gemeinsame ökumenische Veranstaltung im Vorfeld des 500. Reformationsjubiläums 2017 ausrichten werden. Wie unsere Schwesterkirchen im LWB ist auch die Schwedische Kirche auf die ökumenische Verantwortung und die globale Perspektive verpflichtet. Wir sind begierig darauf, zu einem Gedenken beizutragen, das gemeinsam danksagt für das Evangelium und Busse tut für das Leid, das Konflikt und Spaltung gebracht haben, und das auf das gemeinsame Zeugnis verpflichtet ist. Der fünfte Imperativ in „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ fordert uns auf: „Katholiken und Lutheraner sollen in der Verkündigung und im Dienst an der Welt zusammen Zeugnis für Gottes Gnade ablegen.“ (Nr. 243)

Ja, die Welt schreit geradezu nach glaubwürdigen Worten der Hoffnung und nach den Werken der Liebe, die uns das Evangelium Jesu Christi zu vollbringen verpflichtet, gemeinsam mit Menschen guten Willens aus vielen Traditionen. In diesen Tagen sind die Erwartungen, dass die Kirche Frieden und Gerechtigkeit wirken möge, ebenso hoch wie anspruchsvoll.

Eure Heiligkeit hat durch die klaren Aussagen zu Fragen der Armut, Ausgrenzung und Gleichheit Wellen der Hoffnung in der Welt ausgelöst – jüngst im Zusammenhang mit dem Skandal der Kluft in der Entlohnung von Männern und Frauen. In Schweden hat man mich ermutigt, Eurer Heiligkeit im Namen der LGBTQ-Gemeinde ein Wort des Dankes auszusprechen: Sie haben verschiedentlich Dinge gesagt, die Anlass geben, eine gewisse Aussöhnung zu empfinden und erste Anzeichen von Akzeptanz zu erahnen.

Kinder und Frauen sind diejenigen, die unter Unrecht, Nahrungs- und Wasserknappheit, Gewalt, Menschenhandel und Klimawandel am meisten leiden. Aber die Erfahrung beweist, dass es ebenfalls die Frauen sind, die vielfach die nötigen Veränderungen bewirken, sobald man ihnen das Recht auf Bildung und Selbstbestimmung zugesteht. Es muss also nicht nur über und für Frauen gesprochen werden, sondern mit Ihnen, und ihre Führungskompetenzen müssen freigesetzt werden, damit sie beitragen zum Gedeihen von Kirche und Gesellschaft.

Religions- und Weltanschauungsfreiheit, soziale Gerechtigkeit, Schutz von Menschen, die Skandale aufdecken, und von Minderheiten – die Liste der Herausforderungen, vor denen Kirchenleitende wie auch die Völkergemeinschaft stehen, ist lang. Der tragische Schwund christlicher Präsenz im Nahen und Mittleren Osten bekümmert und empört uns. Es wird auch weiterhin humanitäre Hilfe für die Opfer von Kriegen und Katastrophen zu leisten sein.

Darüber hinaus stellt uns die spirituelle Armut vor eine Herausforderung, mit der ansonsten wohlhabende Gesellschaften konfrontiert sind. Die Säkularisierung weckt gemischte Gefühle in uns: Einerseits resultiert sie aus dem Erfolg des Evangeliums Jesu Christi, denn wenn „die Welt“ von uns fordert, die Freiheit und Würde des Menschen mutiger zu vertreten, wurzeln diese Forderungen in den Früchten unserer eigenen Verkündigung, und das ist gut so. Andererseits schwächt die Säkularisierung Glaubenswissen und -praxis, wodurch besonders junge Menschen den Zugang zu den spirituellen Quellen verlieren, die die Kirche anbietet. So bedrohen Einsamkeit, das quälende Gefühl, nie voll und ganz angenommen zu sein, und der fehlende Mut, sich den Höhen und Tiefen des Lebens wirklich zu stellen, die spirituelle Gesundheit ganzer Generationen.

Unsicherheit bietet Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz fruchtbaren Boden, was in Europa ein wachsendes Problem darstellt. Uns wiederum hindert sie, die beiden dringlich notwendigen, parallelen Aufgaben konsequent anzugehen – nämlich den interreligiösen Dialog zu führen, um den sozialen Zusammenhalt in von Vielfalt geprägten Städten zu stärken, und gleichzeitig klar Position zu beziehen gegen im Namen der Religion verübte Gewalt.

Vor der europäischen Haustür ereignen sich immer neue Tragödien. Tausende Menschen sterben im Mare nostrum, in unserem Mittelmeer: eine Schande für Europa! Migration sowie Millionen von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen werden auch zukünftig unsere Werte und unsere Handlungsfähigkeit auf die Probe stellen.

Ihre nächste Enzyklika zum Klima werden Religionsführerinnen und -führer, nichtstaatliche Organisationen und Entscheidungsträgerinnen und -träger weltweit begrüssen. Der Klimawandel ist die vielleicht grösste gemeinsame Herausforderung, vor der die Menschheit je stand. Jetzt ist es Zeit für Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur und Religion – alle Bereiche, durch die sich die Würde des Menschen ausdrückt – zusammenzuarbeiten. Beim Klima geht es um Wissenschaft und Glauben, Gerechtigkeit und Lebensstil, Gemeinwohl und Interdependenz, Sünde und Versöhnung, um Menschen als Geschöpfe, die aktiv mitarbeiten am Schöpfungswerk, um die Überprüfung anthropozentrischer Weltbilder und um die Hoffnung. Die Welt rechnet mit jenen, die in den Religionen Führungsverantwortung tragen, denn die Religionen steuern eine kulturelle Integrität bei, eine spirituelle Tiefe und moralische Kraft, die rein säkularen Ansätzen oft fehlt.

Vor einem Jahr haben die Bischöfe und Bischöfinnen Schwedens ein Schreiben zum Klima veröffentlicht. Im vergangenen Herbst schloss die Schwedische Kirche ihren Devestitionsprozess ab, ihr Finanzportfolio enthält heute keinerlei Titel mehr von Unternehmen aus dem Bereich fossile Brennstoffe. Wir hoffen, dass viele andere diesem Beispiel folgen.

Die Herausforderungen der Gegenwart bewegen sich nicht mehr innerhalb der lokalen oder nationalen Grenzen. Sie sind globaler und lokaler Natur zugleich. Grenzen sind nicht mehr das, was sie einmal waren. Das sollte uns keine Angst machen. Denn im Mittelpunkt des Christentums steht ein Gott, der die gewaltigste aller Grenzen überschreitet – die Grenze zwischen Gott und Mensch. Mit Grenzüberschreitungen geht immer auch eine Berührungsangst einher, die Angst, das Andere, Unbekannte, Fremde zu berühren und sich von ihm berühren zu lassen. Als Glaubende können wir mit diesen Ängsten leben, da wir ausgerichtet bleiben am Evangelium vom menschgewordenen Christus und offen, unbedingt offen sind für die Welt. So sprechen wir, vereint im Gebet für Gottes Schöpfung und die Kirche Jesu Christi, voller Vertrauen: Veni Creator Spiritus, komm Schöpfer Geist.