Religiöse Organisationen sensibilisieren für Frauenrechte

Rita Flore, Teilnehmerin am Workshop für Frauenrechte: „Der Schmerz der Diskriminierung treibt mich an, diese Situation zu verändern.“ Foto: LWB/S.Gallay

LWB federführend bei Workshop zur Förderung von Gerechtigkeit für Frauen

GENF, 12. Juli 2016 (LWI) – "Straffreiheit und die Missachtung von Gesetzen in Honduras kosten alle 12 Stunden das Leben einer Frau in diesem Land", berichtet Suyapa Ordoñez, Studentin der Theologie und engagiert in der Seelsorge der Christlich-Lutherischen Kirche Honduras. „Rechtsstaatlichkeit gibt es hier nicht. Da keine Strafverfolgung stattfindet, bedeuten Gesetze nichts."

Ordoñez war eine der rund 50 Delegierten von sechs Organisationen, die in Genf an einem viertägigen Workshop teilnahmen. Thema war die effektive Gestaltung der Advocacy-Arbeit gegenüber den Organisationen der Vereinten Nationen. Der Workshop wurde vom Lutherischen Weltbund, der Finnischen Kirchenhilfe, Mission 21, der Kirche von Schweden, dem ÖRK und dem Christlichen Verein Junger Menschen (World YMCA) veranstaltet.

Zu den Gastreferenten gehörten Vertreterinnen und Vertreter der Baha’i International Community, Amnesty International, swisspeace und der UN-Hochkommissar für Menschenrechte. Die Delegierten nahmen ebenfalls an der Überprüfung der Vertragsstaaten des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women/CEDAW) teil.

Als Kontaktperson ihrer Kirche für das LWB-Netzwerk in Lateinamerika und der Karibik für Frauenrechte und Gendergerechtigkeit arbeitet Ordoñez mit den Frauen in der Kirche zusammen und leistet dort Aufklärungsarbeit über das Ausmaß der Straffreiheit bei Verbrechen, die in Honduras gegen Frauen verübt werden. Die Frauenbewegung in Honduras setzt sich beim Kongress für eine Gesetzgebung ein, die Gewaltverbrechen gegen Frauen stärker ahndet. Christliche Frauen seien besonders gefährdet, da immer noch die allgemeine Erwartungshaltung vorherrsche, sie müssten Männern gegenüber besonders unterwürfig sein, sagte sie. „Es ist deshalb ein wichtiger Schritt, wenn Kirchen sich gegen Gewalt gegen Frauen aussprechen. Frauen wissen, dass wir nach dem Bild Gottes geschaffen wurden, dass wir den Männern gleichgestellt sind und dass es für Gewalt gegen Frauen keine Rechtfertigung gibt. In unseren Gebeten beklagen wir die Menschenrechtsverletzungen, die wir erleiden müssen. Eine Aufgabe der Kirchen besteht darin, sich für das Ende der Straffreiheit und für Gerechtigkeit einzusetzen."

Mit Hilfe der UN die Regierungen zur Rechenschaft ziehen

In Honduras kann bereits der Versuch, Menschenrechten zur Geltung zu verhelfen, als Verbrechen angesehen werden. Diese Art von Engagement hat Menschenrechtsaktivistinnen wie Berta Cáceres, Umweltkämpferin und indigene Führerin, das Leben gekostet. Sie wurde vor vier Monaten wegen ihrer Überzeugungen ermordet. Cáceres und Ordoñez kannten sich gut. Während des Workshops erfuhren die Teilnehmenden die traurige Nachricht, dass eine weitere Frauenrechtlerin ermordet worden ist.

„Wir erleben, dass sogar Mütter verschwinden, die kleine Kinder zurücklassen. Diese Gewalt gegen Frauen bringt mich dazu, meinen christlichen Glauben in den Dienst meiner Schwestern zu stellen. Meine Rolle ist prophetisch – verkünden und anprangern", sagte Ordoñez.

Die LWB-Politik der Gendergerechtigkeit ist ein machtvolles Instrument im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Es eignet sich besonders gut dazu, um gefährdete Frauen zu identifizieren, die Unterstützung brauchen, und um ein Glaubensverständnis zu entwickeln, das Ungerechtigkeiten anprangert.

Ordoñez hofft, die Frauenrechtskonvention (CEDAW) für die Zusammenarbeit mit anderen zivilgesellschaftlichen Bewegungen verwenden zu können und die Regierung zur Rechenschaft ziehen zu können, denn diese hat die Konvention ratifiziert, setzt sie aber nicht um. Die Kirche kann ein Ort sein, an dem Frauen geholfen wird, ihrer Stimme Gehör zu verschaffen. Die Kirche wird sich in drei Monaten an der Überprüfung der Frauenrechtskonvention für Honduras beteiligen.

„Dieser Workshop hat meinen Horizont erweitert und mir neue Möglichkeiten der Teilnahme erschlossen. Hier zu sein und etwas über die Erfahrungen anderer Menschen zu hören, hat mir die Augen geöffnet. Gewalt gegen Frauen manifestiert sich in allen Ländern der Welt auf die gleiche Weise. Aber wir mussten erst hierher kommen, um das zu begreifen", sagte Ordoñez.

Warum wollen Sie arbeiten?

Eine andere LWB-Teilnehmerin, Rita Flores, von der Bolivianischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, erzählte, dass in Bolivien allein die Tatsache, Frau zu sein, Anlass zur Diskriminierung gebe. Darüber hinaus müssen indigene Aymara-Frauen sich gegen Diskriminierungen wehren, weil sie ihre eigene Tracht tragen und ihre eigene Sprache sprechen. Diese Diskriminierung findet auch am Arbeitsplatz statt. Besonders unerträglich ist die Situation für Frauen auf dem Land. „Bei Bewerbungsgesprächen geht das so weit, dass ich gefragt wurde, warum ich Arbeit suche, wenn doch mein Ehemann eine bezahlte Beschäftigung habe. Es sei doch bereits der Ernährer."

Vor vier Jahren hat die bolivianische Kirche in der Stadt El Alto ein Bildungsprojekt begonnen, um Migrantinnen mit den Grundlagen des bolivianischen Rechts vertraut zu machen.  „Die jetzige Regierung ist seit fast zehn Jahren an der Macht, und viele der Gesetze, mit denen Frauen ihre Rechte durchsetzen können, gelangen langsam ins Bewusstsein der Öffentlichkeit."

Besonderes Interesse fand bei ihr eine Workshop-Einheit, die mit Hilfe eines Theaterstücks für Gender-Stereotype sensibilisiert und auf die ungleiche Machtverteilung zwischen Männern und Frauen hingewiesen hat. Rita arbeitet selbst oft mit Analphabetinnen zusammen. Das Theater könne ein wertvolles Medium sein, um Frauen über ihre Rechte zu informieren, sagte sie.

Gewalt gegen Frauen zerreiße ihr jedes Mal das Herz, aber der darüber gefühlte Schmerz bestärke sie nur in ihrem festen Willen, etwas gegen diese Zustände zu unternehmen und Brücken zu bauen, damit auch mittellose Frauen die Unterstützung bekommen, die sie brauchen.

Gendergerechtigkeit ist eine Glaubensfrage

Bei der Eröffnung des Workshops sagte LWB-Generalsekretär Pfarrer Dr. Martin Junge, dass die Gendergerechtigkeit auch eine Glaubensfrage sei. Er zitierte hierzu den spanischen Theologen José Vigil: „Für diejenigen, die gehört und gesehen haben, wie Gott diese Welt haben will, ist es schwer zu akzeptieren, wie diese Welt ist." Glaubensgemeinschaften hätten einen langen Weg bis zu der Erkenntnis zurückgelegt, dass dieses Zitat auch auf Gender, Gendergerechtigkeit und Machtverhältnisse zuträfe, sagte er. „Wir fangen erst an zu verstehen und aus einer Glaubensüberzeugung heraus zu verinnerlichen, dass es Gerechtigkeit in den Beziehungen zwischen den Geschlechtern geben muss."

Die Herausforderung bestehe darin, so Junge, diese Glaubensüberzeugung zu öffentlichem Allgemeingut werden zu lassen. Die LWB-Politik für Gendergerechtigkeit sei ein Versuch zu erklären, warum Gendergerechtigkeit wichtig sei, und ermögliche dem LWB, diese Frage aus einer theologischen und glaubensgestützten Perspektive anzugehen.

Er ermutigte die Teilnehmenden, nach Möglichkeiten zu suchen, örtliches Engagement in einen Beitrag auf globaler Ebene zu transformieren, und verband dies mit der Hoffnung, dass der Workshop sie bereichern und dazu bewegen werde, sich weiterhin für Gendergerechtigkeit einzusetzen.

Die Organisatorin des Workshops, Cristina Rendon, sagte: „Der LWB und seine aus dem Glauben handelnden Partnerorganisationen wollten mit diesem Seminar einen Kontext zwischen den Aktionen der Teilnehmenden in 31 Ländern und Advocacy-Instrumenten wie Frauenrechtskonvention CEDAW und den Universellen Periodischen Überprüfungsverfahren herstellen.

Religiöse Organisationen verfügten über ein enormes Potenzial, Frauen bei der Durchsetzung ihrer Rechte zu unterstützen. Gleichzeitig seien sie aber auch wichtig, um kulturelle Normen in Frage  zu stellen, die für Frauen benachteiligen und eine geschlechtsspezifische Diskriminierung verstetigen.