Rechtfertigungslehre: Brücken der Versöhnung und theologischen Verständigung

LWB-Generalsekretär Martin Junge spricht auf einem Kolloquium, das vom Institut für weiterführende ökumenische Studien der Katholischen Universität Paris organisiert wurde. Foto: Stephen Brown

LWB-Generalsekretär blickt zurück auf 20 Jahre Gemeinsame Erklärung

Paris, Frankreich/Genf (LWI) – In einer Welt, die zunehmend von Spaltungen und scheiternder Kommunikation geprägt ist, bietet der Meilenstein der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre ein wichtiges Beispiel dafür, dass Christinnen und Christen zusammenfinden und aufzeigen, „was Gott in unserer Mitte aufbaut“.

Anlässlich eines Kolloquiums am 12. März, das die Pariser orthodoxen, evangelischen und katholischen theologischen Fakultäten gemeinsam organisiert hatten, blickte der Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes (LWB), Pfarrer Dr. h.c. Dr. h.c. Martin Junge, zurück auf die Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung durch katholische und lutherische Würdenträger und Würdenträgerinnen in Augsburg (Deutschland) am 31. Oktober 1999, dem Reformationstag. Junge zeichnete die Entstehung der Erklärung, ihre Rezeption und die Chancen nach, die sie heute für die Christenheit eröffnet.

Das Übereinkommen, mit dem theologische Schlüsselfragen der Reformation faktisch geklärt wurden, sei erwachsen aus dem „stetigen ökumenischen Engagement von Einzelnen, Gruppen und Kirchen“, die sich schon lange bevor die offiziellen Dialoge begannen, Früchte zu tragen, zutiefst dem Streben nach Einheit verpflichtet fühlten, stellte Junge fest.

Die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre habe nicht nur die Übereinstimmung der lutherischen und der katholischen Tradition über Grundwahrheiten hinsichtlich der Erlösung als uns geschenkter Gabe Gottes aufgezeigt, sondern auch erklärt, dass die in der Reformationszeit im 16. Jahrhundert wechselseitig ausgesprochenen Lehrverurteilungen die Lehre beider Seiten heute nicht mehr treffen, führte Junge aus.

Außerdem habe die Gemeinsame Erklärung mit dem Konzept des „differenzierten Konsens“ Neuland betreten, das es beiden Traditionen erlaubte, Differenzen zu artikulieren, ohne den Konsens selbst in Frage zu stellen. Hieraus sei das Modell der „rezeptiven Ökumene“ entstanden.

Neue Wege

In den vergangenen 20 Jahren habe die Gemeinsame Erklärung weitere „unerwartete und außerordentliche Meilensteine“ nach sich gezogen und in bilateralen wie multilateralen Dialogen neue Horizonte eröffnet, betonte der Generalsekretär.

Auf der multilateralen Ebene schloss sich der Weltrat Methodistischer Kirchen der Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre im Jahr 2006 offiziell an und ergänzte sie um eine eigene Positionierung zur Theologie der Heiligung. 2017 folgten die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen, die ihrerseits eine Stellungnahme zum Zusammenhang von Rechtfertigung und Gerechtigkeit beisteuerte, sowie die Anglikanische Kirchengemeinschaft, die die Gemeinsame Erklärung „der Sache nach“ bestätigte.

Beispielhaft für die Wirkung auf bilateraler Ebene nannte Junge die im lutherisch-mennonitischen Dialog gewonnenen Erkenntnisse und die auf dieser Grundlage erarbeitete, wichtige Studie zur Heilung leidvoller Erinnerungen. Weiterhin blickte der Generalsekretär zurück auf die langwierigen Vorbereitungen auf das Gemeinsame katholisch-lutherische Reformationsgedenken im Oktober 2016, dessen Höhepunkt ein gemeinsamer ökumenischer Gottesdienst in Lund (Schweden) bildete, dem Papst Franziskus gemeinsam mit Junge und dem damaligen LWB-Präsidenten Bischof Dr. Munib A. Younan vorstand.

Das von den Gedenkfeierlichkeiten in Lund ausgegangene „starke öffentliche Signal“ im Vorfeld des 500. Reformationsjubiläums im darauffolgenden Jahr habe Kirchen in allen Weltregionen dazu angeregt, in Anlehnung an die Liturgie von Lund hunderte Gedenkgottesdienste zu feiern.

Alle diese ökumenischen Veranstaltungen und auch das Schlüsseldokument „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“, auf das sie sich stützten, wären ohne die Gemeinsame Erklärung undenkbar gewesen.

Trotzdem gebe es nach wie vor „viele Fragen und kaum Gewissheiten“ auf dem gemeinsamen „Weg hinein in das Neuland“, das vor den Kirchen liege, betonte Junge. Im Blick auf die kommende Dialogphase führte er aus, die theologische Arbeit müsse motiviert sein von der pastoralen Sorge um die katholischen und lutherischen Gläubigen, denen die eucharistische Gemeinschaft nach wie vor verwehrt sei.

Schließlich blickte der Generalsekretär noch voraus auf die nächsten Jubiläen – 500 Jahre Reichstag zu Worms (2021) und 500 Jahre Augsburger Bekenntnis (2030). Auch mit diesen Jubiläen seien vielfältige Herausforderungen und „traurige Erinnerungen“ verbunden. Der LWB und der Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen seien sich jedoch einig, dass in einem weiteren Dokument auch diese historischen Zusammenhänge aus einer gemeinsamen Perspektive dargestellt werden sollen, um so einen Zugang zu diesen Ereignissen zu eröffnen, der von der heutigen Beziehungslage ausgehe.

Junge schloss: „Ökumenischer Fortschritt ist nur möglich, wenn er auf einem Fundament des Vertrauens [und der Entschlossenheit aufbaut,] Brücken der Versöhnung, der theologischen Verständigung, der Heilung von Erinnerungen und des Dienstes an den Bedürftigsten zu schlagen – auf dass die Welt glaube.“