Radikale Integration stärkt diakonische Praxis

Teilnehmende der Kirchenleitungskonferenz der Region Lateinamerika und die Karibik, April 2015, La Paz (Bolivien). Foto: Eugenio Albrecht

Konferenz der Region Lateinamerika und Karibik befasst sich mit Reformation

(LWI) Angesichts einer von zunehmender Ausbeutung der Naturschätze, erzwungener Migration und Menschenhandel geprägten Situation haben die lutherischen Kirchen in Lateinamerika und der Karibik dazu aufgerufen, noch energischer die Botschaft zu vermitteln, dass Erlösung, Schöpfung und Menschen „für Geld nicht zu haben“ sind.

Die VerantwortungsträgerInnen der Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes (LWB) in der Region befassten sich bei ihrer Tagung in La Paz im Westen Boliviens mit dem Thema der Zwölften LWB-Vollversammlung, „Befreit durch Gottes Gnade“, unter besonderer Berücksichtigung der sich daraus für den Bereich Diakonie ergebenden Konsequenzen.

„Selbstverständlich ist die Schöpfung für Geld nicht zu haben, denn keine und keiner von uns ist für Geld zu haben! Und selbst wenn das nicht so wäre, frage ich mich, zu welchem Zeitpunkt wir aufhören würden, die Schöpfung zu betrachten, als wären wir nicht Teil von ihr“, kommentierte Pfr. Gustavo Gómez, Präsident der in Argentinien und Uruguay angesiedelten Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche (IELU).

Bei der Konferenz, die vom 7. bis 10. April stattfand, diskutierten die 65 Delegierten – Kirchenoberhäupter, VerantwortungsträgerInnen aus der Frauen- und Jugendarbeit sowie VertreterInnen regionaler Netzwerke – sowie geladene Gäste, wie die lutherischen Kirchen in Lateinamerika und der Karibik die diakonische Praxis dergestalt vertiefen können, dass die von Jesus selbst vorgelebten radikalen Formen der Integration verwirklicht werden.

Die lutherische Diakonie in der Region setzt schwerpunktmässig auf kontinuierliche Weiterbildung, die Schaffung eines Bewusstseins für die von den Kirchen geleistete diakonische Arbeit in der Öffentlichkeit sowie eine Vernetzung mit dem Ziel, das Lernen voneinander und den Erfahrungsaustausch zu fördern. Sie arbeitet in den Bereichen Integration, Klimagerechtigkeit, Menschenwürde und Schöpfung, wobei die Dimensionen Gendergerechtigkeit und Partizipation der jungen Generation durchgängige Berücksichtigung finden.

Mehr Wertebewusstsein

Die Teilnehmenden, darunter auch VertreterInnen der LWB-Mitgliedskirchen in Nordamerika, erklärten, in beiden Regionen stellten Ausbeutung der Arbeitskraft und sexuelle Ausbeutung, das Verschwinden junger Menschen, Sextourismus und Kinderhandel wesentliche Bedrohungen für das Leben dar. Organhandel, Gewalt gegen Frauen, erzwungene Migration und Abschiebung wurden ebenfalls als Probleme genannt, die zunehmend Leben und Menschenwürde bedrohen.

Das Netzwerk für Frauen und Geschlechtergerechtigkeit in der Region ermutigte die Kirchen, auf der Grundlage von Empathie, Solidarität und Gerechtigkeit die Selbstbestimmung von Frauen zu fördern. Die Koordinatorin des Netzwerks, Elizabeth Arciniegas Sanchez von der Evangelisch-Lutherischen Kirche Kolumbiens, prangerte das Unrecht des Menschenhandels an: „Der Wert, der Menschen beizumessen ist, erfordert ein grösseres Bewusstsein dafür, dass ihre Würde, ihr Leben und ihre Träume nicht für Geld zu haben sind.“

Vor dem Hintergrund der Osterfeiertage befassten sich die Teilnehmenden mit dem christlichen und lutherischen Glauben. „Ich muss bekennen, dass meine Fähigkeit, die mir von Gott geschenkte Gabe der Erlösung anzunehmen, manchmal bedroht ist durch die Kultur, in der ich lebe“, erklärte Nationalbischöfin Susan C. Johnson von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Kanada. Diese von Konsumdenken geprägte Kultur betone Wirtschaftswachstum, die Anhäufung von Besitz, das Streben nach Jugend und die Erlangung dauerhafter Schönheit und sie stellt vorrangig das Ich in den Mittelpunkt.

„All diese falschen Götter fordern Anstrengung und viel Geld und andere Ressourcen, damit man ‚Heil‘ erlangt“, führte Johnson, LWB-Vizepräsidentin für die Region Nordamerika, aus. „Werden wir uns unserer Taufe neu bewusst; verlassen wir die Wege, die uns von Gott wegführen, damit wir dem Leib Christi näher sind und gestärkt werden, an der Verheissung des göttlichen Heils – die keine Gegenleistung verlangt – festzuhalten.“

Bei der Konferenz war die Evangelisch-Lutherische Kirche in Amerika vertreten durch die LWB-Ratsmitglieder Christina Jackson-Skelton und Joseph Villalon. Jackson-Skelton ist Vorsitzende des LWB-Finanzausschusses.

Ein Fest der Gnade Gottes

Im Rahmen der Konferenz wurde erörtert, wie die Prozesse der Teilnahme an den vorbereitenden Tagungen sowie der Zwölften LWB-Vollversammlung 2017 in Windhuk (Namibia) effizient gestaltet werden können und wie aus diesem Anlass die Gnade Gottes als zentrales Element gefeiert werden kann, das für Geld nicht zu haben ist.

Im Vorfeld des 500. Reformationsjubiläums organisiert die Region verschiedene Veranstaltungen auf der universitären Ebene sowie im öffentlichen und ökumenischen Bereich.

Die Kirchen aus Lateinamerika und der Karibik begrüssten den dreijährigen Prozess „Frauen in Bewegung: Von Wittenberg nach Windhuk“, den der LWB Anfang 2015 eingeläutet hat, um anlässlich des Reformationsjubiläums den Beitrag von Frauen in den Kirchen zu artikulieren.

Die Kirchen ihrerseits greifen die Zielsetzungen von „Frauen in Bewegung“ auf: Pfr. Dr. Nestor P. Friedrich, Präsident der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (IECLB), erklärte dazu, seine Kirche habe begonnen, Geschichten von Frauen zu sammeln. „Als Kirche haben wir bewusst die Arbeit von Frauen vergessen, obwohl sie Pionierinnen sind und bei der Weitergabe des Glaubens an neue Generationen eine zentrale Rolle spielen. Wir haben bereits viele Geschichten von jungen, älteren und alten Menschen, die ein sehr wichtiger Teil der Kirche sind.“

Vorbereitende Tagung zur Vollversammlung findet 2016 in Suriname statt

Die jährlichen Konferenzen ihrer VerantwortungsträgerInnen helfen den LWB-Mitgliedskirchen dabei, die lutherische Kirchengemeinschaft auf der regionalen Ebene sichtbarer zu machen, so Pfarrerin Dr. Patricia Cuyatti, Gebietsreferentin für Lateinamerika und die Karibik in der Abteilung für Mission und Entwicklung.

Cuyatti erläuterte, die Kirchenleitenden hätten sich sehr dankbar gezeigt für den breiten Raum, der den Kirchen geboten werde, um ihre Beziehungen zu vertiefen, Gemeinschaft zu erfahren und in den verschiedenen Netzwerken zusammenzuarbeiten: „Ich habe konkrete Akte der Solidarität und der Unterstützung wahrgenommen, die inspiriert sind von der Gnade Gottes.“

Die Kirchenleitenden aus der Region haben beschlossen, ihre Vorbereitende Tagung zur LWB-Vollversammlung vom 29. August bis 2. September 2016 in Paramaribo (Suriname) zu veranstalten. Gastgeberin der diesjährigen Kirchenleitungskonferenz war die Bolivianische Evangelisch-Lutherische Kirche.

(Ein Beitrag des argentinischen Pfarrers und Journalisten Eugenio Albrecht, der im Kommunikationsnetzwerk der Region Lateinamerika und die Karibik mitarbeitet.)