Ökonomie des Lebens in einer Zeit der Ungleichheit

LWB, ACT, ÖRK und andere ökumenische Organisationen nahmen 2019 mit Zehntausenden am Klimastreik in den Straßen von New York teil. „Klimagerechtigkeit jetzt“ war ihre zentrale Forderung. Foto: Simon Chambers/ACT

COVID-19 offenbart in der Gesellschaft verborgene ungerechte Systeme

GENF (LWI) – Das Ökumenische Seminar für Leitung, Wirtschaft und Management im Dienst einer Ökonomie des Lebens (GEM School) ist ein Schulungsprogramm, das theologische Betrachtungen, kritische Wirtschaftstheorien und sozialwissenschaftliche Erkenntnisse integriert und den Teilnehmenden die Kompetenzen vermittelt, um die Advocacy-Arbeit der Kirchen für einen gerechten Übergang im globalen Finanz- und Wirtschaftssektor zu stärken. Die GEM School hat am 19. August ein öffentliches Online-Seminar durchgeführt.

„Die Ökonomie des Lebens in Zeiten der Ungleichheit, der Pandemie und des Klimawandels“ war die erste von drei öffentlichen Vorlesungen der GEM School 2020. An dem Webinar haben die amerikanische Professorin Cynthia Moe-Lobeda von der Pacific Lutheran University und Pfr. Dr. Allan Aubrey Boesak teilgenommen, ein südafrikanischer Theologe und Aktivist. Moe-Lobeda und Boesak hielten Referate über die Wechselbeziehungen zwischen ethnischer Gleichstellung, Umweltgerechtigkeit und wirtschaftlicher Gerechtigkeit im Hinblick auf die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie. 

 „Wir befinden uns im Zentrum von vier Pandemien, die eng miteinander verbunden sind.  Die COVID-19-Pandemie hat uns in besonders drastischer Form vor Augen geführt, dass es auch die Pandemien wirtschaftliche Ungerechtigkeit, Rassismus und Klimawandel gibt“, sagte Moe-Lobeda in ihrem Beitrag. 

Moe-Lobeda erläuterte vier Schlussfolgerungen, um die Liebe Christi inmitten dieser ineinandergreifenden Pandemien zu verkörpern:

  1. Der Versuch, eine dieser Pandemien ohne Einbeziehung der anderen Pandemien zu bekämpfen, ist gefährlich.
  2. Diese vier Pandemien lassen in ihrem Zusammenwirken den heiligen Ruf nach einem radikalen wirtschaftlichen Wandel entstehen.
  3. Dieser Aspekt der Liebe Christi und der Wunsch nach einem gerechteren und ökologischeren Leben ist kein unerfüllbarer Traum.
  4. Die Religion muss hier eine wichtige Aufgabe übernehmen. Religiöse Gemeinschaften können darauf bestehen, dass für wirtschafts- und finanzpolitische Entscheidungen und Praktiken moralische Prinzipien gelten müssen, denn sie bestimmen die Beziehungen des Menschen zu seinen Mitmenschen und zur Schöpfung.

Boesak wies wiederholt darauf hin, welche Ungleichheiten diese Pandemie offenbart habe, und sagte, dass „COVID einen merkwürdigen Widerspruch zeige und in gnadenloser und brutaler Weise alle die seit langem bestehenden und tief in unseren Gesellschaften verwurzelten Ungleichheiten ans Tageslicht gebracht hat. Die Pandemie zeigt Bruchstellen, die von Anfang an in unseren Gesellschaften existiert haben.“

„Spirituelle Ermächtigung, Ermutigung und Trost“ seien ein selbstverständlicher Dienst der Kirchen, so Boesak, und dies gelte ebenfalls für „Gedanken und Gebete für ideenlose Politiker und Politikerinnen, die mit ihren Plattitüden nicht mehr weiterkommen“, sagte er, verbunden mit einem Aktionsaufruf an die Kirchen. „Wir müssen Mittel und Wege finden, uns dieser jetzt stattfindenden Revolution anzuschließen.“ 

Boesak fragte, auf welcher Seite dieser Revolution die Kirche wohl stehen werde. 

„Wir beginnen gerade erst zu verstehen, welche Kraft daraus entsteht, dass Menschen tief in ihrem Glauben verwurzelt sind. Unsere Spiritualität der Politik muss dieser Politik und der ungerechten Gesellschaft etwas entgegensetzen und sie herausfordern, bis sie den Maßstäben des Reich Gottes entsprechen“, sagte er abschließend. 

Die GEM School, die früher als zehntägige Präsenzveranstaltung stattfand, ist eine gemeinsame Initiative des Lutherischen Weltbundes, der Weltgemeinschaft reformierter Kirchen, des Rates für Weltmission und des Ökumenischen Rates der Kirchen. Aufgrund der COVID-19-Pandemie fand die GEM School 2020 dieses Jahr in Form einer Online-Veranstaltung statt, um eine öffentliche Teilnahme zu ermöglichen. 

„Wir leben in einer besonderen Zeit, in der wir die Auswirkungen der entmenschlichenden, tödlichen und zerstörerischen Aspekte unseres derzeitigen Wirtschaftssystems nicht nur aus der Entfernung, sondern im unmittelbaren persönlichen Geschehen erleben. Ich bin beeindruckt vom Engagement der Teilnehmenden der GEM School, die sich in keiner Weise von der Verzweiflung überwältigen lassen. Sie zeigen die Bereitschaft, zu lernen und – was noch wichtiger ist – zu handeln“, sagte Pfr. Dr. Sivin Kit, LWB-Programmreferent für öffentliche Theologie und interreligiöse Beziehungen. 

Die Seminare haben sich an den Aussagen der Erklärung von Sao Paulo: „Transformation der internationalen Finanzsysteme für eine Ökonomie des Lebens” und dem Dokument „Ökonomie des Lebens jetzt und für alle: Ein ökumenischer Aktionsplan für eine neue internationale Finanz- und Wirtschaftsarchitektur“ orientiert (in englischer Sprache).

Zu den weiteren öffentlichen Webinaren der GEM School 2020 gehören im September „Zacchaeus Tax and Jubilee in a Time of Pandemic and Climate Change“ (Zachäus-Steuer und Jubeljahr in Zeiten der Pandemie und des Klimawandels) und im Oktober „Interfaith Perspectives on Just Finance and Reparations“ (Interreligiöse Perspektiven für ein gerechtes Finanzsystem und Entschädigungszahlungen).