Norwegen: Leitende Bischöfin über Hoffnungen und Herausforderungen ihrer Kirche

Helga Haugland Byfuglien, Leitende Bischöfin der Norwegischen Kirche. Foto: Hege Flo Øfstaas/Norwegische Kirche

Helga Haugland Byfuglien über geistliche Impulse, kirchliche Prioritäten und dem Verhältnis der Generationen

Oslo (Norwegen)/Genf (LWI) – In den frühen Morgenstunden am Ostersonntag wird das Oberhaupt der Norwegischen Kirche, Bischöfin Helga Haugland Byfuglien, einen Gottesdienst in der mittelalterlichen Kathedrale von Trondheim leiten und gemeinsam mit den Teilnehmenden darauf warten, dass die Dunkelheit des leeren Grabs dem Licht und neuen Leben des auferstandenen Christus weicht.

Byfuglien ist in Bergen geboren und aufgewachsen und hat dort an Osterfreizeiten der Kirche teilgenommen. Schon damals verspürte sie die Freude, die die lebenspendende Osterbotschaft vermitteln kann. Als Leitende Bischöfin und erste Frau an der Spitze der Norwegischen Kirche hat sie seither viel erreicht. Mit der Lutherischen Welt-Information (LWI) hat sie über Themen gesprochen, die für die Lebendigkeit ihrer Kirche wichtig sind.

Ostern

„Ich glaube, dass wir hier im Norden sehr viel Glück haben“, sagt sie mit einem Lächeln, denn die meisten Menschen in ihrer Heimat würden Ostern mit dem Ende des Winters und der Fülle des „neuen Lebens in der Natur, einem Zeichen für das neue Leben nach der Auferstehung“ verbinden.

Traditionell zieht es die Norwegerinnen und Norweger zu Ostern zum Ski fahren in die Berge oder aber an die Küste, wo viele Familie Ferienhäuser haben, um dort mit Familie und Freunden die Seele baumeln lassen. Seit vielen Monaten würden sie den Frühling herbeisehnen, erklärt Bischöfin Byfuglien, und die Aussicht auf Sonnenschein würde mit den Lieblingsspeisen und liebsten Nahrungsmitteln wie Orangen und mit Schokoladenriegeln gefeiert, die Kindheitserinnerungen wachriefen (den beliebten Kvikk Lunsj-Riegel gibt es schon seit den 1930er Jahren).

Engagement in der Kirche

In Norwegen sind rund drei Viertel der 5,3 Millionen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger Mitglied in der lutherischen Kirche, obwohl die aktive Teilnahme an Gottesdiensten immer weiter zurückgeht und die Zahl derjenigen, die sich zu keiner Religion bekennen, von Jahr zu Jahr steigt. In einigen Teilen des Landes, so Byfuglien, hielten bis zu 90 Prozent der Menschen an ihrer Mitgliedschaft in der Kirche fest, auch wenn die Zahl der Taufen und die Zahl der Menschen, die sonntags regelmäßig in den Gottesdienst kommen, deutlich zurückgegangen sei. Die Zahl von kirchlichen Bestattungen sei aber im Gegenzug nach wie vor sehr hoch, erklärt sie weiter, auch wenn der sehr engagierte norwegische Humanistische Verband Alternativen anbiete.

Um dem Abwärtstrend in der regelmäßigen Teilnahme am Sonntagsgottesdienst entgegenzuwirken verschickt die Norwegische Kirche bei Wahlen Informationen und Stimmkarten per Post und ermutigt im Internet und den sozialen Medien zu einer stärkeren Teilhabe und Mitwirkung. Es dürfe nicht unterschätzt werden, wie sehr die Menschen „über ihre Mitgliedschaft in der Kirche nachdenken“ und auch weiterhin „Teil der größeren Gemeinschaft der Kirche sein wollen“, betont die Leitende Bischöfin.

Schwerpunkt auf Taufe

„Wir haben beschlossen, dass wir uns in den kommenden Jahren vorrangig auf die Taufe als Arbeitsschwerpunkt konzentrieren wollen“, berichtet Byfuglien. „Wir wollen den Menschen vermitteln, warum sie für ihre Kinder so wichtig ist“ und bei den Gottesdiensten flexibler sein und die Möglichkeit einer spontanen Taufe ohne große Vorbereitungen anbieten. „Wir mobilisieren die ganze Kirche von der Leitungsebene bis an die Basis, um die Menschen auf eine Art und Weise anzusprechen, die sie ermutigt, mit ihren Säuglingen in die Kirche zu kommen“, aber auch um ältere Kinder und Erwachsene anzusprechen, erklärt sie.

Nach Information der Bischöfin sind es „die Menschen zwischen 20 und 40, die in unsere Gemeinden fehlen“, daher sei es wichtig mit Familien zu arbeiten und „sicherzustellen, dass sich alle Menschen so, wie sie sind, bei uns willkommen fühlen“. Die Zahl der Konfirmandinnen und Konfirmanden sei größer als die Zahl der Täuflinge, erläutert sie, daher „müssen wir daran arbeiten, dass die Kirche auf für die Menschen eine Bedeutung erlange, die dabei sind, sich ein eigenes Leben aufzubauen“. Und auch wenn es wichtig sei, die Zahlen realistisch zu sehen, sagt sie, sei die Kirche nach wie vor „lebendig und lebhaft“ und es gebe „viele Dinge, die uns optimistisch stimmen“.

Interreligiöse Zusammenarbeit

Byfuglien, die früher Bischöfin von Borg, eines der größeren Bistümer des Landes außerhalb von Oslo, war, spielt heute eine wichtige Rolle bei der Förderung von Zusammenarbeit und Freundschaft zwischen Menschen unterschiedlicher Religionen und kultureller Prägung. Sie weist darauf hin, dass unter den jüngsten Immigrantinnen und Immigranten zwar bis zu 200.000 muslimische Gläubige gewesen seien, dass aber mehr als 50 Prozent der Neuankömmlinge römisch-katholischen Glaubens oder Mitglieder von baptistischen und Pfingstkirchen seien, deren Mitgliederzahlen alle gestiegen seien. Die Norwegische Kirche spielt sowohl im Norwegischen Christenrat als auch im norwegischen Rat der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften (Samarbeidsrådet for tros og livssynssamfunn) eine wichtige Rolle.

Byfuglien berichtet von einer „ergreifenden Veranstaltung in einer der großen Moscheen in Oslo nach dem Angriff auf Betende in zwei Moscheen in Christchurch (Neuseeland) am 15. März. Sie sei eine der Führungspersonen der katholischen und protestantischen Kirchen und anderer Weltanschauungsgemeinschaften gewesen, die dort aus Solidarität mit der muslimischen Gemeinschaft zusammengekommen waren, um zum Ausdruck zu bringen, „dass wir einander beschützen wollen. Es zeigt uns ganz deutlich, dass wir bei so vielen Dingen in einem Boot sitzen und als die größere Glaubensgemeinschaft eine besondere Verantwortung haben“, erklärt sie.

Unabhängigkeit vom Staat

Mit Blick auf die 2017 vollzogene formale Trennung vom Staat erklärt Byfuglien, dass die Kirche nun freier sei, ihre Mittel und Ressourcen selbständig einzusetzen, auch wenn ihre Kirche – wie andere Kirchen und Religionsgemeinschaften – nach wie vor kommunale und staatliche Gelder erhalte. Sie wies darauf hin, dass „Mitglieder aller Parteien und Angehörige aller gesellschaftlichen Gruppen“ der Kirche angehörten, so dass es einen „guten Austausch mit Politikerinnen und Politikern“ gebe und dem Standpunkt der Kirche bei Themen wie Klima und Migration Respekt gezollt werde.

Die Norwegische Kirche arbeite mit anderen Christinnen und Christen zusammen, „um Aufmerksamkeit zu schaffen für die wichtigen ethischen Fragen rund um das Willkommenheißen von Menschen in Not“, erklärte sie und fügt hinzu, dass „wir nur glaubwürdig sein können, wenn wir uns für eine Politik einsetzen, die nicht nur ‚gerecht‘, sondern auch menschlich ist“.

Reformationsjubiläum

Bischöfin Byfuglien sprach auch über die Feierlichkeiten zum 500. Reformationsjubiläum und darüber, dass diese die Beziehungen ihrer Kirchen zur weltweiten lutherischen Gemeinschaft gestärkt und ihnen bewusst gemacht hätten, „welch große Bedeutung es hat, Teil der großen Kirche zu sein“. Wie lutherische Führungspersonen überall auf der Welt wird Byfuglien am Ostermorgen über die Verantwortung sprechen, die das mit sich bringt, und das neue Leben feiern, das wir durch die Erlösung von der Sünde durch Christi Tod am Kreuz erlangt haben.

Wenn das Licht die Dunkelheit in der historischen Kathedrale von Trondheim durchbricht, wird sie wieder einmal der Geschichte über Maria von Magdala lauschen, die eilt, um den anderen Jüngerinnen und Jüngern zu berichten, dass ihr der auferstandene Herr begegnet ist. „Auch wir sollten eilen und die frohe Botschaft des leeren Grabes verbreiten!“, frohlockt sie.

 

Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.