Nicht nur moralische Pflicht zum Schutz von Flüchtlingen

Erschöpfte Flüchtlinge ruhen sich auf ihrer Reise nach Nordeuropa auf einem öffentlichen Platz in Ungarn aus. Foto: MTI

LWB-Generalsekretär ruft Kirchen zu Hilfe und Solidarität auf

Genf, 7. September 2015 (LWI) – Die Flüchtlingskrise in Europa ist ein Schlüsselmoment, in der den Kirchen die Möglichkeit gibt, Solidarität und Menschlichkeit vorzuleben, so der Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes (LWB), Pfr. Dr. Martin Junge, in einem vom 4. September 2015 datierten Schreiben an die lutherischen Mitgliedskirchen.

In seinem Schreiben würdigt Junge die Hilfsaktionen vieler Kirchen in Europa. Er erinnert an die deutliche Resolution der LWB-Kirchenleitungskonsultation im Mai, in der die Kirchenleitenden im Namen der lutherischen Kirchen verstärkte Anstrengungen zur gastfreundlichen Aufnahme von Flüchtlingen zugesichert haben.

Für das Versagen der politischen Führung Europas hat der Generalsekretär deutliche Worte: „Wir sehen schockierende Bilder. Sie zeigen uns täglich, dass Menschen, sogar Kinder sterben. Das ist eine Auswirkung des Stillstands zwischen den europäischen Ländern, wenn es um gemeinsame Massnahmen für die Rechte der Flüchtlinge geht“, so Junge.

„In dieser Situation steht die Menschheitsfamilie an einem Scheideweg: Was bedeuten uns Solidarität, gegenseitige Fürsorge und Menschenwürde heute und in Zukunft? Was bedeutet uns die Vorstellung, dass Menschen – auch Flüchtlinge – Rechte haben? Es ist entscheidend, darauf die richtigen Antworten zu geben!“

Der Schutz von Flüchtlingen sei nicht nur eine moralische Verpflichtung, erinnert Junge die Mitgliedskirchen. „Als Unterzeichner völkerrechtlicher Verträge und insbesondere der Flüchtlingskonvention haben die europäischen Staaten die Pflicht, Flüchtlinge zu schützen.“

Bedeutende Rolle der Kirchen

Der LWB fordert seine Mitgliedskirchen auf, ihrem diakonischen Auftrag, für Flüchtlinge einzutreten, weiter nachzukommen. In einer Besprechung mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) am 3. September 2015 in Genf wurde der durch den Flüchtlingszustrom bedingte Druck auf die Aufnahmekapazitäten in Europa beschrieben. Der UNHCR hat für Griechenland, Mazedonien und Serbien den Notstand der Stufe 2 ausgerufen. Weiterhin unterstrich der UNHCR, Kirchen und Kirchenleitende hätten eine bedeutende Rolle bei der Bewältigung der Krise.

Junge betont, die Kirchen müssten sich für eine grosszügige Aufnahme einsetzen, „die die Würde jedes Flüchtlings anerkennt und den populistischen Botschaften der Angst und Ausgrenzung entgegenwirkt.“

LWB-Mitgliedskirchen u. a. in Ungarn, Österreich, Deutschland und Norwegen haben Massnahmen eingeleitet, um den ankommenden Flüchtlingen zu helfen. „Es ist ermutigend zu sehen, auf welch vielfältige Weise LutheranerInnen und andere Menschen guten Willens sich öffnen, um denen, die fliehen mussten, Gastfreundschaft und einen guten Empfang anzubieten. Im Namen der weltweiten Kirchengemeinschaft des Lutherischen Weltbundes möchte ich für diese prophetische Präsenz meine tiefe Anerkennung aussprechen und Sie in Ihren Bemühungen bestärken und ermutigen“, so Junge weiter.

„Die Situation ist empörend“

Nicht nur die europäischen Kirchen treten dafür ein, dass Fremde willkommen geheissen werden.

In einem offenen Brief an die politischen VerantwortungsträgerInnen auf der Weltebene rief am 1. September auch Bischof Dr. Munib A. Younan von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land dazu auf, die Ursachen von Flucht und Vertreibung anzugehen. Jene Länder, die Flüchtlinge aufnehmen, seien gefordert, eine Willkommenskultur zu schaffen.

„Ich bin selbst Flüchtling“, schreibt LWB-Präsident Younan. „Mein Glaube und meine Geschichte verpflichten mich, für diese Frauen, Männer und Kinder einzutreten, die an Stränden angespült werden, verwesend in Lastern an der Autobahn gefunden werden, mit Stacheldraht bewehrte Grenzen überqueren und in provisorischen Lagern ums Überleben kämpfen.“

Weiter mahnt Younan: „Die Situation ist beschämend. Wir dürfen nicht vergessen, dass Flüchtlinge nicht auf Urlaubsreise sind. Sie haben ihr Zuhause nicht aus Abenteuerlust verlassen. Die humanitäre Krise verlangt nach noch energischeren Massnahmen. Diese Menschen, unsere Brüder und Schwestern, schreien: ‚Wer nimmt uns auf? Wo ist Gerechtigkeit?‘“

Younan bekräftigt: „Gott hört das Schreien der Armen, der Unterdrückten und der Flüchtlinge.“ Der LWB-Präsident ruft die politisch Verantwortlichen auf, Flüchtlinge nicht auf ein zu lösendes Problem zu reduzieren, sondern sich bewusst zu sein, dass sie, wie alle Menschen, Kinder Gottes sind, denen Begleitung, Würde und Menschenrechte zustehen.

 

Unterstützung

Unterstützung der Arbeit der LWB-Mitgliedskirchen für die Flüchtlinge in Europa. Der LWB führt über seine Mitgliedskirche in Italien ein Hilfsprogramm durch und bietet damit Flüchtlingen psychosoziale Hilfe an, sammelt Gelder für Soforthilfe in Mitteleuropa und plant Massnahmen für den Kapazitätsaufbau in den Mitgliedskirchen, die schnell auf die Flüchtlingskrise reagieren müssen. Wer das Programm unterstützen möchte, spendet bitte über seine Kirche oder auch über den Lutherischen Weltbund.