Neujahrsbotschaft 2020: Damit sie alle das Leben haben und volle Genüge

Foto: LWB/Albin Hillert

„In Zeiten von Populismus, der auf die Ausgrenzung bestimmter Menschen abzielt, ist Schweigen niemals eine gute Option“

(LWI) – In seiner Neujahrsbotschaft ruft der Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes (LWB), Pfarrer Dr. h.c. Dr. h.c. Martin Junge, die Kirchen auf, Zeugnis abzulegen für die Botschaft des Evangeliums, indem sie die gute Nachricht von der Erlösung verkünden, ihren Nächsten dienen, die Schöpfung bewahren und sich für die Ausgegrenzten und Unterdrückten einsetzen.

Vor dem Hintergrund „wachsender Demagogie“, so Junge, müssen Kirchen „ihre spirituelle Sinnsuche verschärfen und sicherstellen, dass sie Zeugnis ablegen für Gottes verwandelnde Gegenwart in unserer Welt.“ In Zeiten von Populismus, der auf die Ausgrenzung bestimmter Menschen abzielt, sei Schweigen niemals eine gute Option.

Der Generalsekretär lobt LWB-Mitgliedskirchen in aller Welt, dass sie Vorbilder für Inklusion und Fürsorge, Barmherzigkeit und Liebe seien und sich für Einheit, Gendergerechtigkeit und Klimagerechtigkeit engagierten. Er ruft sie auf, sich gegenseitig in ihrem Dienst zu ermutigen und zu unterstützen, damit alle „das Geschenk des Lebens erhalten, das Christus uns offenbart und geschenkt hat.“

Am besten würde wir Gottes Mission annehmen und diese zum Ausdruck bringen, „wenn wir Hirtinnen und Hirten werden und uns ganzheitlich um andere kümmern – wenn wir eine dienende Gemeinschaft werden, die Gottes Willen erfüllt, damit niemand verloren geht“.

Es folgt die Neujahrsbotschaft im Wortlaut: 

 

Angespornt durch Christi Bestreben, dass alle das Leben haben

 

„Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und volle Genüge.“ – Joh 10,10

Wie konnten die Jünger so verwirrt sein, dass sie die Kinder davonjagten? Sie dachten ganz einfach, dass es ihre Aufgabe sei, Jesus zu beschützen, und haben deshalb die Kinder davon abgehalten, in seine Nähe zu gelangen (Mt 19,13-14).

Zum Glück kam Jesus seinen Jüngern aber wie immer zur Hilfe: ‚Lasst sie zu mir zu kommen, denn nur ihretwegen bin ich jetzt gerade hier‘, sagt er zu ihnen.

Diese Situation war nicht die erste, in der die Jünger Jesu Prioritäten falsch ein- geordnet haben. Angespornt durch ihr unstrittiges Engagement und ihre unstrittige Begeisterung für Gott, gehen sie das Risiko ein, zu übersehen, worum es in Jesu Mis- sion wirklich ging. Und dieses Phänomen können wir auch heute noch beobachten. Die Jünger Jesu – damals wie heute – rücken sich früher oder später leicht selbst in den Vordergrund. In ihrer Mission geht es dann um ihr eigenes Denken, ihr eigenes Verständnis davon, was richtig und was falsch ist. Dabei verlieren sie gern aus den Augen, was für Gott richtig und falsch ist.

Jesus selbst beschreibt seine Mission kurz und bündig mit folgenden Worten und hilft damit seinen Jüngern – uns allen – in unseren Zweifeln und unserer Verwirrtheit: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und volle Genüge.“ (Joh 10,10)

Das Leben und volle Genüge. Ein Leben, in dem Gerechtigkeit und Friede herrschen, die untrennbar miteinander verbunden sind (Ps 85,10). Ein Leben, das sich durch gerechte Beziehungen entfaltet. Gerechte Beziehungen zwischen den Indivi- duen unserer so vielfältigen Menschheitsfamilie und mit Gottes guter Schöpfung. Ein Leben, dass Gott Gott sein lässt und Menschen zu dem werden lässt, was Gott wollte: einfach nur Menschen. Die Gott von ganzem Herzen, mit ihrem Geist und ihrer Seele lieben, ihren Nächsten lieben und sich um die Schöpfung Gottes kümmern (Dt 6,4-7).

Wenn ich auf das Jahr blicke, das nun vor uns liegt, habe ich das Gefühl, dass sich die Kirchen in ihrem Engagement für die Mission Gottes dringend auf genau diese Botschaft konzentrieren müssen, die von einem Leben in voller Genüge spricht. Vor dem Hintergrund von sich ausbreitendem Populismus, oft verbunden mit einem einem zunehmenden Missbrauch der Bibel, um Menschen auszugrenzen oder zu unterdrücken, um die Bedrohung von Minderheiten, Migranten, indigenen Bevölkerungsgruppen oder anderen gesellschaftlichen Gruppen oder Gewalt gegen diese zu rechtfertigen, sind die Kirchen aufgerufen, weiterhin die Botschaft des Evangeliums zu verbreiten, in des- sen Zentrum Jesus Christus steht. In Zeiten von Populismus, der auf die Ausgrenzung bestimmter Menschen abzielt, ist Schweigen niemals eine gute Option.

Im Kontext wachsender Demagogie müssen Kirchen ihre eigene spirituelle Sinnsuche verschärfen und sicherstellen, dass sie Zeugnis ablegen für Gottes ver- wandelnde Gegenwart in unserer Welt. Unser Auftrag ist es, Christus und gaben an die Menschheit „zu fördern.“

Dementsprechend werden wir, die wir zu Jüngerinnen und Jüngern berufen sind, darum bemüht sein, für die Heiligkeit des dreieinigen Gottes einzustehen, indem wir die frohe Botschaft der Erlösung, des Dienstes an unseren Nächsten, der Bewahrung der Schöpfung und der Fürsprache für die Ausgegrenzten und Unterdrückten verkünden. Am besten nehmen wir Gottes Mission an und bringen diese zum Ausdruck, wenn wir Hirtinnen und Hirten werden und uns ganzheitlich um andere kümmern: Wenn wir eine dienende Gemeinschaft werden, die Gottes Willen erfüllt, damit niemand verloren geht (Lk 15,3-7).

Ich bin zutiefst dankbar für das Zeugnis der LWB-Mitgliedskirchen in aller Welt, die genau diese alle einschließende Ausrichtung hervorheben. Ich habe großartige Beispiele von Fürsorge und Liebe gesehen, als Antwort an den, der uns zuerst geliebt hat. Ich bin zudem sehr dankbar für alles, was die LWB-Mitgliedskirchen gemeinsam in der Welt tun, wie sie durch ihr gemeinschaftliches diakonisches Engagement im LWB-Weltdienst Barmherzigkeit und Liebe zum Ausdruck bringen, sich für Einheit engagieren und für Gender- und Klimagerechtigkeit eintreten.

Durch die Gnade Gottes liegt ein neues Jahr vor uns. Ich lade alle LWB-Mitgliedskirch- en ein, dieses neue Jahr als eine Gelegenheit zu sehen, mit Engagement, Freude und Hoffnung Zeugnis abzulegen. Ich fordere sie alle auf, sich gegenseitig in Ihrem Dienst zu ermutigen und zu unterstützen. Ich fordere sie auf, zusammenzuarbeiten, damit alle das Geschenk des Lebens erhalten, das Christus uns offenbart und geschenkt hat.

Pfarrer Dr. h.c. Dr. h.c. Martin Junge

Generalsekretär, Lutherischer Weltbund