MenschenrechtsaktivistInnen besser schützen

Pfr. José Pilar Álvarez Cabrera, Präsident der Lutherischen Kirche Guatemalas, spricht beim Workshop „Advocacy für die Menschenrechte von Frauen“, der im Ökumenischen Zentrum in Genf stattfand, über die Situation der MenschenrechtsaktivistInnen in seinem Land. Foto: LWB/Peter Kenny

Workshop befähigt zur Thematisierung lokaler Probleme auf Weltebene

Genf (LWI) – Erfahrungsberichte von MenschenrechtsaktivistInnen sind ein wichtiges Element des Workshops „Advocacy für die Menschenrechte von Frauen“ der seit Juli 2015 alljährlich von im religiösen Bereich verorteten Organisationen – so genannten faith-based organizations (FBOs) – im Ökumenischen Zentrum in Genf veranstaltet wird. Die vor Ort gesammelten Erfahrungen bilden die Basis der für die internationale Ebene entwickelten Positionen und Aktionen und geben Einblicke in die oftmals schwierigen Rahmenbedingungen, unter denen Kirchen und andere zivilgesellschaftliche Organisationen sich engagieren.

Der Präsident der Lutherischen Kirche Guatemalas, Pfr. José Pilar Álvarez Cabrera, berichtete anlässlich des Workshops, der vom 3. bis 7. Juli stattfand, von seinen persönlichen Erfahrungen im Rahmen einer sozialen Bewegung, an der AktivistInnen aus dem kirchlichen Raum und anderen Gesellschaftsbereichen beteiligt sind. Die Bewegung setzt sich dafür ein, dass in den Bergen von Chiquimula (Ostguatemala) der Zugang der indigenen und kleinbäuerlichen Bevölkerung zu Land und Trinkwasserreserven gesichert wird.

Dass Cabrera sich maßgeblich in der Bewegung engagierte und für MenschenrechtsaktivistInnen einsetzte, hatte jahrelange Prozesse, Drohungen und Kriminalisierung zur Folge, einschließlich einer Haftstrafe im Jahr 2009.

„Die indigenen Gemeinschaften hatten selbst erklärt, dass sie ihr Wasser verteidigen würden, denn die Großgrundbesitzer hinderten sie am Zugang zu diesem Land“, erinnerte sich Cabrera in seinem Bericht.

Dora Arriola, Programmreferentin bei Jotay Guatemala, betonte, FBOs müssten in Ländern, wo Privatinvestoren sich über Vereinbarungen hinwegsetzten, die die natürlichen Ressourcen im Sinne des Gemeinwohls schützen sollen, mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten und deren Aktivitäten unterstützen.

„Es ist wichtig, dass wir untereinander Netzwerke aufbauen. Lutherische Engagierte müssen zur Verteidigung unserer Ressourcen und Menschenrechte auch mit Katholischen, Indigenen und anderen zusammenarbeiten“, führte Arriola aus. Das Mittelamerika-Programm des Lutherischen Weltbundes (LWB) ist eine von sechs Organisationen, die Jotay gegründet haben. Jotay, was in der Maya-Sprache Kaqchikel so viel wie „Erneuerung des Lebens“ bedeutet, soll die zivilgesellschaftliche Advocacy-Arbeit zu Themen wie Gendergerechtigkeit, einem nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen, Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit der Bevölkerung fördern.

Dora Arriola, Programmreferentin bei Jotay Guatemala, betont im Rahmen des Workshops „Advocacy für die Menschenrechte von Frauen“, Zusammenarbeit und der Aufbau von Netzwerken seien von entscheidender Bedeutung für die Förderung der zivilgesellschaftlichen Advocacy-Arbeit. Foto: LWB/Peter Kenny

Arriola betonte die zentrale Bedeutung des Verfahrens der sogenannten allgemeinen regelmäßigen Überprüfung, bei dem Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen selbst Bericht erstatten über die Menschenrechtslage im jeweiligen Land. Entscheidend sei, dass nichtstaatliche Organisationen kontinuierlich die berichterstattenden Staaten beobachten und den Inhalt der von ihnen beim Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte vorgelegten Berichte prüfen.

Heilung der Erinnerungen

Die Friedens- und Anti-Apartheids-Aktivistin Fatima Schwartz, stellvertretende Direktorin des Institute of Healing and Memories in Kapstadt (Südafrika), stellte ihrerseits fest, es sei von entscheidender Bedeutung, dass Menschen, die Heilung von emotionalen, durch Konflikte verursachten Wunden brauchen, das nötige Gehör finden. „Unser Institut arbeitet auf der Grundlage der Prämisse, dass jeder Menschen eine Geschichte zu erzählen hat und dass jede Geschichte gehört, wahrgenommen und gewürdigt werden muss“, erläuterte sie zur Arbeit des 1998 gegründeten Instituts, das die unter dem rassendiskriminierenden Apartheidsystem geschlagenen Wunden ans Tageslicht bringen soll.

Fatima Schwartz, stellvertretende Direktorin des Institute of Healing and Memories in Kapstadt (Südafrika), beteiligt sich beim Workshop „Advocacy für die Menschenrechte von Frauen“ an der Diskussion. Foto: LWB/Peter Kenny

Gehör zu finden sei der erste Schritt zur Heilung sowohl der einzelnen Person als auch der zwischenmenschlichen Beziehungen, erläuterte Schwartz. Mithilfe von Workshops, in denen die emotionalen Wunden von Völkern, Gemeinwesen und Einzelpersonen untersucht und wahrgenommen werden, gebe das Institut Menschen unterschiedlicher Herkunft die Chance, sich den Ursachen von Entfremdung und Konflikten zu stellen.

Pfarrerin Dr. Simone Sinn, LWB-Studienreferentin für öffentliche Theologie und interreligiöse Beziehungen, nahm Stellung zum Zusammenhang von Glaube und Macht mit dem Streben nach Befreiung und Gerechtigkeit. Nach ihrem Verständnis laute die entscheidende Frage „nicht, wie die religiöse Tradition zu schützen ist, sondern wie die religiöse Tradition die Würde der Menschen schützen kann.“ Relevant sei: „Wie wird Religion für die Menschen zu einer bevollmächtigenden Kraft?“

Teilnehmende aus bisher über 60 Ländern

Im Rahmen des Workshops wurde den Teilnehmenden die internationale Frauenrechtsarbeit der FBOs vorgestellt. Dieses Jahr behandelte die Veranstaltung weiterhin die Rolle von Frauen in radikalisierten Umfeldern, die Zunahme des Fundamentalismus und die Instrumentalisierung von Religion. Wie in jedem Jahr besuchten die Teilnehmenden eine Sitzung des Ausschusses für das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) der derzeit am Genfer Sitz der Vereinten Nationen tagt.

Der LWB richtete den diesjährigen Workshop gemeinsam mit Finn Church Aid, Mission 21, dem Ökumenischen Rat der Kirchen und der Schwedischen Kirche aus.

„Die Workshops machen sich mittlerweile bezahlt“, stellte Maria Cristina Rendón, Programmassistentin im LWB-Referat für Frauen in Kirche und Gesellschaft, fest. „Inzwischen haben Frauen und Männer aus mehr als 60 Ländern teilgenommen. Sie wurden dazu befähigt, ihre lokalen Probleme auf der Weltebene zu thematisieren. Die völkerrechtlichen Verträge der Vereinten Nationen sind für sie jetzt mehr als nur Übereinkommen, sie sind die Instrumente, mit denen sie ihre jeweilige Regierung zur Rechenschaft ziehen und die Weichen stellen können, damit Frauen in den Vollgenuss ihrer Menschenrechte kommen.“

An dem Workshop nahmen für Menschenrechtsfragen zuständige Mitarbeitende u. a. aus der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Tansania, dem Lutherischen Entwicklungsdienst Liberia sowie den LWB-Länderprogrammen in Angola, Haiti, Kenia und Myanmar teil.

(Ein Beitrag von Peter Kenny mit Ergänzungen des LWB-Referats für Frauen in Kirche und Gesellschaft.)