Mehr Gendergerechtigkeit in Kirche und Gesellschaft

Die fünf Vizepräsidentinnen des LWB (v. .): Desri Maria Sumbayak, Pröpstin Astrid Klein, Erzbischöfin Dr. Antje Jackelen, Pfarrerin Jeannette Ada Epse Maina und Leitende Bischöfin Elizabeth Eaton Foto: LWB/Albin Hillert

Möglichkeiten zur Veränderung patriarchaler Einstellungen und Strukturen

Genf (LWI) – Patriarchalische Strukturen und Einstellungen gemeinsam zu hinterfragen war das vorrangige Interesse der Frauentagung, die im Vorfeld der Ratstagung des Lutherischen Weltbundes (LWB) in Genf stattgefunden hat. Die Teilnehmenden tauschten sich über ihre jeweiligen Erfahrungen aus und konzipierten Strategien zur Förderung von Gendergerechtigkeit in der gesamten weltweiten lutherischen Kirchengemeinschaft.

Am 12. Juni, dem Vortag der Eröffnung der diesjährigen Ratstagung, diskutierten die Kirchenleiterinnen im Rahmen ihres Vorbereitungstreffens die Fortschritte bei der Verwirklichung der Zielsetzungen, die das vom Rat 2013 genehmigte „Grundsatzpapier: Gendergerechtigkeit im LWB“ formuliert, das aktuell in 26 Sprachen vorliegt.

Derzeit hat der LWB fünf Vizepräsidentinnen und zwei Vizepräsidenten, die auch dem Rat angehören. Die Vizepräsidentinnen berichteten von den vielfältigen Herausforderungen, mit denen sie im Kontext ihres jeweiligen Heimatlands und ihrer Region konfrontiert sind. Desri Maria Sumbayak, Vizepräsidentin für die Region Asien, erläuterte, Gendergerechtigkeit sei für ihre Heimat Indonesien, wo manche Kirchenleiter in der Öffentlichkeit nur ungern den Kontakt zu Frauennetzwerken suchten, ein „ganz neuer Gedanke“. Sie betonte, im Zusammenhang mit dieser Thematik seien, angefangen bei Kindergartenkindern und ihren Eltern, weitere Aufklärung sowie Bildungsmaßnahmen in den Kirchengemeinden sowohl für Männer als auch Frauen erforderlich. „In unserem Kontext in Asien ist es bei der Verwirklichung von Gendergerechtigkeit vermutlich realistischer und wirksamer, an der Basis anzufangen anstatt auf der Leitungsebene“, führte sie aus.

Kulturelle Herausforderungen, positive Partnerschaften

Teilnehmende aus der Region Asien verwiesen darauf, dass ihre Arbeit vielfach erschwert werde durch traditionelle Vorstellungen, wonach in Familie wie Gesellschaft Männern die Führung vorbehalten sei und von Frauen erwartet werde, dass sie sich auf unterstützende Funktionen beschränkten. In unterschiedlichen Ländern weltweit bekämen Frauen, die Missbrauch und Diskriminierung anprangerten, negative Auswirkungen zu spüren und würden persönlich angegriffen. Andere Teilnehmende verwiesen darauf, dass manche Kirchenleiter die theologische Ausbildung von Frauen ablehnten, anderswo wiederum gebe es Bestrebungen, die einmal getroffene Entscheidung der jeweiligen Kirche, Frauen zum ordinierten Amt zuzulassen, zu revidieren.

In manchen Teilen der Kirchengemeinschaft seien jedoch erhebliche Fortschritte zu verzeichnen, wie Pfarrerin Elitha Moyo von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Simbabwe berichtete. Ihre Kirche habe 2012 als erste im Land ein Referat für Gendergerechtigkeit eingerichtet sowie das LWB-Grundsatzpapier in Regionalsprachen übersetzt und bereitgestellt, damit weitere Kirchen diesem Beispiel folgen konnten. Trotz der weitverbreiteten Armut und des problematischen Einflusses der traditionellen Kultur habe ihre Kirche Partnerschaften mit Regierung, Polizei, der Anwaltschaft, den Dorfvorständen und vielen anderen Organisationen aufbauen können, die sich gemeinsam im Sinne den dringlichen Aufgaben engagieren, Gewalt gegen Frauen zu überwinden, Kinderehen zu verhindern und Mädchen zum Erwerb eines Schulabschlusses zu motivieren.

Tückische Gefahren, Wandel wirkende Theologie

In Europa und Nordamerika üben lutherische Frauen in ihren Kirchen höchste Leitungsämter aus, sind aber trotzdem weiterhin mit den Herausforderungen patriarchalischer Denkweisen konfrontiert. Die Vizepräsidentin der Region Nordische Länder, Erzbischöfin Dr. Antje Jackelen, verwies auf die „vier gefährlichen Ps – Populismus, Polarisierung, Protektionismus und das Postfaktische“, die in der Gesellschaft derzeit auf dem Vormarsch seien. „Ein fünftes Problem, das Patriarchat, bildet das Grundrauschen, das die anderen vier zu einem noch gefährlicheren Cocktail verbindet“, fuhr Jackelen fort.

Pröpstin Astrid Kleist, Vizepräsidentin der Region Mittel- und Westeuropa, stellte fest, es gebe nach wie vor ein weit verbreitetes Misstrauen gegenüber allen, die sich mit Gender und Männlichkeitsbildern auseinandersetzten oder von ihnen sprächen. Wie in anderen westlichen Ländern habe auch in Deutschland die höhere Anzahl von ordinierten Frauen nicht unbedingt zu gleicher Anerkennung und ihrer angemessenen Vertretung in Leitungsämtern geführt. „In Deutschland sind etwas über 50 Prozent der Kirchenglieder weiblich. 80 Prozent der kirchlichen Mitarbeitenden sind Frauen. Aber in den Kirchenverwaltungen sind Frauen unterrepräsentiert. Je weiter oben in der Leitungshierarchie, desto weniger Frauen sind beteiligt.“

Die Vizepräsidentin der Region Nordamerika, Leitende Bischöfin Elizabeth Eaton, berichtete von dem neuen Dokument „Faith, Sexism and Justice: a Lutheran Call to Action“ („Glaube, Sexismus und Gerechtigkeit: ein lutherischer Aktionsaufruf“), das in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika in Kürze diskutiert werden soll. Sie verwies auf die negativen Bemerkungen, die ordinierte Frauen nach wie vor über sich ergehen lassen müssten, und würdigte Kollegen, „die sich dafür einsetzen, dass die Realität dessen zur Geltung kommt, was wir meinten bereits zu sein. Wir sind nicht von körperlicher Gewalt bedroht, aber es gibt andere, tückischere Gefahren.“

Am Nachmittag stießen männliche und weibliche Jugendmitglieder des Rates zu dem Treffen hinzu. Diskutiert wurden in den gemeinsamen Sitzungen die nächsten Schritte auf dem Weg zu mehr Gendergerechtigkeit in den Mitgliedskirchen. Alle Teilnehmenden stimmten darin überein, dass die theologische Ausbildung verbessert werden müsse, um patriarchalischen Strukturen in Kirche und Gesellschaft zu begegnen. Richtlinien und Quoten für die Beteiligung von Frauen an Leitungsämtern seien zwar ein wesentlicher Teil des Prozesses, sie könnten aber nur dann dauerhafte Veränderung schaffen, wenn sie auf dem Fundament einer Wandel bewirkenden Theologie aufbauten, die repressive Positionen ersetze durch die evangeliumsgemäßen Werte der Befreiung und der gleichen Würde von Frauen und Männern.