LutheranerInnen im Heiligen Land nehmen Gendergerechtigkeit in Kirchengerichtsverfassung auf

Die ELKJHL-Synode begutachtet den endgültigen Entwurf ihrer Verfassung, bevor sie zur Abstimmung gestellt wird. Foto: D. Hudson/ELKJHL

Bischof Younan: Beitrag der Frauen zu einer historischen Entscheidung

(LWI) – Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Jordanien und im Heiligen Land (ELKJHL) hat eine Verfassung für ihr Kirchengericht verabschiedet, die künftig auch bei Familienangelegenheiten, einschliesslich Erbschaftsfragen, für Gendergerechtigkeit sorgt.

Im folgenden Interview erklärt ELKJHL-Bischof Dr. Munib A. Younan die Auswirkungen dieser von der lutherischen Kirchensynode am 27. Februar getroffenen historischen Entscheidung.

Wie wird das Prinzip der Gendergerechtigkeit vom Kirchengericht der ELKJHL praktisch umgesetzt?

Ähnlich wie andere Kirchengerichtsverfassungen im Heiligen Land stammt diejenige der lutherischen Kirche aus den 1850er Jahren. Sie war damals auf der Grundlage der Rechtsprechung des osmanischen Reiches verabschiedet worden, die jeder religiösen Gemeinschaft das Recht gab, sich um die Familienangelegenheiten ihrer Mitglieder zu kümmern. Im Falle von Heirat und Erbschaft, Trennung oder Scheidung gestanden die Gerichte den Eheleuten und Kindern damals jedoch nicht die gleichen Rechte zu. Frauen erhielten lediglich 1/8 (ein Achtel) des Erbes, das Männern zugesprochen wurde, und männliche Kinder erhielten das Doppelte wie ihre weiblichen Geschwister. Mit der neuen Verfassung des ELKJHL-Gerichts haben beide Ehepartner die gleiche Verantwortung im Familienverband und alle Kinder werden gleich behandelt. Im Falle einer Trennung oder Scheidung wird die Verantwortung für die Familie und ihre Angelegenheiten gleichberechtigt unter den Eheleuten aufgeteilt. Im Erbschaftsfall sind beide Ehepartner innerhalb der Familie gleich erbschaftsberechtigt, und auch die männlichen und weiblichen Kinder erhalten einen gleichen Anteil des Erbes.

Der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas, befürwortete die Einrichtung des lutherischen Kirchengerichts im September 2014, in deren Folge die Kirchensynode an der Verfassung für das Gericht arbeitete. Die Entscheidungen des Kirchengerichtshofs werden vom Innenministerium durchgesetzt.

Es handelt sich hier um eine historische Entscheidung nach einem langen Beratungsprozesses, den die ELKJHL im Jahr 2009 begann. Ich danke Gott, dass wir beiden Geschlechtern gegenüber für Gerechtigkeit sorgen konnten und dass wir falsche historische Entscheidungen gegenüber Frauen korrigiert haben. Im Nahen Osten ist dies die einzige Kirchengerichtsverfassung, die das Thema Gendergerechtigkeit enthält.

Wie verlief der Diskussionsprozess bis zur Verabschiedung der Verfassung?

Unser Ansatz war im Grossen und Ganzen sehr konstruktiv. Besondere Erwähnung sei dabei der Tatsache geschuldet, dass das Frauenkomitee mehr als acht Jahre seiner Arbeit der Frage der Gendergerechtigkeit gewidmet hat – durch die Organisation von Frauenkonferenzen, das Einbringen der verschiedenen Interpretationen in kirchliche Ausschüsse auf nationaler und Gemeindeebene und so weiter. Der Druck durch das Engagement der Frauen hat zu einer Sensibilisierung innerhalb der Kirche geführt. Ihre Arbeit war wirklich bemerkenswert und hat uns alle motiviert, eine ganzheitliche und inklusive Verfassung für unser Kirchengericht zu schaffen. Wir haben ihre Arbeit sehr ernst genommen.

Natürlich galt es auch einige Herausforderungen bei diesem Prozess zu bewältigen. Am Anfang hatten einige Mitglieder Schwierigkeiten, zu verstehen, weshalb die lutherische Kirche als einzige eine Tradition verändern muss, an die so viele Menschen im Nahen Osten gewöhnt sind. Ich persönlich war nicht nur auf synodaler, sondern auch von Gemeindeebene zusammen mit weiteren Pastoren aktiv an den Diskussionen zu dieser Frage beteiligt. Wir haben erklärt, warum das theologische Verständnis, dass alle Menschen mit gleicher Würde und gleichen Rechten von Gott geschaffen und durch Jesus Christus am Kreuz erlöst worden sind, in unseren juristischen Entscheidungen zu Familienangelegenheiten ebenfalls Anwendung finden muss.

Am Ende hatten wir konstruktive, positive Diskussionen. Es ist uns miteinander klar geworden, dass die Kirche einen pastoralen Einfluss auf juristische Angelegenheiten hat, die das Leben von Familien betreffen. Unsere Rolle ist es, unsere Mitglieder dabei zu unterstützen, ihr familiäres Zusammenleben so zu gestalten, dass es auf Gerechtigkeit und Gleichheit für Männer und Frauen ebenso wie für Jungen und Mädchen beruht.

Die Juristinnen und Juristen der ELKJHL haben intensiv mit der Synode zusammengearbeitet, um eine Verfassung zu schaffen, die unserem Verständnis als Lutheranerinnen und Lutheraner entspricht.

Hat das LWB-Grundsatzpapier zur Gendergerechtigkeit [das 2013 beschlossen wurde] den Entscheidungsprozess der ELKJHL beeinflusst?

Das LWB-Grundsatzpapier zur Gendergerechtigkeit hat uns geholfen, die theologischen Argumente in fokussierter Weise zu begreifen. Derzeit arbeiten wir daran, das Grundsatzpapier an unseren kulturellen Kontext anzupassen und ins Arabische zu übersetzen, um uns so zu helfen, über unseren eigenen Kontext nachzudenken und dabei einen Schwerpunkt auf die Gleichheit zwischen Männern und Frauen und auf häuslicher Gewalt zu legen. Dies wird uns auch helfen, einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Verfassung unseres Landes einen ganzheitlicheren Blick auf das Thema Gendergerechtigkeit wirft.

Das Kirchengericht der ELKJHL umfasst vier Mitglieder — zwei Pastoren sowie eine Rechtsanwältin und einen Rechtsanwalt, die jeweils von der Kirchensynode ernannt wurden. Dem Berufungsgericht gehören der Bischof der ELKJHL, ein Pastor sowie ein Jurist und eine Juristin an.

Wie sehen die nächsten Schritte für die Implementierung der Kirchenverfassung der ELKJHL aus?

Das Kirchengericht und die kirchlichen Einrichtungen sind eng miteinander verflochten, es geht nicht um das eine oder die andere, sie sind voneinander abhängig. Wir geben der gesamten Kirche eine neue Struktur, und wir arbeiten nun daran, wie wir Quoten für Männer, Frauen und junge Menschen schaffen können.

Wir verstehen uns als arabische Christinnen und Christen mit einer deutlich lutherischen Theologie, die für die gesamte ökumenische Bewegung, sowohl auf regionaler wie auf globaler Ebene, sehr wertvoll ist.