Leidenschaft für Evangelium und Nachfolge

Pfarrer Yonas Yigezu Dibisa, Präsident der ÄEKMY. Foto: LWB/S. Gallay

Interview mit dem äthiopischen Kirchenpräsidenten Yonas Yigezu Dibisa

ADDIS ABEBA, Äthiopien/GENF (LWI) – Mit etwas mehr als 9 Millionen Gläubigen ist die Äthiopische Evangelische Kirche Mekane Yesus (ÄEKMY) die größte Mitgliedskirche des Lutherischen Weltbundes (LWB). Im folgenden Interview spricht der Präsident der ÄEKMY, Pfarrer Yonas Yigezu Dibisa, mit der Lutherischen Welt-Information (LWI) über die Ausbildung von Geistlichen und anderen kirchlichen Mitarbeitenden, die wachsende Mitgliederzahl der Kirche, ihre Leitung sowie die Feierlichkeiten zum 500. Reformationsjubiläum.

Was ist das Besondere daran, im äthiopischen Kontext der lutherischen Kirche anzugehören; und was sind die Herausforderungen?

Das Besondere ist, dass sich das Luthertum auf eine solide Lehre und auf ein in der Heiligen Schrift verankertes theologisches Fundament stützt. Als Lutheraner oder Lutheranerin weiß man, was man tut und was man sagt und warum man es sagt. Man hat einen Referenzrahmen für die Reflexion, die lehrmäßige Wegweisung und die theologische Orientierung.

In Äthiopien stehen nicht nur wir, sondern auch die anderen Volkskirchen vor vielfältigen Herausforderungen. Sie reichen von den wachsenden charismatischen Bewegungen über nicht fundierte, bisweilen gar falsche Lehren bis zu den allenthalben aus dem Boden schießenden Sekten, die ein Wohlstandsevangelium predigen. Eine weitere Herausforderung besteht darin, dem Luthertum treu zu bleiben angesichts der überwältigend komplexen sozialen, politischen und ideologischen Zusammenhänge, bei denen auch die theologische Ideologie eine Rolle spielt.

Theologisch ist die ÄEKMY eine sehr konservative Kirche, das heißt, sie ist nach Kräften darum bemüht, in allen Bereichen unser biblisches Fundament zu betonen. Auch hermeneutisch tendieren wir zu traditionellen Positionen. Auf der Ebene der Ekklesiologie stehen wir vor einer weiteren Herausforderung. Man fragt uns: „Wie kommt es, dass ihr als Volkskirche, die seit über 120 Jahren existiert, keinen Bischof habt?“ „Warum passt das bischöfliche Amt für euch nicht?“ Diese Fragen sind berechtigt in einem Land, wo andere Volkskirchen sowie kleine und auch neu entstehende Kirchen ein Bischofsamt haben; aber unsere Tendenz geht weiterhin zur Orientierung am Laientum.

Wie gehen Sie mit diesen Fragen um?

Wir stehen zu unserer eigenen Identität. Unser Fundament ist die Schrift sowie bestimmte Traditionen. Wir sind eine Kirche, die sich auf die lutherische Tradition stützt. Sie prägt unsere Haltung zu Herausforderungen oder Fragen, die sich ergeben. Derartige Anfragen bedeuten kein gravierendes Problem, aber sie werden doch diskutiert.

Worauf führen Sie die Tatsache zurück, dass die Mitgliederzahl der ÄEKMY stetig zunimmt – 2017 lag sie bei etwas über 9 Millionen Mitgliedern, noch Ende 2015 waren es 7,9 Millionen?

Ja, wir wachsen, und es sind drei Faktoren, die dieses Wachstum ermöglichen:

Die Mekane Yesus-Kirche legt großen Wert auf aktive Nachfolge, das nehmen wir sehr ernst. Wir sind evangelisch, das heißt, wir nehmen die Verkündigung des Evangeliums sehr ernst und wir säen fortwährend den Samen aus, beten und hoffen, dass er aufgeht. Wir sind davon überzeugt, dass, wenn wir das Evangelium Jesu Christi verkünden, Menschen auf diese Verkündigung antworten werden. Diejenigen, die zum christlichen Glauben kommen, werden zu Jüngerinnen und Jüngern zugerüstet, damit sie selbst andere in die Nachfolge rufen können.

Zweitens bedeutet die Orientierung am Laientum, dass die Nichtordinierten in unserer Kirche großen Raum haben. Ein Mitglied der Mekane Yesus-Kirche engagiert sich jederzeit leidenschaftlich für Jesus Christus, für den Glauben und ist immer bereit, Nichtchristen und Nichtchristinnen den eigenen Glauben weiterzugeben.

Drittens sind wir eine afrikanisch-charismatische Kirche. Das heißt zum Beispiel, dass wir mit der Agende in der Hand dem Heiligen Geist Raum geben. Ich sage immer, wir sind sehr gute Lutherische und wir bemühen uns, sehr gute Lutherische zu sein, aber gleichzeitig wollen wir auch eine afrikanisch-charismatische Kirche sein. Da geht es nicht um ein Charisma, das lärmt um des Lärmes willen, sondern um ein Charisma, das den christlichen Glauben ernst nimmt, ihn ernsthaft weitersagen, leben, in die Praxis umsetzen, Jesus Christus verkörpern und aktiv missionarisch sein will.

Diese drei Faktoren sind verknüpft mit einer soliden Lehre, dem Bibelstudium, dem Gebet und Bewegungen, die die Kirchenmitglieder zur Nachfolge zurüsten.

Wie begehen Sie in Äthiopien das Reformationsjubiläum?

Seit Ende 2015 laufen bei uns die Gedenkfeiern zum Reformationsjubiläum und wir vermitteln Wissen darüber, was vor 500 Jahren geschehen ist. Wir beschäftigen uns auch damit, was das für unseren heutigen Kontext heißt. In allen 29 Synoden begehen verschiedene Gemeinden das Jubiläum auf ihre je eigene Weise. So gibt es unterschiedliche Veranstaltungen, die die Reformation und die Frage thematisieren, was denn heute in einer Kirche geschehen muss, die aus dem Gedankengut der Reformation entstanden ist, was die Mekane Yesus-Kirche heute tut und wie sie sich selbst in der Gesellschaft darstellt.

Am 26. November findet unsere zentrale Jubiläumsfeier statt, an der LWB-Präsident Erzbischof Dr. Musa Panti Filibus und Vizepräsidentin Pfarrerin Dr. Jeannette Ada Maina sowie weitere internationale Gäste teilnehmen werden. Es ist wichtig, den Menschen den Beitrag vor Augen zu führen, den die reformatorische Bewegung gerade zum politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Bewusstsein Afrikas und zu seiner Entwicklung geleistet hat, und aufzuzeigen, welche Wirkung sie auch heute im Leben der Menschen entfaltet. Diese Themen wird ein nationales theologisches Symposium im Vorfeld der zentralen Jubiläumsfeier behandeln, das am 23. und 24. November im Konferenzzentrum der Afrikanischen Union an ihrem Hauptsitz in Addis Abeba stattfindet.

Die Zwölfte Vollversammlung hat Sie im Mai 2017 in den LWB-Rat gewählt. Welche Erwartungen haben Sie an diese neue Aufgabe?

Sie bietet mir die Möglichkeit, meinen Teil beizutragen zur Leitung der Kirchengemeinschaft, und auch eine Chance zum persönlichen Wachstum. Ich erwarte von mir selbst, mindestens das einzubringen, wozu ich in der Lage bin, in dem Bewusstsein, dass ich gleichzeitig die größte Mitgliedskirche im LWB vertrete. Ich möchte meinen Teil dazu beitragen, dass der Rat als Gremium wirken kann, das die gesamte Kirchengemeinschaft beeinflusst, und dass ihre Leitung den aktuellen, lokalen wie globalen, Kontext berücksichtigt. Wie auch immer das genau aussehen wird – ich möchte einen konstruktiven Beitrag leisten.

Sie haben kürzlich an einem vom LWB in Genf veranstalteten Runden Tisch zum Thema Ausbildung für den kirchlichen Dienst teilgenommen. Was hat sie inspiriert oder überrascht und warum?

Das Thema ist sehr aktuell, denn im Zusammenhang mit den theologischen Einrichtungen gibt es zahlreiche Fragen und vielfältige Herausforderungen. Bei der Ausbildung für den kirchlichen Dienst geht es letztlich um die theologischen Einrichtungen, denn ohne sie kann keine Ausbildung stattfinden. In der Mekane Yesus-Kirche neigen wir zu konservativen theologischen und ekklesiologischen Positionen, aber wir prüfen Modelle für Situationen, wo es an formellen Ausbildungsverfahren fehlt. Wir haben Möglichkeiten, die Erfahrungen von Laienmitarbeitenden zu würdigen, die einfließen könnten, wenn es darum geht, Ordinanden und Ordinandinnen vorzuschlagen, auch wenn die betreffenden Personen den Pflichtabschluss für das Pfarramt nicht erworben haben. Solche Modelle wären sehr hilfreich für neu gegründete oder kleinere Kirchen sowie Kirchen wie die ÄEKMY, die sehr schnell wachsen.

Unsere Mitgliederzahlen steigen, aber was die Ausbildung für den kirchlichen Dienst angeht, können wir dieses Tempo nicht mithalten. Die Kirche hat etwa 9.000 Gemeinden, nur gut 4.000 Ordinierte aber dafür mehr als 10.000 Evangelisten und Evangelistinnen. Die theologische Ausbildung und Ausbildung für die kirchliche Mitarbeit in anderen Bereichen findet am Mekane Yesus-Seminar in Addis Abeba statt, wo ein theologischer Master-Abschluss erworben werden kann. 2018 kommt ein Promotionsstudiengang hinzu. Zusätzlich gibt es 12 anerkannte Regionalseminare, die eine dreijährige Ausbildung anbieten, in fünf Seminaren können Hochschulabschlüsse erworben werden, in mehr als 60 Bibelschulen schließlich läuft ein zweijähriges Programm, das mit einem Zertifikat abschließt.

Der Runde Tisch hat uns auch die Möglichkeit geboten, die Arbeitsweisen einiger unserer theologischen Einrichtungen hinsichtlich der Herausforderungen der Nachhaltigkeit genauer zu beleuchten. Wir haben einige Vorschläge gemacht, die gefährdeten Einrichtungen helfen könnten, und die Rolle der LWB-Kirchengemeinschaft selbst in diesem Prozess herausgearbeitet. Außerdem haben wir Möglichkeiten einer Vernetzung diskutiert, mit deren Hilfe wir einander unterstützen und einen sinnvollen Beitrag leisten können zu Wachstum und Weiterentwicklung unserer Einrichtungen.