Kolumbien: Ehemalige FARC-Kämpfer und der zerbrechliche Frieden

Mayerlis reicht der Leiterin eine Portion Sarapa, eine typische Mahlzeit aus Reis und Hühnchen in einem Cachiboublatt.Fotos: LWB/Albin Hillert

Kirchen begleiten Gemeinschaften ehemaliger Kämpfer

San José de León, Kolumbien/Genf (LWI) – Im äußersten Nordwesten Kolumbiens – lange Zeit eine der gefährlichsten und unsichersten Regionen des Landes – unterstützt die Evangelisch-Lutherische Kirche Kolumbiens (IELCO) die Menschen in einem schwierigen und schleppend vorangehenden Prozess, der die Friedensbemühungen unterstützen und das Risiko eines Rückfalls in den gewaltsamen Konflikt verringern will.

Mit dem Projekt „De la Guerra a la Paz“ (Vom Krieg zum Frieden), das Teil der globalen „Waking the Giant“-Initiative des Lutherischen Weltbundes (LWB) ist, unterstützt die IELCO mehr als 300 Familien in der Provinz Antioquia. Die „Waking the Giant“-Initiative wurde in Kolumbien offiziell im November 2018 gestartet. Die Initiative bringt neu entstehende kirchliche Plattformen verschiedener christlicher Traditionen in Kolumbien zusammen, um gemeinsam daran zu arbeiten, die Agenda 2030 der Vereinten Nationen umzusetzen – insbesondere durch die Umsetzung des Ziels für nachhaltige Entwicklung „Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“.

„Als wir hierhergekommen sind, wussten die Menschen nicht so richtig, was sie erwarten sollten: ob es Konflikte geben oder Morde verübt oder Drohungen ausgesprochen würden“, erzählt der ehemalige Guerilla-Kommandant Joverman Sánchez Arroyave, der innerhalb der FARC-Guerilla (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia, Deutsch: Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) unter dem Namen Rubén Cano bekannt ist. „Aber all das gab es natürlich nicht. Wir sind hierhergekommen, um zu arbeiten, mit den Menschen hier zusammenzuarbeiten. Und genau das tun wir.“

Heute ist Rubén Teil einer Gruppe von Familien ehemaliger FARC-Kämpfer, die sich im Tal von San José de León, nahe der Stadt Mutatá in der Provinz Antioquia im Nordwesten Kolumbiens niedergelassen haben und ein friedliches Leben führen wollen. Gemeinsam haben sie dort 36 Hektar Land gekauft und bewirtschaften dieses.

Aber der Übergang von der aktiven Beteiligung an einem Guerillakrieg hin zu einem Leben in Frieden ist nicht einfach. Auch zwei Jahre nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens mit der kolumbianischen Regierung 2016 sind die ehemaligen Kämpfer noch mit Traumata, Stigmatisierungen und Unsicherheit konfrontiert.

Projekt der Kirche ist Hilfsmittel für friedliche Entwicklung

 

Die Region Urabá ist ein strategisch wichtiger Korridor für den Handel mit Mittelamerika und der aus diesem Grund dort entstandene Drogen- und Waffenhandel führt dazu, dass in dieser Region nach wie vor bewaffnete Gruppen aktiv sind. Weil die Regierung ihren Versprechen aus dem Friedensabkommen nur langsam nachkommt und der jetzige Präsident des Landes der Meinung ist, dass das Abkommen zu nachsichtig mit ehemaligen Guerilla-Kämpfer umgeht, ist die Situation vor Ort alles andere als einfach.

 

„In der Phase, in der das Land gerade steckt, gibt es vielfältige Herausforderungen. Die Regierung hat bisher nur wenige ihrer Versprechen umgesetzt und es geht sehr langsam voran. Daher brauchen sowohl die ehemaligen Kämpfer als auch die Gemeinwesen, wo diese sich ansiedeln und wieder eingliedern wollen, Hilfe“, erläutert Edwin Mosquera, Koordinator des Projektes „De la Guerra a la Paz“.

 

„Als Kirche bieten wir in diesem Fall weniger religiöse als ganz einfach praktische Unterstützung“, sagt Pfr. John Hernández, ein lutherischer Pfarrer, der an dem Projekt mitwirkt. „Wir bieten Traumaarbeit, Selbstverteidigung und Beratung in rechtlichen Fragen an.“

Eine wachsende Gemeinschaft lässt Hoffnung keimen, aber illustriert auch die großen Herausforderungen

 

„Zu vergeben heißt, sich ohne Schmerzen an etwas zu erinnern“, sagt ein Mann Mitte 50 in einem Workshop, den die Soziologin Ana Eloísa Gómez für die Mitglieder eines Gemeinwesens zum Thema Vergebung und Versöhnung leitet.

„Wir alle wissen, dass es Vieles gibt, was weh tut, und was uns weiterhin voneinander trennt. Aber vielleicht können wir auch einmal über die Dinge nachdenken, die uns verbinden, die uns helfen können, als Nation zusammenzuhalten?“, fragt Gómez.

 

Ein kleines Mädchen spielt während des Workshops an einem Holzzaun. Eine Gruppe von zunächst 27 Familien ehemaliger Kämpfer hat das Stück Land in San José de León gekauft und ist aus dem nahegelegenen Córdoba hierhergekommen, um sich an der Seite der rund 50 kleinbäuerlichen Familien in der Gegend niederzulassen.

Heute, zwei Jahre später, leben in der neu entstandenen Gemeinschaft die Familien von 50 ehemaligen Kämpfern, es gibt kleine Restaurants, verschiedene Ausschüsse für die Organisation und Entwicklung der Gemeinschaft und alle verdienen ihr Geld mit Landwirtschaft, Fischzucht und Geflügelzucht.

 

„Früher haben die meisten Menschen Kinder bekommen, mussten diese dann aber direkt zu den Großeltern oder zu Tanten geben, damit die Kinder nicht die gleichen Nachnamen wie ihre eigenen Eltern haben würden – sie wären sonst verfolgt, getötet oder verschleppt worden. Heute werden einige dieser Familien wieder zusammengeführt, die Kinder zurück zu den Eltern gegeben und das ist sehr gut, finde ich. Heute haben wir dieses Problem nicht mehr“, erzählt Aida, die eine Führungsrolle unter den Frauen eingenommen hat.

Aber es gibt auch einen schwierigeren Aspekt der Geschichte. „Die ersten, die hierhergekommen sind, waren diejenigen, die mit Genosse Rubén zusammen waren. Viele andere hatten beschlossen, in Córdoba zu bleiben“, erzählt Aida weiter. „Aber dann kamen die Paramilitärs und haben sie von dem Land verjagt, wo sie lebten. Und weil sie keinen anderen Ort hatten, wo sie sich niederlassen konnten, sind sie hierhergekommen. Sie sehen ja, dass wir Genossinnen und Genossen, die nirgends anders hinkönnen, hier einen Zufluchtsort bieten können.“

„Weil die Regierung trotz des Friedensprozesses nach wie vor hier nicht präsent ist, will unser Projekt die Schritte auf dem Weg hin zum Frieden fördern“, erklärt Mosquera. „Frieden ist ein umfassendes Konzept. Frieden ist Bildung, Frieden ist Gesundheitsversorgung, Frieden ist ein Leben in Würde. Auf ganz praktische Art und Weise hat dieses Projekt uns eine dieser wenigen Gelegenheiten geboten, davon zu träumen, dass es in Kolumbien Frieden geben kann.“

 

„Ich finde, die Begleitung ist sehr bemerkenswert... insbesondere wie Sie uns helfen, besser zu verstehen, was die beiden Seiten des Friedensabkommens, also die Regierung und die FARC, tatsächlich vereinbart haben“, erzählt Rubén abschließend. „Ich träume davon, dass das, was in Havanna unter den Augen der internationalen Staatengemeinschaft vereinbart wurde, tatsächlich umgesetzt wird. Darum geht es hier: den politischen Wandel zu schaffen, den unser Land braucht, auch den Frieden.“

Von Albin Hillert, redigiert und übersetzt vom LWB-Kommunikationsbüro.