Kirchenasyl: Wenn Nächstenliebe kriminalisiert wird

Rund 400 Menschen, darunter 50 Pfarrerinnen und Pfarrer, nahmen an einem Schweigemarsch zur Unterstützung von Pfarrer Ulrich Gampert teil, der wegen der Gewährung von Kirchenasyl für einen jungen afghanischen Flüchtling einen Strafbefehl erhalten hatte. Foto: Dekanat Kempten/Jutta Martin

Erstmals Strafbefehl gegen bayerischen Pfarrer

Immenstadt, Deutschland/Genf (LWI) – Erstmals hat ein Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern aus Immenstadt, Deutschland, einen Strafbefehl erhalten, weil er einem abgelehnten afghanischen Asylbewerber Kirchenasyl gewährte. Wegen „Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt“ soll Ulrich Gampert eine Geldstrafe von 4.000 Euro zahlen. Im Dekanat Kempten, zu dem seine Kirchengemeinde gehört, wurde vorige Woche ein eigenes Zeichen dagegen gesetzt – mit einem Schweigemarsch für das Kirchenasyl.

Die Organisatoren hatten mit 100 Teilnehmenden an der Aktion gerechnet. Gekommen waren 400, um ihre Solidarität mit Gampert und der Kirchengemeinde Immenstadt zu zeigen, darunter etwa 50 Pfarrerinnen und Pfarrer, die sich im Talar am Schweigemarsch beteiligten. Dekan Jörg Dittmar sieht durch das Vorgehen der Behörden das Kirchenasyl an sich in Frage gestellt:„Nicht die Höhe der Strafe ist das Problem, sondern, dass eine Gewissensentscheidung aus humanitären Gründen überhaupt bestraft wird, obwohl sehr korrekt mit allen Behörden zusammengearbeitet wurde.“

Kirchenasyl schöpft rechtliche Möglichkeiten aus

Kirchenasyl bedeutet die vorübergehende Aufnahme von Flüchtlingen durch eine Kirchengemeinde zur Abwendung einer von den Gemeindemitgliedern als für die Schutzsuchenden an Leib und Leben bedrohlich angesehenen Abschiebung. Es bezweckt grundsätzlich eine Wiederaufnahme oder erneute Überprüfung des asyl- oder ausländerrechtlichen Verfahrens beziehungsweise eine Härtefallprüfung durch dafür zuständige staatliche Behörden.

Die bayerische Landeskirche hat eine klar definierte Meldekette, sobald ein Kirchenasyl beginnt. Polizei, Landratsämter, Kommune, Dekanat, Kirchenleitung, Ausländerbehörde – sie alle wissen, wo sich der Asylsuchende aufhält. Aktuell befinden sich im Raum der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern 33 Personen im Kirchenasyl, eine relativ geringe Zahl. Denn: „Ob eine Gemeinde jemanden aufnimmt, ist immer eine individuelle Entscheidung für konkrete Personen und aus einem konkreten Anlass, der zu einer solchen Entscheidung führt“, erklärt Dittmar.

„Das Kirchenasyl stellt also keine Gefahr für unser Rechtssystem dar“, so Dittmar weiter. „Die Lösung für das Flüchtlings- und Asylthema ist es aber natürlich auch nicht.“ Im Idealfall wäre es überflüssig, doch es zeige sich immer wieder, dass es sinnvoll sei, humanitäre Aspekte und Härtefälle noch einmal überprüfen zu lassen. Dafür biete das Kirchenasyl die Zeit: „Mehr leistet es letztlich nicht.“

Kirchenasyl unter Druck

Zum Vorgehen gegen Gampert hat der Dekan eine klare Position: „Das ist nicht akzeptabel. Ich bin entsetzt, dass Nächstenliebe derart kriminalisiert wird.“ Seit mehr als einem Jahr gewähren Ulrich Gampert und seine Frau Marlies, ebenfalls Pfarrerin, einem 22jährigen Afghanen Zuflucht in der Immenstädter Erlöserkirche. Seine Familie hatte Afghanistan verlassen als er vier Jahre alt war. Er spricht gut Deutsch, ist integriert und hat eine Ausbildungsstelle in Aussicht. Nun soll er nach Afghanistan abgeschoben werden.

Gampert selbst will nun mit Unterstützung seiner Landeskirche und juristischem Beistand gegen den Strafbefehl Widerspruch einlegen. Es sei möglicherweise sogar wichtig „jetzt vor Gericht zu klären, ob Kirchenasyl eine Straftat ist oder nicht – auch für die anderen Gemeinden, die Verfolgten Schutz gewähren“, so der 64-Jährige. Rückendeckung bekommt er dafür auch von seinem Landesbischof: „Pfarrer Gampert hat meine volle Solidarität“, so Heinrich Bedford-Strohm.