Kanada: „Beim Glauben geht es um Beziehungen“

Larry Kochendorfer, Bischof der Synode von Alberta und den Territorien von der Evangelischen Lutherischen Kirche in Kanada (ELCIC), ist Ratsmitglied des LWB. Foto: LWB/S. Gallay

Interview mit Bischof Larry Kochendorfer, Ratsmitglied des LWB

ALBERTA, Kanada/GENF (LWI) – Dr. Larry Kochendorfer, Bischof der Synode von Alberta und den Territorien von der Evangelischen Lutherischen Kirche in Kanada, ist Ratsmitglied des LWB. Außerdem sitzt er im LWB-Ratsausschuss für Gemeinschaftsbeziehungen. Zur Partnerkirche seiner Synode, der Evangelischen Lutherischen Kirche von Kolumbien, pflegt er eine langjährige Beziehung und erleichterte dadurch sowohl den Kirchengemeinden als auch der Synode den Weg. 

In diesem Interview spricht Bischof Kochendorfer über seine frühe Bildung in der Kirche, wie ihn diese Erfahrung für seinen Umgang mit der Jugend in seiner Synode prägt und über den Wert von Beziehungen, die die ganze Welt umspannen. 

Erzählen Sie uns etwas über Ihre religiöse Erziehung als Kind.

Ich wuchs auf einer familiengeführten Farm in Alberta im Westen Kanadas auf. Ich hatte einen eineiigen Zwillingsbruder und drei jüngere Schwestern. Meine Eltern hielten es für unerlässlich, dass wir ein bisschen religiöse Bildung erhielten. Im Wesentlichen geschah das in der Sonntagsschule, aber sie selbst waren keine regelmäßigen Kirchengänger. Mein Glaube wurde durch diese Versammlung gefördert. Dabei handelte es sich um eine Glaubensgemeinschaft, die Kinder und Jugendliche anspornte und sie aufforderte, ihre Gaben zu nutzen. Ein Gemeindemitglied ermutigte mich, schon in sehr jungen Jahren Noten zu lernen. Man hatte dort das Gefühl willkommen zu sein. Dieses Willkommensein, das von den Pastoren und Familien in der Gemeinde vermittelt wurde, sprach Bände darüber, wie Glaube aussieht, wie sie ihren Glauben leben und wie sie sich in die Gemeinde einbringen.

Welchen Einfluss hatte diese Erfahrung als Jugendlicher auf Ihre eigene Arbeit mit Jugendlichen?

Bevor ich als Bischof diente – als ich noch Pastor für drei Kirchengemeinden in unserer Synode war – mochte ich den Spruch „die Jugend ist unsere Zukunft“ nicht. Ich glaube, die Jugendlichen „sind“ jetzt die Kirche, also wie binden wir sie ein? Ich denke, dieser Prozess muss früh beginnen. In einigen Pfarrgemeinden und Gemeindediensten werden Kinder durch Unterricht oder andere Aktivitäten wie Jugendfreizeiten angeregt. Manchmal führen diese Räume für die Jugendlichen zu einer Verwandlung. Dass wir ihnen halfen, Kanada und das, was es darüber hinaus gibt, zu sehen, eine größere Welt zu erleben und sich selber in dieser Welt zu sehen, war für sie von großer Bedeutung. Als Bischof fördere ich die Beteiligung und Bildung von Jugendlichen durch größere Jugendversammlungen und die Begleitung von Jugendlichen auf Reisen zu solchen Veranstaltungen. Ich unternehme gerne Busreisen mit Jugendlichen zu den Jugendversammlungen, weil wir so Gelegenheit haben, uns miteinander zu beschäftigen und einander besser kennenzulernen. Sie lernen mich als Bischof und als Mensch kennen, als jemanden, mit dem sie reden können, und umgekehrt.

Hatten Sie schon einmal Gelegenheit, jemanden von der Wiege bis zum Seminar zu begleiten?

Ja. Durch meine Gemeindearbeit. Es gibt da eine Person, die ist jetzt Pastor in der Kirche. Der Betreffende war ungefähr fünf oder sechs Jahre alt, als wir uns das erste Mal begegneten, und ich sah ihn die Sonntagsschule, Konfirmation, Jugendgruppe und seelsorgerliche Aufgaben durchlaufen und im Glauben aufwachsen. 

Wie ermuntern Sie die Jugendlichen dazu, ein Interesse an Gottes globaler Welt zu zeigen?

Zuerst einmal denke ich, sind die Jugendlichen heute ganz anders, wenn es um die globale Weltanschauung geht. Ich befand mich als Jugendlicher ziemlich abgeschottet in einer landwirtschaftlich geprägten Gemeinde. Doch heute haben viele Jugendliche in Kanada Zugang zu den sozialen Medien und verfügen daher über ein größeres Bild von der Welt. Also besteht die Rolle der Kirche in vielerlei Hinsicht darin, Räume zu bieten oder es zumindest zu versuchen, wo der Glaube auf die Welt treffen kann und wo Gespräche stattfinden und wo es Möglichkeiten gibt, damit eine Verwandlung geschehen kann. Sie sind dafür bereit. Sie wollen es. 

Erzählen Sie uns etwas über die Partnerkirche der Synode von Alberta, die Evangelische Lutherische Kirche von Kolumbien?

Meine Verbindung zur Partnerkirche begann, als ich noch Gemeindepfarrer war. Wir hatten Mitglieder, deren Großeltern als Missionare in Kolumbien waren. Alberta hatte als eine der ersten Missionare dorthin entsandt und es gab mehrere Familien, die Dienst im Ausland taten. Als ich in die Kirchengemeinde kam, hatten sie gerade die Kirchenhypothek abbezahlt und beschlossen, dass sie eine Summe im Budget für internationale Projekt freihalten wollten. Sie spendeten und arbeiteten erst zwei Jahre lang mit Canadian World Relief und initiierten dann eine Partnerschaft mit Kolumbien. Unsere Arbeit begann mit Bildungsdiensten, die Aufenthalte förderten und Kindern einen Platz zum Lernen boten. Viele Schülerinnen und Schüler aus ländlichen Gegenden konnten nach der fünften Klasse nicht weiter zur Schule gehen. Anfangs bestand mein Kontakt zu den Gruppen (zuerst waren das Jugendgruppen) darin, Zeit mit der Gemeinde in Kolumbien zu verbringen, um Verbindungen zu knüpfen, Beziehungen aufzubauen und festzustellen, welche anderen Dienste benötigten wurden und wo es Gelegenheiten gab, um von Kolumbien zu lernen. 

Seit damals reisen wir alle paar Jahre nach Kolumbien. Zwar wollten die Jugendlichen mitmachen und uns begleiten, doch sie begriffen es auch als eine Möglichkeit, ihr Weltverständnis zu erweitern.  

Die Jugendlichen, die an diesen Reisen teilnahmen, gaben ihre Geschichten von der Verwandlung weiter, für die sich ihre Eltern und Geschwister interessierten, die dann im darauffolgenden Jahr reisten. Schließlich weitete sich die Mission aus und wuchs. 

Es ist wundervoll zu sehen, wie diese Erfahrungen weiterhin einen Einfluss auf ihr Leben haben, auf ihr eigenes und auf das in der Gemeinschaft, und wie sie sich auf ihre Berufswahl auswirkten. Beispielsweise sagte ein junger Mensch, der mit der Kirche nach Mexiko ging, als Reaktion auf die Armut, die er auf dieser Reise sah: „Ich kann das nicht mehr ertragen. Die Armut macht mich traurig.“ Er sagte, er denke nicht, dass er jemals wieder dorthin fahren würde. Und ich sagte zu ihm: „Aber vielleicht merkst du, wie wichtig es ist, etwas daraus zu lernen und jemand anderem zu helfen, dass dieser reisen kann.“ 

Jahre später besuchte ich die Gemeinde des jungen Mannes als Bischof. Der Mann, der jetzt verheiratet ist und Kinder hat, sagte zu mir: „Unternehmen Sie noch immer diese Reisen nach Mexiko?“ Ich sagte zu ihm, dass wir jetzt mit Kolumbien in Verbindung stehen. Er sagte: „Ich möchte, dass meine Frau mitgeht.“ Das war berührend und zeigte mir, wie sich im Leben eines Menschen eine Verwandlung vollzieht. 

Was bedeutet Glaube für Sie? 

Grundsätzlich geht es beim Glauben um Beziehung: die Beziehung Gottes zu uns, zur Schöpfung und umgekehrt. Für mich ist die grundlegende theologische Basis also immer inkarnatorisch und Gott mit uns, und das überträgt sich auf Beziehungen und den Versuch, Beziehungen aufzubauen und zu vertiefen, egal, wo man gerade ist.

Wie konnten Sie als LWB-Ratsmitglied andere im Gestalten von Beziehungen anleiten? 

Im Endeffekt bin ich ein Zuhörender. Wenn sich Menschen in einer sicheren Umgebung befinden, haben sie oft weniger Hemmungen, über ihre Erfahrungen, ihre Herausforderungen und ihre Mühen zu reden. In der Lage zu sein, dazuzukommen und mit den Menschen zu sein und von ihnen zu lernen, ist ein Geschenk. In puncto Beziehungen gibt es sicher viele Herausforderungen. Es besteht eine Verantwortlichkeit, und auch die Autonomie der Mitgliedskirchen stellt einen echten Balanceakt dar. Teil der Gemeinschaft zu sein, gibt einem jedoch die Möglichkeit zum Gespräch, zum Wachstum und zum Lernen. Veranstaltungen wie die unlängst in Santiago, Chile, abgehaltene Leadership Conference of the Americas bringen uns immer wieder zusammen und verbinden uns mit denselben Menschen, manchmal lernen wir neue Menschen kennen, doch diese Beziehungen werden vertieft.

Was bedeutet es für Ihre Kirche, Ihre Arbeit und für Sie, Teil der LWB-Gemeinschaft von Kirchen zu sein?

Die Gelegenheit, Verbindungen zu knüpfen. Die Gemeinschaft der Kirchen bietet uns die Möglichkeit, mit Menschen in Beziehung zu treten und uns mit ihnen über ihre Geschichten auszutauschen.

Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.

Von LWB/A. Gray. Deutsche Übersetzung: Tonello-Netzwerk, Redaktion: LWB/A. Weyermüller