Island: Wegbereiterin der Frauenordination

Auður Eir Vilhjálmsdóttir ist die erste Pfarrerin der Evangelisch-Lutherischen Kirche Islands. Foto: Kvennakirkjan

Auður Eir Vilhjálmsdóttir wurde als erste Frau ins Pfarramt ordiniert

REYKJAVIK, Island/GENF (LWI) – Viele Frauen aus der Kirchengemeinschaft des Lutherischen Weltbundes (LWB) sagen, dass Pfarrerin Auður Eir Vilhjálmsdóttir, die erste Frau, die in der Evangelisch-Lutherischen Kirche Islands zur Pfarrerin ordiniert wurde, für sie eine Inspirationsquelle und ein Vorbild für das Führungswirken von Frauen in der Kirche sei. 

Vilhjálmsdóttir hat ihr Theologie-Studium 1962 erfolgreich abgeschlossen und wurde 1974 zur Pfarrerin ordiniert. Ihre erste Pfarrstelle hatte sie in einem kleinen Fischerdorf inne. Irgendwann schloss sie sich mit anderen Frauen zusammen und gründete die „Kvennakirkjan“ (Frauenkirche), um die Herausforderungen und Probleme anzugehen, mit denen alle Frauen in ihren Glaubensgemeinschaften konfrontiert waren, und um zu überdenken, wie in der Kirche über Gott, Gender und Gleichberechtigung gesprochen wurde. 

Im folgenden Interview gibt uns Vilhjálmsdóttir einen Einblick in die schönen Momente, die sie erlebt hat, berichtet über die Fortschritte, die die Kirche gemacht hat, und wirft einen Blick in die Zukunft der Frauenkirche und auf das Thema Gendergerechtigkeit. 

Erzählen Sie uns von Ihrer religiösen Früherziehung. Wie haben Sie Ihr Elternhaus erlebt?

Mein Elternhaus war ein wunderbarer Ort, immer voller Leben; und es waren immer viele Menschen dort. Mein Vater hat einmal gesagt, wir seien nicht erzogen worden, sondern seien einfach immer dabei gewesen oder hätten bei allem mitgemacht, was in der Familie und der Gemeinde passierte. Ich habe schon in jungen Jahren beim KFUK (dem isländischen Christlichen Verein Junger Frauen) gearbeitet, und das hat mich stark geprägt. 

Mein Theologiestudium war eine natürliche Fortschreibung meiner Teilhabe und Mitwirkung in der Kirchengemeinde. Und dann fühlte es sich nur richtig und natürlich an, nach meiner Arbeit beim KFUK auch Pfarrerin zu werden. Es kam mir nie in den Sinn, dass es Menschen geben könnte, die es nicht als nächsten „logischen“ Schritt ansahen, dass ich Pfarrerin werden könnte. 

Haben Sie von Ihrer Familie Unterstützung erfahren? 

Schon kurz nach dem Abitur habe ich mich an der Theologischen Fakultät der Universität Islands eingeschrieben. Ich war damals gerade frisch verheiratet, und einige Leute haben mir geraten, mich doch lieber an der Hauswirtschaftsschule anzumelden. Aber in meiner Familie waren sich alle einig, dass Theologie viel besser zu mir passen würde. Ich erinnere noch gut, dass meine Großmutter zu mir gesagt hat: „Geh auf keinen Fall auf die Hauswirtschaftsschule. Studiere Theologie!“ Auch mein Ehemann und meine kleinen Töchter haben mich in meinem Studium sehr unterstützt. 

An welchen Moment in ihrem Leben als Pfarrerin erinnern Sie sich ganz besonders? 

Jeder Moment mit den Menschen in meiner Gemeinde ist unvergesslich. Ich liebe diese Menschen sehr. Ich erinnere mich aber zum Beispiel noch gut an den Moment, in dem ich das erste Mal dem Vorsteher der Gemeinde begegnet bin, in der ich später zur Pfarrerin ordiniert werden sollte. 

Damals wurden Pfarrer in Island von den jeweiligen Gemeinden in einem Wahlprozess gewählt. Ich hatte mich schon mehrfach bei verschiedenen Gemeinden um die Ordination beworben, war aber nie gewählt worden. Eines Tages ging ich in die Gemeinde eines kleinen abgelegenen Fischerdorfs und wurde mit offenen Armen empfangen. Anfangs dachten die Menschen, mein Ehemann wolle dort als Pfarrer arbeiten. Ich stand damals hinter ihm. Er hat die Situation aber ganz schnell aufgeklärt, ist zur Seite getreten und hat mich als Kandidatin für das Amt vorgestellt.

Die Menschen haben mich dann gewählt und ich wurde endlich zur Pfarrerin ordiniert. Das war damals meine erste eigene Gemeinde, und ich wurde die erste Frau überhaupt, die in der Evangelisch-Lutherischen Kirche Islands ins Pfarramt ordiniert worden war. Weiterhin erinnere ich mich noch sehr gut und gerne an die letzte Gemeinde, in der ich als Pfarrerin tätig war, und wie sich die Menschen dort für die gemeinsame Zeit bedankten, als es Zeit war, Abschied zu nehmen. 

Folgte Ihre Kirche dem neuesten Stand des Feminismus in Island, als Sie damals ordiniert wurden? 

1974 war Feminismus in der isländischen Gesellschaft allgemein ein großes Thema und viele Menschen setzten sich dafür ein, ja. Aber in der Kirche ging der Wandel langsamer vonstatten. Das zeigte sich zum Beispiel deutlich in den Reaktionen der Menschen auf meine Bewerbungen. Eine Frau sagte mir direkt, dass sie sich nicht vorstellen könne, dass eine Frau die Beerdigung ihres Mannes leite. Eine andere Frau sagte zu mir: „Ich habe noch nie gesehen, dass eine Frau ein Kind tauft.“ Und eine dritte: „Warum sind Sie denn nicht zu Hause, Sie haben doch vier Töchter?!“

Kann die isländische Kirche junge Frauen heute noch für das ordinierte Amt begeistern? 

Ja. Viele junge Frauen studieren Theologie und werden in das Pfarramt ordiniert. Tatsächlich stoßen sehr viele engagierte Frauen in der Kirche nachhaltige Veränderungen an. Ich bin zuversichtlich, dass diese Frauen weiterhin positiven Wandel bewirken und die allgemeine Ausrichtung sowie das Tagesgeschäft der Kirche beeinflussen und prägen werden.

Unsere Bischöfin ist eine Frau und es gibt zahlreich Dekaninnen. Die Vorsitzende des Pfarrverbandes ist eine Frau und im Lehrkörper der Theologischen Fakultät der Universität Islands sind ebenfalls drei Frauen tätig. Vor 40 Jahren wäre das völlig undenkbar gewesen. Viele dieser bemerkenswerten Frauen und die Bischöfin sind auch Mitglieder in der Frauenkirche.

Es gibt die „Kvennakirkjan“, die Frauenkirche, also noch. In welche Richtung entwickelt sie sich?  

Die Frauenkirche steht für eine Theologie, die unserer Ansicht nach gerade jetzt wirklich vonnöten ist. Sie bietet den Frauen eine Gemeinschaft für den gemeinsamen Glauben, das gemeinsame Gebet, für Bibelarbeit, Frieden und Freude. Wir haben eine ganze Reihe Bücher zum Thema feministische Theologie veröffentlicht. Auf Drängen der Frauenkirche hat die isländische Kirche jüngst eine überarbeitete Fassung des Neuen Testaments veröffentlicht, die in inklusiver Sprache geschrieben ist. 

Hat die Frauenkirche ihre Arbeitsschwerpunkte ausgeweitet und widmet sich jetzt auch den spezifischen Herausforderungen und Problemen von weiblichen Geistlichen mit unterschiedlicher ethnischer Herkunft?

Erst in den vergangenen zwei Jahrzehnten ist die isländische Gesellschaft sehr multikulturell geworden. Und auch wenn die Kirche unlängst eine umfassende Strategie für die Arbeit mit Eingewanderten und Geflüchteten verabschiedet hat, die verspricht, das Engagement der Kirche für Menschen ausländischer Herkunft zu verbessern, gibt es noch keine automatische oder systematische Zusammenarbeit von Geistlichen unterschiedlicher Herkunft, nein. 

Historisch betrachtet hat es in der Frauenkirche jedoch immer Frauen aus unterschiedlichen Herkunftsländern gegeben. Die Frauen in der Frauenkirche waren immer bemüht, sich über das Thema Diversität zu informieren, und haben dazu Männer und Frauen aus ganz unterschiedlichen Bereichen zum Austausch eingeladen, um ihren Horizont zu erweitern. 

Was bedeutet es für Ihre Kirche, Ihre Arbeit und Sie persönlich, Teil der weltweiten Kirchengemeinschaft des LWB zu sein?

Wir haben vor Kurzem neues liturgisches Material verfasst und uns vom „Grundsatzpapier: Gendergerechtigkeit im LWB“ inspirieren lassen.

Von LWB/A. Gray. Deutsche Übersetzung: Andrea Hellfritz, Redaktion: LWB/A. Weyermüller

Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.