Interreligiöses Symposium unterstreicht die Werte Würde, Mitgefühl, Solidarität

Die Teilnehmenden der interreligiösen Konferenz in Seattle diskutierten die Konzepte Reform und Erneuerung in unterschiedlichen religiösen Kontexten. Foto: LWB/I. Benesch

Verantwortung vor Gott, religiösen Autoritäten und Gesellschaft

(LWI) – „Über die Zukunft unserer eigenen Glaubensgemeinschaft können wir nicht von anderen isoliert nachdenken. Unsere Gemeinschaften stehen in enger Beziehung und die Zukunft eines Lebens in Würde ist ein gemeinsames Anliegen.“ Dieses Fazit zog ein internationales interreligiöses Symposium, das sich mit dem Thema „Religiöse Identität und Erneuerung“ befasste.

An der vom Lutherischen Weltbund (LWB) und der School of Theology and Ministry an der Universität Seattle organisierten Konferenz vom 10. bis 14. August 2014 nahmen 30 jüdische, christliche und muslimische WissenschaftlerInnen unterschiedlicher Traditionen teil. Referate zu Themen wie Identität, Erinnerung, heilige Texte und Offenbarung sowie religiöses Leben im 21. Jahrhundert gingen einher mit lebhaften Diskussionen, die viele Denkanstösse lieferten. Angesichts konfessionell geprägter Feindseligkeiten zwischen Religionsgemeinschaften forderten die Teilnehmenden die religiösen VerantwortungsträgerInnen auf, gegen die Ausübung von Gewalt im Namen der Religion zu aktiv zu werden und stattdessen die Werte Würde, Mitgefühl und Solidarität zu stärken.

Religiöse Praxis ist mehr als „Wiederherstellung von Positionen“

Dr. John Borelli von der Georgetown University (USA) stellte in seinem Hauptreferat die Anfänge der christlichen Beteiligung am interreligiösen Dialog in den 1960er Jahren vor, setzte sich mit der Zukunft der Religionen im 21. Jahrhundert auseinander und schloss: „als Ergebnis jener Veränderungen (durch das Zweite Vatikanische Konzil) wurde der Dialog zu einem wesentlichen Faktor christlicher Identität“.

Rabbiner Dr. David Fox Sandmel, Direktor für interreligiöse Angelegenheiten bei der Anti-Defamation League in New York (USA), beschrieb die Entwicklung innerhalb der Reformbewegung des Judentums und stellte fest, „sowohl der konservative als auch der reformorientierte Begriff von der Tora ist von dem Wunsch geprägt, ihren zentralen Platz zu wahren und gleichzeitig offen zu bleiben für die kritische moderne Forschung. Praktisch heisst das, diese Haltung hinterfragt religiöse Autorität und damit den Erhalt von Normen des Glaubens und der Praxis in den Reformgemeinden wie den konservativen Gemeinden.“

Prof. Mouhanad Khorchide vom Zentrum für Islamische Theologie an der Universität Münster (Deutschland) betonte die zentrale Rolle, die die Barmherzigkeit Gottes in der islamischen Theologie spielt. Sie sei „das Fundament einer dialogischen Beziehung zwischen Gott und Menschheit“. Hieraus ergeben sich neue Weisen, wie die Botschaft des Koran verstanden und gelebt werde. MuslimInnen seien berufen, nicht „auf der Ebene der reinen Rekonstruktion bestehender Positionen zu verharren, denn dies wäre letztlich tödlich für den Islam“. Nach Khorchides Ansicht ist die religiöse Praxis im Islam „nicht allein auf rituelle Pflichten beschränkt, sondern umfasst auch ein aktives Engagement für die Menschenwürde, die Achtung Anderer und Gerechtigkeit“.

Religionen in der Verantwortung gegenüber der Gesellschaft

Der Politikwissenschaftler Prof. Turan Kayaoglu von der University of Washington in Tacoma (USA) merkte an, die traditionellen religiösen Autoritäten der muslimischen Gemeinschaft hätten an Einfluss verloren. Im modernen Staat, aufgrund der Globalisierung und durch die neuen Medien seien religiöse Stimmen heute vielfältiger und fragmentierter. Diese neue „Heteroarchie“ berge Herausforderungen und Chancen. Er nannte vier unterschiedliche religiöse Autoritäten: die Imame vor Ort, Geistliche in Institutionen, die neuen muslimischen Intellektuellen und das Internet. Ein friedliches Zusammenleben von Menschen verschiedenen Glaubens erfordere, dass sie sich bewusst machten, dass sie für ihre religiöse Praxis nicht nur gegenüber Gott und den eigenen religiösen Autoritäten, sondern auch gegenüber der Gesellschaft insgesamt in der Verantwortung stehen.

Dr. Herbert Moyo von der School of Religion, Philosophy and Classics der University of KwaZulu-Natal (Südafrika) betonte, die Zukunft des Christentums in Afrika „liegt in seiner Fähigkeit, auf die Bedürfnisse der Afrikanerinnen und Afrikaner einzugehen, was die sozioökonomische sowie die Dimension der Heilung angeht“. Er berichtete, dass sich in Afrika vielfältige Formen des Christentums herausbildeten. Dies werfe die Frage auf, wer jeweils bestimme, welche Stimme zum gegebenen Zeitpunkt die richtige sei, was Moyo mit dem Kriterium beantwortete, entscheidend für die jeweilige religiöse Stimme sei, ob sie das Leben bejahe.

Kritische Selbstprüfung

In einer Zusammenschau der Gedanken zur Erneuerung innerhalb der drei Religionen verwies Prof. Kajsa Ahlstrand von der Universität Uppsala (Schweden) auf vier Verlagerungen in der Religiosität – „vom Individuum, das in den Himmel kommt, zum Zusammenleben auf der Erde, von der äusseren zur inneren Autorität, vom Gehorsam zur Empathie sowie von hierarchischen zu wechselseitigen Beziehungen“. Im Mittelalter, so Ahlstrand, habe die Aristotelische Philosophie den konzeptionellen Rahmen für den intellektuellen Umgang der drei Religionen miteinander geliefert. Heute entwickelten sich, innerhalb eines neu im Entstehen begriffenen konzeptionellen Rahmens, die Akzeptanz für Vielfalt sowie das Mitgefühl mit den Schwachen zum gemeinsamen Anliegen der Angehörigen unterschiedlicher Glaubensrichtungen.

Die Teilnehmenden äusserten sich besorgt darüber, dass es heutzutage einerseits eine grössere religiöse Vielfalt gebe, jedoch auch die Tendenz, Angehörigen anderer Religionen zunehmend feindselig zu begegnen. Rabbinerin Dr. Shira Lander, Direktorin für den Bereich Judaistik an der Southern Methodist University in Dallas (USA), betonte, „die Religionsgemeinschaften haben Probleme aus der Vergangenheit ererbt, die grosse Hindernisse für die Zukunft sind – hierzu gehört ein universalistischer Triumphalismus“. Zudem, so Lander, müssten sich die Religionsgemeinschaften, um Visionen für die Zukunft zu entwickeln, kritisch selbst prüfen und „lernen, ihre zentralen ethischen Werte in einer nicht partikularistischen Sprache auszudrücken“.

In ihrer Schlussbemerkung stellte Pfarrerin Dr. Simone Sinn von der Abteilung des LWB für Theologie und öffentliches Zeugnis fest, das Symposium als Raum, in dem jüdische, christliche und muslimische Gläubige die gemeinsame Analyse und theologische Reflexion einüben konnten, biete ein Modell dafür, wie Angehörige unterschiedlicher Religionen in gegenseitiger Verantwortung theologisch arbeiten könnten. Sinn betonte, „da Lutheranerinnen und Lutheraner im Lichte des Reformationsjubiläums über ihre Identität reflektieren, können solche interreligiösen Gespräche ihr Verständnis von Erneuerung vertiefen“.

Das Symposium wurde gemeinschaftlich organisiert von Pfarrerin Dr. Sinn (LWB), Dr. Michael R. Trice und Rabbiner Anson Laytner von der School of Theology and Ministry der Universität Seattle (USA).

Erklärung der Symposiumsteilnehmenden (in englischer Sprache)| Weitere Informationen zur Veranstaltung (in englischer Sprache)